PHANTASTISCHES

P

Phantastisches nach der Wahl

Inhalte

Nach der Wahl ist vor der Wahl: Deutschland diskutiert, ohne sich auszutauschen, verdrängt, phantasiert, bespiegelt sich ungehemmt weiter – und findet wie früher auf dem Schulhof vor allem Gefallen an der Frage, wer mit wem geht. Ist sonst nichts los? Außer markigen Sprüchen wie „eins auf die Fresse“ und „jagen“ gibt es nicht viel, das die Leute diesseits und jenseits der medialen Trennlinie erregt. Kaum jemand interessiert sich dafür, dass Schulz, Merkel und Seehofer, während Petry in Vorlage gegangen ist, von ihren Parteien bald abrasiert werden könnten. Dass es Inhalte gäbe, interessiert noch weniger.

Warnungen

Wahrscheinlich ist die Sehnsucht nach Inhalten nichts als ein Romantizismus, denn es sieht sehr danach aus, als stünden die phantastischen deutschen Verhältnisse ein für alle Mal fest und würden, um dem Gefühl von Eintönigkeit vorzubeugen, allenfalls im Detail Abwechslung erfahren. Inhalte würden, wie bei der neuesten Warnung zum Thema Gesundheit und Ernährung, bloß stören! Rohes Hühnerfleisch, heißt es da, dürfe man auf gar keinen Fall abspülen, weil das sehr, sehr gefährlich sei wegen der Bakterien, die sich auf den toten Tierchen in hoher Zahl einfinden und dabei in der Gegend umherspritzen. Wenige Monate zuvor, pünktlich zum Beginn der Grillsaison, hieß es noch: Hühnerfleisch solle man vor dem Garen unbedingt und auf jeden Fall abspülen, sonst werde es sehr, sehr gefährlich – wegen ebenjener Bakterien. Sich in solchen Momenten an TTIP und sein legendäres Chlorhühnchen zu erinnern, das die bösen Keime sozusagen im Keim erstickt hätte, ist eine schwerwiegende romantische Verirrung auf Basis inhaltlicher Phantasien – wovor noch mehr zu warnen ist!

Flugangst

Wer früher Flugangst hatte, litt unter der Zwangsphantasie, dass die geflügelte, stählerne Riesenzigarre unterwegs ihren Luftbetrieb einstellen und mitsamt allen Passagieren ins Bodenlose stürzen könnte. Weil aber solche Ängste längst in den Rang veritabler Krankheiten erhoben sind, wird das dahinterstehende Ohnmachtsgefühl definitorisch wegtherapiert und taugt höchstens noch als Beleg für medizinische Allmachtsphantasien. Durch die Hintertür kehrt die Flugangst jedoch zurück ins Cockpit des Lebens: Air Berlin und Ryan Air laden sie mit neuer Bedeutung auf. Im Wesentlichen auch hier nichts Neues.

Problemwölfe

Nichts belegt den deutschen Hang zur Phantastik besser als der besorgte Umgang mit jenen Wölfen, die aus Polen einwanderten und hierzulande inzwischen etliche Rudel bilden. Es wird eine sentimentale Anti-Rotkäppchen-Stimmung verbreitet, die den Wolf zum hochgradig schützenswerten Bewohner deutscher Wälder und Auen stilisiert. Menschenscheu sei der Wolf und absolut keine Gefahr! Wer andere Ansichten äußert, wird in ein ökologisches Zerrbild gesteckt und ähnlich stigmatisiert, wie wenn er es wagt, die analoge Phantastik in Genderdingen zu hinterfragen. Nun jedoch, da die rotgrüne Regierung in Niedersachsen kurz vor der Wahl ihre Felle davonschwimmen sieht, überwiegt die Sorge vor der Niederlage die phantastische Sorge ums Wohlergehen der Wölfe: Ähnlich der plötzlichen Kehrtwende in der Flüchtlingsproblematik bei Wagenknecht und Nahles, will man in Niedersachsen nun den Abschuss problematischer Wolfsrudel erlauben. Und Bayern zieht sofort nach.

Problemwähler

Und wenn sich in Gender-Toiletten und Gender-Duschen eines Tages ähnliches begibt, das den Wähler beim Gang an die Urne beeinflusst? Spätestens dann wird man sehen, wie ärmlich die gesamte deutsche Phantastik im Kern ist, die im Letzten stets zurückweicht vor dem Unmut der Wähler, statt sie ins Leere laufen zu lassen. Mit ein bisschen mehr Phantasie wäre es doch schon jetzt ein Leichtes, Flüchtlinge sonder Zahl, Namen und echtes Motiv uneingeschränkt positiv erscheinen zu lassen und Wölfe per politischem Dekret ungefährlich zu machen! Alles, was es dazu braucht, ist der Begriff des Problemwählers. Zwingt dessen phantasieloses Kreuz auf dem Wahlzettel denn nicht förmlich dazu, seine Wahlentscheidung aus dem amtlichen Endergebnis herauszurechnen? Wenn sich das endlich jemand trauen würde, böten sich uns die phantastischsten Zukunftsperspektiven!

Über den Autor / die Autorin

Alexander Gusovius

Alexander Hans Gusovius ist Schriftsteller und Philosoph. Seine Grundüberzeugung: „Nichts geschieht zufällig, ohne deshalb vorherbestimmt zu sein.“ Seine Grundhaltung: „Freiheit ist das höchste Gut von allen.“ Er ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Schwarzer Hut“ und mit dem Fußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim verbunden. Seine Artikel erschienen bisher in der WeLT, im Schweizer Monat, in MAXIM und in Novo Argumente. Zu seinen Büchern geht es auf www.alexander-gusovius.de.

2 comments

  • So phantastisch scheint mir der Umgang mit „Problemwählern“ gar nicht. Wird doch schon jetzt fleißig der kritische Andersdenkende in die Ecke der, in psychischer Hinsicht problematischen, Patienten gesteckt. Voller Angstneurosen und Hemmungen ist der nämlich, ein psychisch instabiler Globalisierungsverlierer, von geringer Bildung, so kündet es der politisch-mediale Komplex – und der muß es ja schließlich wissen, nicht wahr.

    Von der politischen Klasse wird diese Klientel als „Pack“, „Dumpfbacken“ und „Dunkeldeutsche“ stigmatisiert und damit quasi „zum Abschuß freigegeben“. Oder es wird ihnen, wie von Herrn Ministerpräsidenten Tillich, gleich das Menschsein an sich abgesprochen (“Das sind keine Menschen, die sowas tun. Das sind Verbrecher“). Demzufolge können sie auch keine Menschenrechte für sich beanspruchen. Ist doch logisch.
    Sozusagen der erste Schritt zur Vogelfreiheit. Reichsacht reloaded.
    Ein Politiker der umbenannten Mauermord-Partei trumpfte hier mit der Bezeichnung „Menschenfeinde“ auf. Andersdenkenden wird das von Politikern das Menschsein abgesprochen und zu „Menschenfeinden“ erklärt – kann man es da wirklich verantworten, sowas an die Wahlurne zu lassen…?