Photo: Gerhard W. Loub, CC BY-NC 2.0
Meine Jahre mit Haider (1)
Vorwort
Ich möchte die Leser der Beiträge über meine Zeit, in der ich Jörg Haider kannte und in der FPÖ aktiv war, vorwarnen, um falsche Erwartungen und Enttäuschungen soweit es geht zu verhindern. Wie so oft in meinen Beiträgen geht es um Anekdoten, Geschichten und Erlebnisse mit persönlichen Gedanken dazu. Ich bin kein »Aufdeckungs-Journalist«, überrasche Leser nicht mit Sensationen, die bisher keiner kannte, »entlarve« niemanden und biete keine »Abrechnung« – weder mit Haider noch mit mir selbst, das versuchen andere zu oft und wiederholen sich und werden fast unerträglich langweilig damit. Die österreichische Medienlandschaft zum Thema »Jörg Haider« übt sich in der Kopie einer schlechten Kopie und bietet seit Jahren nichts Neues. Meine Texte sind Erinnerungen, nicht mehr und nicht weniger.
Das erste Interview
Während irgendeiner Redaktionskonferenz der neu gegründeten österreichischen Tageszeitung Der Standard kam es zu einer Auseinandersetzung über den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider.
Der damals verantwortliche Chefredakteur forderte ein Interviewverbot in – wie er es nannte – »seiner Zeitung« auf der Grundlage der Aussagen von Jörg Haider und meinte, für Menschen mit solchen Überzeugungen sei in dieser Zeitung kein Platz. Ich weiß nicht mehr, welche seiner Aussagen damals gemeint war, vielleicht war es die »ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich« oder seine Begrüßung von ehemaligen SS-Männern, auf jeden Fall sollten wir Journalisten nur das Notwendigste über ihn berichten und nicht mit ihm sprechen.
Aus New York kommend, mit wenig Erfahrung mit heimatlichem Journalismus, versuchte ich einzuwenden, dass es ja in der Zeitung nicht um unsere Sympathie ginge, sondern um Information für unsere Leser, und Haider ein Thema in Österreich sei, das man nicht einfach ignorieren könne, wurde jedoch als alpenländischer Anfänger belehrt, das sei eben hier anders, hier würde man noch Stellung beziehen mit der Auswahl von Interviews, und ich würde hier nicht bei der New York Times arbeiten – bei der ich übrigens nie gearbeitet hatte.
Nun mag es vielleicht Grundlage meiner gestörten Persönlichkeit sein, dass alles, was von Autoritäten als »nicht-kosher« erklärt wird, meine besondere Aufmerksamkeit erregt – wie die Bemerkung unseres Deutschlehrers, er würde Franz Kafka einfach nicht verstehen, was für uns Zwölfjährige bedeutete, der Schriftsteller sei eben nichts wert, allerdings zur Folge hatte, dass ich die nächsten Jahre nichts anders las als Kafka. Mit Zustimmung des Herausgebers machte ich mich deshalb auf den Weg nach Kärnten, um über diesen »boykottierten« Politiker eine Reportage zu schreiben.
Ich buchte einen Flug nach Klagenfurt, fuhr zum Flughafen und stellte mich beim Einchecken an, als mir eine Gruppe Männer auffiel, die laut lachend vor mir in der Reihe stand. Mitten unter ihnen Jörg Haider. Sie scherzten mit anderen Passagieren, und einige gingen auf Haider zu und wollten mit ihm persönlich sprechen. Er schüttelte ihnen die Hand, schlug manchen auf die Schulter, als würde er sie seit Jahren kennen, und als er einer Frau sagte, er könne sich an sie erinnern, als sie ihn am letzten Parteitag angesprochen hatte, war diese außer sich vor Begeisterung und umarmte ihn.
Das soll der »Teufel« der österreichischen Innenpolitik sein, dachte ich mir. Ich stand in der Reihe der Wartenden und beobachtete das heitere Treiben ohne mich einzumischen oder etwas zu sagen, als Haider auf mich zukam und mich fragte: »Und sie, wohin sind sie unterwegs?«
»Zu Ihnen« antwortete ich.
Er lachte. Ich erklärte ihm, dass ich von der Zeitung Der Standard käme, mit dem Auftrag einer Reportage über Kärnten nach Klagenfurt unterwegs sei und natürlich gerne ein Interview mit ihm machen würde. Er ging nicht weiter darauf ein, weil die Flugbegleiterin die Wartenden aufforderte, den Bus zu besteigen, der uns zum Flugzeug brachte.
Mein Platz war weit hinten, er saß mit seiner Gruppe in den vorderen Reihen des Flugzeugs, das eigentlich viel zu groß für den Flug nach Klagenfurt und nur wenig besetzt war. Kurz nach dem Start stand er auf, kam zu den rückwärtigen Reihen und setzte sich neben mich.
»Ich kenne die meisten Journalisten, aber Sie habe ich noch nie gesehen«, sagte er, und ich erzählte ihm, wo ich die letzten Jahre verbracht hätte und wie ich zum Standard kam. Beschrieb ihm kurz die Jahre in New York von 1984 bis 1986, wo ich als freier Schriftsteller gelebt und an »Schuldig geboren« gearbeitet hatte, meine Zeit als Chefredakteur der »Männer Vogue« in München, und dass ich 1988 nach Wien zur Gründung des Standards gekommen wäre.
Ich erwähnte mit keinem Wort meine familiäre Situation oder meine Religion. Dochte er ahnte sehr bald, dass ich nicht der übliche Reporter des innenpolitischen Ressorts einer österreichischen Tageszeitung sei. Er begann, mir konkrete Fragen zu stellen, alle ganz zufällig und scheinbar unbeabsichtigt. Mir gefiel es, wie er versuchte, mehr Informationen über mich heraus zu bekommen, und spielte mit bei dem Spiel, indem ich ihm Antworten gab, die nichts bedeuteten, bis er die Geduld verlor und mich fragte, wer ich wirklich sei. Ich nannte ihm die beiden Bücher, die ich in den Jahren zuvor geschrieben hatte über die Nachkriegs-Generation der Kinder der Opfer und der Täter, und er erinnerte sich sofort an die Inszenierung von »Schuldig Geboren« durch George Tabori im Theater Der Kreis in Wien, über die er in den Zeitungen gelesen hatte. Doch ich wollte nicht mein Leben zum Thema machen und unterbrach unsere Reise in meine Vergangenheit mit Fragen zu seinen politischen Ansichten, Zielen und Plänen.
Er wolle die große Koalition sprengen, antwortete er sofort, die seit Jahrzehnten Österreich in Geiselhaft halte, weshalb man weder Wohnung noch einen Lehrerposten ohne Parteibuch bekommen würde. Zwangsmitgliedschaften und die Aufteilung der Bevölkerung in Parteimitglieder müssten ein Ende haben. Er beschrieb die reale Situation in Österreich mit einer Kaltschnäuzigkeit und einem präzisen Intellekt, die überzeugend waren. Ich hörte ihm zu und überlegte ständig, wie ich ihn unterbrechen könnte, um diese rhetorische Perfektion zu zerstören. Mir half einer seiner Mitarbeiter, der zu uns kam und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Haider nickte und meinte, er müsse zurück zu den anderen, aber wir könnten ja morgen in seinem Büro weiterreden.
»Nur eine Frage«, sagte ich schnell.
»Ihre Diagnose der österreichischen Realität und alles, was sie vorhaben, klingt logisch und überzeugend und ich bin sicher, dass viele in Österreich eine Änderung dieser Form der Korruption anstreben. Aber wie können Sie jemals politische Verantwortung übernehmen, wenn Sie für einen großen Teil der Wähler einfach nicht wählbar sind?«
«Wie meinen Sie das?«, fragte er mich, sein Gesicht wurde plötzlich ernst und der ganze Charme des ewig Jung-Gebliebenen war verschwunden.
»Die ständigen Tabuverletzungen und Provokationen mit der Nazizeit, wozu, bringt das wirklich Stimmen?«
Einen kurzen Moment lang sagte er nichts, wirkte fast nachdenklich, murmelte etwas Unverständliches, drehte sich um und ging zurück zu seiner Gruppe. In Klagenfurt am Flughafen sprach mich sein Assistent an und bat mich, am nächsten Tag um 10.00 Uhr Vormittag in Haiders Büro zu kommen, er wolle unbedingt mit mir sprechen.
Dies ist die erste von Peter Sichrovskys neun Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war.
Teil 2: »Dann müssen Sie halt auf mich aufpassen!«
Teil 3: »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 7: Meine Funktion als jüdische Angelegenheit
Teil 8: Diktatoren und ein Sonderkonto. Der Absturz.
Teil 9: Gescheitert. Das Ende und die Zeit danach.
Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!