Künstliche Intelligenz wird uns bald genauso selbstverständlich umgeben wie heute das Internet. Geht es nach den europäischen Datenschützern, werden wir davon nicht profitieren.
Im Grunde ist es ganz einfach: Künstliche Intelligenz (KI) braucht Unmengen an Daten, mit denen man sie trainieren kann. Ohne Big Data keine KI. Und Europa macht das Sammeln von Daten so viel schwerer als die USA oder China, dass wir in der Entwicklung immer weiter hinterherhinken und in der Anwendung nicht das volle Potenzial nutzen werden können. In der digitalisierten Welt wird falsch verstandener Datenschutz zum Innovationshindernis, zum Nachteil von Konsumenten und Wirtschaft. Dass Europa es geschafft hat, mit der Regulierung der Künstlichen Intelligenz voranzupreschen, während anderswo rund um die Uhr an deren Entwicklung gearbeitet wird, ist symptomatisch.
Zwar kann man ganze Bibliotheken digitalisieren, ohne dass sich Fragen nach dem Datenschutz stellen (höchstens welche nach Urheberrechten, aber das ist ein anderes Thema). Geht es jedoch nicht nur darum, wie Texte verfasst, Bilder bearbeitet oder Videos produziert werden, sieht die Sache ganz anders aus.
Ein Blick in die Zukunft
Jede Wette, dass autonomes Fahren den Individualverkehr binnen zwanzig Jahren revolutionieren wird. Stellen wir uns einen Augenblick lang vor, dass Sie jederzeit ein emissionsfrei betriebenes Auto an jedes gewünschte Ziel fährt, ohne sich um Promillegrenzen oder Parkplätze kümmern zu müssen. Wie ein privater Limousinenservice auf Mausklick, rund um die Uhr verfügbar. Klingt gut, ist aber im täglichen Leben leider unerschwinglich?
Nicht unbedingt. Heute entfallen 70 Prozent der Taxikosten auf den Fahrer. Autonome Taxis könnten demnach um ein Drittel ihres heutigen Preises immer noch gewinnbringend betrieben werden. Kommen noch Skalierungseffekte großer Flotten und minimale Standzeiten durch KI-optimierte Einsatzpläne dazu, könnten die Kosten im Vergleich zu heute durchaus auf ein Viertel sinken. Dann konkurriert das autonome Taxi auf Kurzstrecken mit einem Straßenbahnticket und auf dem Land mit dem eigenen Auto – das immer weniger brauchen und wollen werden. Schonend für die Geldbörse, gut für die Umwelt. Fahrerlose Taxis sind die Killer-Applikation der Sharing Economy. Es braucht keine prophetische Begabung, um vorherzusagen, dass es schon aufgrund der exzessiven Datenschutzbestimmungen nicht europäische Unternehmen sein werden, die hier den Ton angeben.
Oder nehmen wir das Thema Gesundheit: Rund 485 Millionen Europäer haben ein Smartphone. Jeder Fünfte trägt eine Smartwatch oder einen Fitnesstracker und erfasst damit zumindest gelegentlich verschiedene Körperfunktionen. Würde man diesen Datenschatz – natürlich anonymisiert – heben, ergäben sich daraus ungeahnte Möglichkeiten in der Gesundheitspolitik.
Wir könnten Gesundheit und Fitness der Bevölkerung nach Alter und Wohnort analysieren und die Infrastruktur der ärztlichen Versorgung zielgenau anpassen sowie Präventionsmaßnahmen zielgenau anbieten. Würden die Smartphone- bzw. Smartwatch-User auch noch ihre eingenommenen Medikamente erfassen und verknüpfte man diese Daten mit einer lückenlosen elektronischen Gesundheitsakte, also einer Art ELGA-plus, ließen sich Wirkung und Wechselwirkungen von Medikamenten besser denn je analysieren.
Die zentrale Erfassung und Analyse, welche Patienten mit welchen Symptomen welche Spitalsbetten belegen, würde die Überlastung des Gesundheitssystems und einen Blindflug wie in der Corona-Pandemie zuverlässig verhindern. Sie ermöglichte auch eine optimale Anpassung und Ausrichtung von Spitälern an den tatsächlichen Bedarf. Dem steht zwar der absurde Föderalismus im Gesundheitswesen entgegen, bei dem Ausgaben- und Einnahmenverantwortung in verschiedenen Händen liegen, aber wir reden ja hier von der Zukunft.
Her mit der Blockchain
Zwischen dieser Zukunft und uns steht ein falsches Verständnis von Datenschutz. Es ist völlig egal, ob die Werbung, die Sie sehen, auf die Interessen zugeschnitten ist, denen Sie im Internet nachgehen. Kein alter weißer Mann vermisst Werbung für Damenhygieneartikel. Und keine junge Frau wird sich daran stören, nicht auf Produkte zu stoßen, die versprechen, eine beginnende Altersdemenz zu mildern. Wichtig ist nur eines: Niemand darf wissen, wer Sie sind. Womit wir zur Technik kommen.
Niemand ist im Internet anonym. Präziser: Jedes Gerät, das mit dem Internet verbunden ist, wird durch eine eindeutige IP-Adresse identifiziert. Der Datenschutz beginnt also bei der Anonymisierung dieser Adresse. Außer dem Provider darf niemand in Erfahrung bringen können, dass hinter dem Notebook mit der Adresse 171.12.456.123 Frau Anneliese Müller aus Unteroberhausen sitzt. Außer auf Gerichtsbeschluss im Zuge eines Strafverfahrens.
Fast könnte man unser Bohei um den Datenschutz für ein gigantisches Ablenkungsmanöver halten.
Und bei der sicheren Anonymisierung der IP-Adresse könnte der Datenschutz auch schon wieder enden. Hat jetzt jemand „Blockchain“ gesagt? Wenn die Technologie sicher genug ist, um ihr Geld anzuvertrauen, ist sie auch sicher genug, um persönliche Daten zu anonymisieren.
Worum es geht
Niemandem schadet das Sammeln von Daten und ihre Verknüpfung und Analyse – wenn sichergestellt ist, dass die Person dahinter anonym bleibt. Dass Europa mit Gesetzesungetümen wie der Datenschutzgrundverordnung oder dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz den Eindruck erweckt, unsere Daten seien unser wertvollster Besitz, ist Humbug. Und ein Protektionismus, der nach hinten losgeht.
Welchem Bewerber soll es nützen, dass ein Unternehmen seine Bewerbungsunterlagen nicht mehr aufbewahren darf, nachdem die Stelle besetzt worden ist? Wie sollen Medien ihr Angebot verbessern, wenn es ihnen immer schwerer gemacht wird, ihre Zielgruppen durch Analysetools zu identifizieren, weil bei den marktführenden Tools Daten in die USA gelangen könnten? Wie soll ein Onlinehändler neue Kunden ansprechen, wenn man sie weder anrufen noch Ihnen eine E-Mail senden darf? Wo soll man Kunden ansprechen, wenn nicht auf Facebook, YouTube, Instagram oder TikTok? An deren Übermacht wird kein noch so nervender Cookie-Hinweis etwas ändern. Im Gegenteil, die Regulierung aller anderen Kanäle treibt die Werbetreibenden zwangsläufig in ihre Arme.
Fast könnte man unser Bohei um den Datenschutz für ein gigantisches Ablenkungsmanöver halten. Denn zweifellos ist es für den Citoyen viel wichtiger, sich vor dem Staat zu schützen als vor Werbung. Und gerade auf staatlicher Ebene plant die EU immer mehr und immer tiefere Zugriffsmöglichkeiten auf unsere Privatsphäre – von WhatsApp bis zum Kühlschrank, wie hier nachzulesen ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Zuerst erschienen im Pragmaticus.
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