Foto: Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem (© imago images / UPI Photo)
Die Moral ist ein Meister aus Deutschland. Die neuen Deutschen tragen statt Springerstiefel Sneakers, Ballerinas oder Birkenstock. Und sie trampeln damit ebenso unbeirrt und unerbittlich durch die Welt wie ihre Großväter und Urgroßväter.
»An Bundespräsident Steinmeier lag es nicht: Der Gedenktag in Yad Vashem wurde von den egoistischen Auftritten Israels und Russlands überschattet. Eine vertane Chance im Kampf gegen Antisemitismus.« (Sabine Müller, tagesschau)
Sabine Müller hat einen Abschluss als Magistra in »Amerikanistik, Germanistik und Geschichte« und arbeitet seit 2013 im ARD-Hauptstadtstudio. Ihre Fachgebiete, erfährt man vom Hessischen Rundfunk, sind »Bundespräsident, SPD, Frauen, Famile (sic!), Jugend, Innen, Bauen, Heimat, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung«. Frau Müller hat den Bundespräsidenten nach Yad Vashem begleitet. Das macht Sinn, wie man in schlechtem Neudeutsch gerne sagt, ist ja ihr Fachgebiet, der Bundespräsident, und Geschichte hat sie auch studiert.
Zumindest die Nähe zu ihrem Fachgebiet kann man ihr nicht absprechen. Eine »beeindruckend einfühlsame und klare Rede« habe Frank-Walter Steinmeier gehalten, schreibt sie in ihrem tagesschau-Kommentar, »und das auf Englisch, wohlgemerkt«.
Was wiederum den geneigten Leser schwer beeindruckt, wer dürfte schon erwarten, dass der Präsident eine Rede auf Englisch ablesen kann?
Nun, wenn man als erstes deutsches Staatsoberhaupt in Yad Vashem eine Rede halten darf, kann man an diesem Ort den Opfern und deren Hinterbliebenen nicht auch noch die Sprache der Täter zumuten – ein selbstverständliches Zeichen von Respekt und eine diplomatische Mindestanforderung. Aber warum den Hintergrund ausführen, wenn man’s auch als Lobhudelei formulieren kann.
Unwürdig war dagegen, wie Israel und Russland diesen Gedenktag teilweise kaperten. Wie sie vor der offiziellen Veranstaltung sozusagen ihre eigene politische und erinnerungspolitische Privatparty feierten (Sabine Müller, ebd.)
Ein Land der Opfer und ein Land der Befreier von deutscher Vernichtung »kapern« diesen Gedenktag und »feiern« eine »Privatparty«?
Ein schrecklicher Verdacht steigt in mir auf. Haben die das die letzten 75 Jahre etwa auch gemacht? Eine Party gefeiert, während Deutschland »würdig und überzeugend« seiner Opfer gedacht hat? Solange, bis es dem Rest der Welt mit sühnestolz geschwellter Brust Nachhilfe in würdevollem Gedenken erteilen kann?
Deutschland entledigt sich seiner Geschichte, indem es ihrer gedenkt.
Der deutsche Historiker Eberhard Jäckel, dem niemand unlautere Absichten unterstellen kann, offenbarte bei der Feier zum fünfjährigem Jubiläum des Holocaust Mahnmals in Berlin unfreiwillig den eigentlichen Zweck deutschen Gedenkens:
In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Denkmal. Wir können wieder aufrecht gehen, weil wir aufrichtig waren. Das ist der Sinn des Denkmals, und das feiern wir.
Eberhard Jäckel
Jawoll. Und wenn Influencer das Mahnmal auf Instagram als Kulisse für Rabattaktionen verwenden, darf dieser Sinn wohl als erfüllt gelten. Henryk M. Broder hat Recht:
Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wurde nicht zu Ehren der ermordeten Juden gebaut, sondern um die Täter zu rehabilitieren.
Henryk M. Broder
75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ist auch der letzte Bann gebrochen. Deutschland wehrt sich dagegen, dass ausgerechnet Juden und Russen das mühsam eroberte Exklusivrecht auf den aufrechten Gang kapern. Endlich kann ein deutscher Präsident der Welt auch in Yad Vashem zeigen, wie man der Shoa in Würde gedenkt.
Wer, wenn nicht er. Er, der sich vor dem Grab eines der größten Judenmörder der jüngeren Vergangenheit verneigt und einen Kranz niederlegt. Er, der zwar dem neu gewählten Präsidenten der USA die Gratulation verweigert, aber im Namen seiner Landsleute dem Mullah-Regime in Teheran »herzliche Glückwünsche« zum 40. Jahrestag entbietet. Einem Regime, das die Vernichtung Israels vom ersten Tag an zum Staatsziel erklärt hat:
Die arabischen Regierungen sollten sich nach dem Willen Gottes richten und dieses Krebsgeschwür Israel von ihrem Boden entfernen.
Ayatollah Khomeini, 11. November 1978
Frau Müllers nassforscher Kommentar im Aushängeschild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – herablassend, arrogant und selbstverliebt, wie er ist – passt so gut in dieses Land wie die »Demokratie-Abgabe«, die ihn finanziert. Ein Land, das egal wohin es blickt, immer nur sich selbst im Spiegel sieht. Ein Land, das sich seiner Geschichte entledigt, indem es ihrer gedenkt.
Im neuen Deutschland sind Bescheidenheit und Demut überholte Tugenden, und »Westbindung« ist nur mehr ein längst vergessenes Wort aus der Vergangenheit, so wie »Wählscheibe« oder »Bandsalat«. Die Gegenwart gehört den Herrenreitern der Doppelmoral.
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