Europa muss das Schlepperunwesen endlich abstellen. Der Schlüssel dafür liegt in Rückführungen von Migranten ohne Aufenthaltstitel.
Wut, Entsetzen, Frustration. 27.000 Menschen sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken, Dunkelziffer unbekannt. Es liegt auf der Hand, was zu tun wäre, um das sinnlose Sterben zu stoppen. Allein, wir tun es nicht. Dabei liegt das größte Hindernis wohl nicht im Mangel an Mitteln oder Möglichkeiten, sondern in Realitätsverleugnung auf der einen und Ressentiments auf der anderen Seite.
Während die Migrationslobby für offene Grenzen plädiert, phantasieren nationalistische Populisten für eine „Festung Europa“. Weder das eine noch das andere wird die Migration in sinnvolle Bahnen lenken und das Sterben im Mittelmeer beenden.
Legale Zuwanderung
Weitgehend unbestritten ist die Notwendigkeit legaler Zuwanderungswege in den Bildungs- und Arbeitsmarkt. Einigkeit herrscht hoffentlich auch im Recht auf Asyl. Eine humane Flüchtlingspolitik sorgt entweder für eine sichere Zuflucht nahe den Krisenherden oder öffnet legale Fluchtwege für Asyl- oder Schutzberechtigte.
In seinem Standardwerk über Migration, Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen, plädiert der britische Ökonom Paul Collier am Beispiel Syrien für Ersteres: „Das internationale Prinzip, dass das Land, in dem Flüchtlinge ankommen, für sie verantwortlich ist, existiert aus gutem Grund. Die Nachbarländer eines Krisenherdes, wie im Fall Syriens etwa Jordanien, sind für die in Bedrängnis geratenen Menschen am schnellsten zu erreichen. Doch ebenso wichtig ist, dass von dort die Rückkehr am leichtesten fällt.“
Irgendwann werde wieder Frieden herrschen und ein erheblicher Teil der syrischen Elite, der für immer nach Europa migriert ist, würde dringend gebraucht. Dass die aufnehmenden Nachbarländer jede nötige Unterstützung von Europa bekommen sollten, versteht sich von selbst.
Ob der jüngste Migrationskompromiss der EU umgesetzt wird oder wieder einmal an der Verteilung der Flüchtlinge scheitert, wird sich zeigen. Aber selbst, wenn es gelingt, legale Wege für Arbeitsmigranten zu öffnen, die Außengrenzen dichter zu kontrollieren und wo auch immer für Sicherheit von Asyl- und Schutzberechtigten zu sorgen: Das Sterben im Mittelmeer wird weitergehen, solange der mächtigste Pull-Faktor bestehen bleibt.
Abschiebungen als Gebot der Menschlichkeit
Wer es erst einmal nach Europa geschafft hat, bleibt in Europa – unabhängig von Aufenthaltsstatus oder Arbeitsmarktintegration. Rückführungen in die Herkunftsländer sind die Ausnahme, nicht die Regel. Und im gleichen Ausmaß, wie der Wohlstand in den armen Regionen steigt, wird auch die Zahl der Migranten steigen, die nach Europa drängen. Denn es sind nie die Ärmsten, die migrieren, sondern die relativ Wohlhabenderen der ärmsten Länder.
Egal wie liberal und offen Asyl- und Einwanderungsgesetze auch gestaltet sein mögen: Es wird immer Menschen geben, die für keinen legalen Weg nach Europa qualifiziert sind. Und solange die Ankunft in Europa fast immer ein Ticket für lebenslangen Aufenthalt ist, werden Menschen für einen Platz auf dem Kontinent ihr Leben riskieren.
Aus diesem Grund – so paradox dies klingen mag – sind konsequente Rückführungen ein Gebot der Menschlichkeit. Erst wenn sich die Nachricht verbreitet, dass eine illegale Anlandung den Traum von Europa zerstört, statt ihn zu erfüllen, wird kein Migrant mehr im Mittelmeer ertrinken.
Chancen für alle
Potenzielle Aufnahmeländer werden sich die dafür nötigen Abkommen teuer bezahlen lassen. Mit legalen Migrationswegen, Handelsabkommen, Wirtschaftsinvestitionen und Geld. Doch gerade darin kann für die europäischen Staaten eine Chance liegen. „De-Risking“, also das Streuen von Risiken zur Vermeidung von Abhängigkeiten, ist das Gebot der Stunde.
Es gibt keinen Grund, warum man mittel- bis langfristig Medikamente, Kleidung, Spielzeug oder was auch immer nicht in gleicher Qualität und ähnlich günstig in afrikanischen Ländern produzieren könnte wie in China. Gerade die mittelständischen Unternehmen Europas könnten ihren afrikanischen Kunden und Partnern enormen Nutzen bringen, die Staaten könnten das politische Investitionsrisiko absichern.
Mit dem Aufbau von Industrie und Infrastruktur, der Ausbildung von Arbeitskräften und der Öffnung des europäischen Binnenmarktes, um nur ein paar wesentliche Aspekte zu nennen, könnte Europa ein attraktives Paket mit jenen Ländern schnüren, die bereit sind, abgewiesene Migranten aufzunehmen: Ein Geschäft auf Augenhöhe zum beiderseitigen Vorteil.
Der größte Gewinn Europas freilich läge darin, Einwanderungspolitik endlich nicht mehr als Abwehrkampf zu verstehen, sondern als Chance, Talente zu entdecken und zu fördern. Dabei gilt es, die Interessen der Mehrheitsbevölkerung, der Migranten und der in den Herkunftsländern Zurückgelassenen in Einklang zu bringen. Das wird den Träumern zu wenig sein und den Nationalisten zu weit gehen. Aber es ist gut für alle.
Zuerst erschienen im Pragmaticus.
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