Photo courtesy of the Prints and Photographs Division Library of Congress (edited)
Autos kaufen nichts
Am 14. Februar vor 37 Jahren starb Victor Gruen in Wien, wo er 1903 geboren wurde. Der studierte Architekt, der sein Studium an der selben Hochschule abschloss, wo Hitler abgelehnt wurde, war Zeit seines Lebens überzeugter Sozialist und renovierte als eine seiner ersten Aufträge die Wohnung von Otto Bauer.
Eine winzig-kurze Straße in Favoriten erinnert an den berühmten Wiener, der von Fachleuten oft als ‚einflussreichster Architekt des 20. Jahrhunderts’ verehrt wird. Zwei Merkmale einer modernen Stadt sind ohne seine Ideen nicht vorstellbar: Die Shopping-Mall und die Fußgängerzone.
Viktor David Grünbaum, der sich erst in den USA Victor Gruen nannte, erregte zum ersten Mal Aufsehen mit dem Umbau des ‚Stoffausstatters Singer’, als er den Geschäftsbereich einige Meter zurückversetzte und so seine Philosophie der Schnittfläche zwischen Straße und Geschäft als öffentlichen Raum umsetzte.
Das Multitalent leitete von 1926 bis 1934 das ‚Politische Kabarett’ und befreundete sich im Kabarett Literatur mit einem jungen Kulissenschieber an, Felix Slavik, dem späteren Bürgermeister von Wien, der viele Jahre später Gruens Pläne für die Fußgängerzone im 1. Bezirk umsetzte.
Nach dem Erfolg mit ‚Singer’ bekam er mehrere Aufträge für den Umbau von Geschäften in Wien, bis es 1938 zu einem abrupten Abbruch durch den Einmarsch der Deutschen kam. Gruen konnte in letzter Minute durch die Hilfe eines Freundes, der sich als SA-Mann verkleidete, mit seiner Frau in die Schweiz und dann weiter in die USA flüchten.
Österreich behandelt die Rückkehrer schändlich
Heute wird er gerne und stolz als der berühmte österreichische Architekt von Fachleuten während einschlägiger Kongresse erwähnt. Vergessen die Schande und die Schmach, wie man ihn behandelte, als er in den 60iger Jahren nach Wien zurückkehrte.
1967 verklagte ihn die Bundeskammer der Architekten auf Veranlassung von Herbert Müller-Hartburg. Als verfolgter Jude habe Gruen es verabsäumt, seine für die Bezeichnung „Architekt“ notwendige Urkunde einzuholen. Es sei ihm daher verboten, diesen Titel zu führen und in Österreich als Architekt zu arbeiten.
Das Argument, dass er das Land verlassen musste, um sein Leben zu retten, ließ man nicht gelten. Es wurde allerdings ein typisch österreichischer, fauler Kompromiss beschlossen: Gruen durfte sich nur „Architect“ – mit „c“ geschrieben – nennen und musste der Architektenkammer 10.000 ÖS spenden.
Gruen verzichtete damals auf einen Anwalt und seine zynischen Reaktionen während des Prozesses waren in ganz Wien Gesprächsstoff. Nach Abschluss der Verhandlung sagte er zum Richter: Er würde das Urteil annehmen, könne jedoch nicht garantieren, dass man ihn nun im Cafe Landtmann mit „Guten Morgen Herr Architect mit c begrüßen werde“.
Sein ‚Empfang’ in Wien war symptomatisch für die Antipathie und dem ungebrochenen Antisemitismus, mit dem auch andere Rückkehrer konfrontiert wurden. Dazu passt auch seine sogenannte Rehabilitierung: 2010 wurde ihm posthum die Ehrenmitgliedschaft in der Architektenkammer verliehen.
If you can make it there …
In New York landete er mit acht Dollar in der Tasche, traf jedoch durch Zufall einen Emigranten aus Wien, der ein Ledergeschäft auf Fifth Avenue eröffnen wollte. Gruens modernes Design begeisterte andere Unternehmen und revolutionierte diese berühmte Geschäftsstraße in New York.
1948 gründete er mit dem Österreicher Rudolf Baumfeld das Unternehmen ‚Victor Gruen Associates’. das mit mehr als 300 Mitarbeitern eines der erfolgreichsten Architektenbüro wurde und noch heute mit Niederlassungen in Los Angeles, New York und Washington D.C. aktiv ist.
Nach seinen Plänen entstanden in den 50iger Jahren die ersten klimatisierten Einkaufszentren mit Brunnen, Sitzbänken, Skulpturen, Spiel- und Eislaufplätzen, manche mit Bibliotheken, Ambulanzen, Schulen und Konferenzzentren. Gruen wollte einerseits Leben in die toten Vorstädte bringen und gleichzeitig die Autos aus den Zentren verbannen.
Für die Städte Fresno und Fort Worth plante er zum ersten Mal eine völlig autofreie Innenstadt mit Parkplätzen rund um das Zentrum. Grundlage seiner Idee war die Struktur Europäischer Städte mit großen Plätzen, Alleen und Parkanlagen in den Zentren, wo Menschen genügend Raum hatten, um sich zu bewegen und nicht nur Autos zu benutzen. Er träumte von einen ‚Europäisierung Amerikas’, musste später jedoch eingestehen, dass die Entwicklung eher in Richtung ‚Amerikanisierung Europas’ ging.
Über den Begriff ‚Gruen-Transfer’, der ihn zwar unsterblich machte und die verkaufsorientierte Struktur moderner Geschäfte und Einkaufszentren zusammenfasst, in denen sich der Kunde verliert, seinen geplanten Einkauf vergisst und immer mehr einkauft, war Gruen wenig begeistert.
Wenn man ihn als älteren Mann als ‚Vater der Einkaufszentren’ verehrte und begrüßte war seine Antwort: „Für diese Schweinehunde würde ich nie Alimente bezahlen!“.