MORDE UNTER UN-AUFSICHT

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Photo: Tiggy Ridley, TFID, (edited), CC BY-NC-ND 2.0

Völkermorde unter Aufsicht der UNO

Das zweiteilige britische TV-Drama ‚Warriors – Einsatz in Bosnien‘ schildert die Erlebnisse der Besatzung eines Warrior-Schützenpanzers eines britischen Blauhelm-Bataillons 1992/93. Das auf bloße Selbstverteidigung beschränkte Einsatzmandat der Soldaten zwingt sie auch angesichts schwerster Kriegsverbrechen zur Untätigkeit. Die traumatischen Erlebnisse verfolgen die Soldaten noch nach ihrer Rückkehr.

Der reale Hintergrund des Films ist das Massaker von Ahmići, bei dem am 16. April 1993 ungefähr 120 bosnische Muslime, darunter Frauen und Kinder, von bosnisch-kroatischen Soldaten getötet worden waren. Die UN-Truppen vor Ort waren zur Untätigkeit verdammt. Sie wussten was geschehen wird, hätten es verhindern können, durften aber nicht.

Ruanda

Neun Monate nach diesem Massaker, am 11. Jänner 1994, warnt der Kommandeur der in Ruanda stationierten 2500 Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen, der Kanadier Roméo Dallaire, seine Chefs vor der bevorstehenden „Vernichtung“ der Tutsi-Minderheit. Sein Hilferuf auch Verstärkung bleibt vergebens. Die UN-Zentrale weist ihn an, Ruhe zu bewahren und die örtlichen Behörden zu informieren.

Am 6. April putschen die Hutu-Extremisten in Ruanda. Sie schießen den gemäßigten Präsidenten Habyarimana in seinem Flugzeug ab und beginnen schon eine halbe Stunde später systematisch damit Tutsi umzubringen. Am Tag darauf ermorden sie zehn belgische Blauhelm Soldaten.

Am 8. April fordert Dallaire telefonisch Hilfe bei UN-Generalsekretär Kofi Annan. Mit nur 4.000 zusätzlichen Soldaten könne er das Morden stoppen. Annan verbietet ihm Partei zu ergreifen. Zur gleichen Zeit werden die Tutsi vor den Augen der Militärbeobachter  hingeschlachtet:

Zunächst trieben die Gendarmen die Tutsi ins Kircheninnere, dann sammelten sie die Ausweise der Erwachsenen ein und verbrannten sie, dann riefen sie die zahlreichen zivilen, mit Macheten bewaffneten Milizionäre heran und übergaben die Opfer ihren Mördern. Methodisch und mit viel Prahlerei und Gelächter gingen die Milizionäre von Bank zu Bank und hieben und hackten mit ihren Macheten auf die Menschen ein. Einige starben sofort, andere, die bereits schreckliche Wunden davongetragen hatten, bettelten um ihr Leben oder um das ihrer Kinder. Niemand wurde verschont. Kinder flehten um ihr Leben, aber erlitten dasselbe Schicksal wie ihre Eltern.” (Roméo Dallaire)

Bis Ende Juni ermorden die Hutus unter Aufsicht und mit Wissen der Vereinten Nationen eine Million Tutsis.

“Ich habe das Gefühl, dass wir ein Ablenkungsmanöver waren, ja sogar die Opferlämmer spielen mussten, damit die Staatsmänner sagen konnten, die Welt unternehme etwas, um das Morden zu stoppen. Tatsächlich waren wir nichts anderes als ein Feigenblatt.”, beurteilt Dallaire später die Ereignisse.

Er selbst wird seine von der Führung der Weltgemeinschaft verordnete Hilflosigkeit nie verkraften und versucht nach seiner Rückkehr zweimal, sich das Leben zu nehmen.

Die Süddeutsche Zeitung dokumentiert die Chronik des Versagens. Nicht einmal 6.000 Soldaten hätte es gebraucht, um den Völkermord an einer Million Menschen zu stoppen. Wären statt der Tutsi die Berggorillas ausgerottet worden, hätte die Welt wohl kaum tatenlos zugesehen.

Srebrenica

Im Zuge von ethnischen Säuberungen besetzen die Serben 1992 das am Ende eines engen Tals gelegene Srebrenica. Wenige Wochen später erobern bosnisch-muslimische Truppen die Kleinstadt zurück, die darauf zur Zuflucht für Bosnier aus den umliegenden Dörfern wird.

Die US-Geheimdienste mahnen im März 1993 die Einrichtung einer Sicherheitszone um Srebrenica an, um die Zivilisten zu schützen. Im April 1994 erklären die Vereinten Nationen Srebrenica gemeinsam mit fünf anderen Städten zu Schutzzonen. Doch statt der von den amerikanischen Diensten eindringlich geforderten Kampftruppen werden lediglich 450 leicht bewaffnete Blauhelme aus den Niederlanden entsandt.

»Im Rahmen ihres Auftrages entwaffneten die Männer des „Dutchbat“ den Großteil der Verteidiger Srebrenicas und übernahmen die Verantwortung für die Sicherheit der Bewohner. Immer mehr muslimische Bosnier strömten nun in den vermeintlich „sicheren Hafen“. Vor der Armee der „Republik Srpska“ und den serbischen Milizen wähnten sie sich hier geschützt. Die Zahl der Einwohner Srebrenicas vervielfachte sich – von 6.000 auf 40.000.« (Die WELT)

Am 11. Juli 1995 überrennen serbische Truppen die Schutzzone. Die niederländischen Soldaten ergeben sich kampflos. Weder dürfen sie sich verteidigen noch könnten sie es. Die von ihren vermeintlichen Beschützern zuvor entwaffneten Bosnier sind den Serben hilflos ausgeliefert. In den Tagen darauf ermorden serbische Einheiten im Massaker von Srebrenica mehr als 8.000 Männer.

Auch der erste Genozid auf europäischem Boden seit dem zweiten Weltkrieg fand unter Aufsicht der UNO statt.

Aus der Geschichte lernen

Wir kennen die Niederlande und die Niederländer vom Massaker in Srebrenica. Wir wissen, wie sehr ihre Moral durch die 8000 Bosnier, die massakriert worden sind, gebrochen wurde.“, legte Erdogan kürzlich den Finger in die noch immer offene Wunde der Niederlande. Doch trotz seines wahren Kerns geht jeglicher Vorwurf an die Niederlande oder an das Dutchbat ins Leere. Die 450 Blauhelme konnten das Massaker nicht verhindern.

Die Aufregung über die Ausfälle Erdogans sollte aber Anlass sein, die Hilflosigkeit der Vereinten Nationen bei den Völkermorden, die unter ihrer Aufsicht stattfanden, zu thematisieren. Insbesondere, wenn es um einen angemessenen Beitrag zum Militärhaushalt oder zum Budget der NATO geht, oder um Vorschläge zum Schutz Israels durch internationale Truppen.

Wer sich auf den militärischen Schutz der Vereinten Nationen verlässt, bezeugt was er aus der Geschichte gelernt hat: nichts.

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.