WEIHNACHTEN IN LONDON

W

Ohne ein Kopftuch

Freitagabend besuchte ich das Weihnachtskonzert im Barbican Centre in London, dem Theaterzentrum mitten in der Stadt, mit einem großen zentralen Saal, mehreren Balkonen auf verschiedenen Ebenen, in dem meist die »Londoner Symphoniker« spielen, und einem kleineren Raum für Theatervorführungen.

Das jährliche Weihnachtskonzert der Symphoniker hat eine jahrelange Tradition, und es ist gar nicht so einfach, Tickets zu bekommen. Auf der Bühne waren diesmal zwei verschiedene Chöre hinter dem Orchester. Der eine der traditionelle Chor der Symphoniker und auf der anderen Seite der »Trinity Boys Choir«, einer der berühmtesten Knabenchöre der Welt.

Der Abend spielt sich dann so ab: Auf den Sitzen in den Zuseher-Reihen liegen die Texte der Lieder. Der Dirigent kündigt – unterbrochen mit ein paar Scherzen oder weihnachtlichen Anekdoten – die einzelnen Musikstücke an. Manche sind durch Solisten vorgetragene Lieder oder Arien, dann wieder singen die beiden Chöre, einzeln oder gemeinsam, oder es sind Orchester-Werke.

Das Publikum singt

Dazwischen kündigt der Dirigent Lieder an, wo er das Publikum auffordert mitzusingen. Dabei mischt der Dirigent geschickt das Singen der Zuseher mit dem der Chöre, manchmal setzt auch das Orchester aus und man hört nur das Publikum, und dann wieder singen und spielen alle gemeinsam. Dabei dreht sich der Dirigent immer wieder zum Publikum, dirigiert für die Zuseher und dann wieder für das Orchester.

Die Besucher singend stehend und sind derart begeistert und laut, dass sie manchmal den Chor hinter dem Orchester übertönen und vom Dirigenten auch entsprechend ermutigt werden. Die Stimmung reißt einen mit, und man fühlt eine jahrhundertlange Tradition, die ungebrochen von Generation zu Generation weitergeben wird. Im Publikum singen alte Männer und Frauen in Rollstühlen neben ihren Enkeln, und Mütter halten ihre Kinder an den Händen.

Da ich die meisten Lieder nicht kannte, sah ich mir das Publikum näher an. Neben mir standen zwei Chinesen, die sich bei mir entschuldigten, weil sie leider nicht mitsingen könnten. Ich beruhigte sie und sagte ihnen, mir ginge es ähnlich. Ein paar Reihen vor mir stand eine Familie, die offensichtlich aus Afrika gekommen war, die Frauen trugen traditionelle bunte Kleider, und die Kinder hatten eigenartige Kopfbedeckungen, die wie Kappen von Uniformen aussahen. In der Pause sah ich eine Sikh-Familie mit den traditionellen Turbanen, japanische Frauen mit ihren langen, bunten Röcken und eine jüdische Familie, von der Vater und Sohn eine Kippa trugen.

Das bunte, internationale London traf sich hier, sang gemeinsam, trank Tee oder Champagner in der Pause und aß die schrecklichen Mince-Pies, kleine runde Kuchen, gefüllt mit Rosinen und Marmelade, wo man allerdings nie weiß, was wirklich in ihnen verborgen ist. Alle feierten gemeinsam ein Fest, das für viele im Publikum wahrscheinlich entsprechend ihrer Religion und Tradition kein Fest war. Ich konnte die kulturellen und nationalen Unterschiede unter den Besuchern nur beobachten und wusste nicht, wo sie wirklich her kamen, versuchte manchmal, die verschiedenen Sprachen zu erkennen, oder an Ketten und Anhängern die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zu sehen.  

Doch eines fiel mir auf, im Publikum sah ich keine einzige Frau mit dem für Muslime typischen Kopftuch. Es ist nicht auszuschließen, dass unter den Besuchern auch Muslime waren, die auf die entsprechende Kleidung für Frauen verzichteten.

In der Oxford Street im Kaufhaus Selfridges sang ebenfalls ein Chor. Die Frauen und Männer trugen normale Straßenkleidung und auf dem Kopf Mützen wie sie Weihnachtsmänner tragen. Der Chorleiter stellte in einer Pause die einzelnen Mitglieder vor. Sie alle würden im Kaufhaus arbeiten, und manche kämen aus Indien, andere aus den Philippinen und eine Frau sogar aus Syrien. Die meisten jedoch aus Großbritannien. Auch in dieser Gruppe keine Frau mit einem Kopftuch.

In den Bezirken Newham und Tower Hamlets in London wird man keine Weihnachts-Chöre finden. Dort beträgt der Anteil der Muslime weit über 30% der Bevölkerung. Hier predigen Imame in manchen Moscheen, dass ein Moslem, der Weihnachten feiert, den Propheten beleidigen würde, an manchen Geschäften wurde die Dekoration heruntergerissen, und viele der Besitzer der oft kleinen Läden haben auf jede weihnachtliche Verzierung verzichtet – auch wenn sie keine Muslime sind. Der muslimische Bürgermeister von London versucht zwar immer wieder zu betonen, dass auch die Mitglieder seiner Gemeinde offen und tolerant gegenüber anderen Religionen seien, doch die Realität sieht dann meist anders aus.

Nilufar Ahmed, Professor für Social Science hat dazu – als Moslem – ganz andere Meinungen. Er verteidigt das Recht für Muslime, Weihnachten zu feiern, und bezeichnet es als ein Zusammenkommen der Familien, und nirgendwo in den Büchern der Muslime stünde, dass dies verboten sei. 

Im Gegensatz zu der vorauseilenden Vorsicht mancher Schulen, Politiker und Unternehmen, die auf ihren Ankündigungen und Glückwunschkarten das Wort Weihnachten überhaupt wegließen, und nur mehr von Festen sprachen, hat die britische Supermarktkette »Tesco« einen anderen Weg gewählt und in einer Werbebotschaft für ihre weihnachtlichen Spezialitäten Familien mit unterschiedlichen Traditionen gezeigt – darunter auch eine muslimische Familie. Auf den Proteststurm reagierten die verantwortlichen Manager gelassen und meinten, sie hätten es aus Respekt gegenüber ihren muslimischen Kunden getan – die äußerst zahlreich vor den Weihnachtsfeiertagen bei ihnen einkaufen.

Weihnachts-Verbot

Die muslimischen Berater der Website Islam Online warnen jedoch, dass ein Moslem nie Weihnachten feiern dürfe, da er/sie sonst die religiöse Identität verlieren würde. Besonders Eltern sollten ihre Kinder beeinflussen, dass diese weder in Schulen noch mit anderen Familien an Weihnachtsfeiern teilnehmen sollten.

Vielleicht ist es wie in allen Religionen, dem Christentum, dem Judentum, bei Hindus und Buddhisten, eine unterschiedlich radikale Auslegung der religiösen Schriften und Gesetze, die eine gewisse Toleranz zulässt oder eben nicht. Doch all die Feierlichkeiten, Musikveranstaltungen und Märkte rund um Weihnachten haben sehr wenig mit Religion zu tun und entsprechen einfach nur der westlichen Tradition. Besonders in einer internationalen und multi-kulturellen Stadt wie London amüsieren sich dort Vertreter der unterschiedlichsten Nationalitäten und Religionen. Dass daran keine erkennbar muslimische Familie teilnimmt, ist jedoch eigenartig und vielleicht ein Hinweis auf das Problem der Integration dieser Religionsgruppe.

 

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!

 Über diesen Beitrag auf Facebook diskutieren

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

Curriculum Vitae

Publications