MEINE FUNKTION ALS JÜDISCHE ANGELEGENHEIT

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Photo: Jacqueline Godany (edited), © Alle Rechte vorbehalten

Meine Jahre mit Haider (7)

Israel, Jüdische Gemeinde, Judentum – ein besonderes Kapitel während meiner politisch aktiven Zeit. Sie war von Widersprüchlichkeiten geprägt, von Ärger, Zorn und persönlichen Angriffen, bis zu Sympathie und Unterstützungsangeboten. Wie immer, wenn es um Juden geht, sie lassen nichts aus.

Manche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde oder jüdische Nicht-Mitglieder konnten meinen Entschluss, für die FPÖ zu kandidieren, nicht fassen. Wobei rückblickend eine unterschiedliche Reaktion zu beobachten war zwischen den einen, die das Judentum als Religion lebten, und den anderen, die es eher als politische Gemeinschaft sahen. Besonders aggressiv reagierten die Linken unter den Juden und ehemalige Kommunisten und deren Nachkommen, die mit ihrem Verständnis von Tradition und Kultur ungefähr so jüdisch waren wie mein Dackel. Jedoch jetzt plötzlich – als ihnen mit dem Ende des Kommunismus die politische Überzeugung zerrann wie Sand zwischen den Fingern – stülpten sie sich das Judentum ihrer Vorfahren über wie die Großmutter das Nachthemd.

Ehemalige stolze und wortreiche Funktionäre der verschiedenen Kommunistischen Studentenvereinigungen, die einst Israel verachteten als engsten Verbündeten der verhassten USA, sangen plötzlich Jiddische Lieder, benutzen Worte aus der Religion in ihrer Alltagssprache, trugen Davidsterne um den Hals und kritisierten mich als Verräter des Judentums. Ihre eigenen Schandtaten, wie die Bewunderung der Massenmörder Mao und Stalin und die Verteidigung der brutalen kommunistischen Diktaturen, wurden als »Jugendsünden« verharmlost, vergessen oder verleugnet, und plötzlich waren sie die lautesten Schreier unter meinen Kritikern. Der in der Religion nicht existierende Begriff des »Verrats« wurde aus der politischen Schublade geholt und auf das pervertierte Religionsverständnis jener übertragen, die ein paar Jahre zuvor noch palästinensische Attentate feierten und die Angriffskriege der arabischen Nachbarn auf Israel einen »Kampf gegen den Imperialismus« bezeichneten.

Von den nicht-jüdischen Kritikern wurde diese Argumentation – der Juden gegen den Juden – mit Begeisterung übernommen, und immer wieder fragten mich Journalisten, was meine »jüdischen Freunde« zu dieser Entscheidung sagen würden, als hätte sie je interessiert, wie diese vorher über mich dachten. Als mich bei einer Pressekonferenz ein Journalist fragte, wie ich als Jude bei der FPÖ mitarbeiten konnte, reagierte ich mit einer Gegenfrage, warum er nicht meinem Kollegen, der neben mir stünde und Christ sei, die gleiche Frage stelle. Als er nicht reagierte, forderte ich ihn auf, doch zu erklären, was mir in Österreich als Jude erlaubt sei und was nicht, damit ich in Zukunft als »Jude« keine Fehler mehr machen würde. Er antworte nicht. Ich ließ nicht locker und sagte: »Dass sie mir nun gestatten, eine Parkbank zu benutzen, bedeutet nicht, dass sie mir vorschreiben können, bei welcher Partei ich kandidieren darf.« Dann sprang er auf und verließ den Saal.

Mein Judentum wurde plötzlich zu einem politischen Thema, und jene, die mich als »Hausjuden« der FPÖ verhöhnten oder als »Judas«, der sich den Verrat bezahlen ließe, forderten mich gleichzeitig auf, mich vom Antisemitismus der FPÖ zu distanzieren und fanden nichts dabei, genau die Methoden gegen mich einzusetzen, die sie angeblich verachteten. Antisemitismus bekam plötzlich eine gewisse Berechtigung, wenn er sich gegen den politischen Gegner, den »rechten Juden« richtete, und die Empörung war abrufbar, je nachdem gegen wen man sie benötigte.

Doch es gab auch diese »anderen« Juden, die das Judentum als Religion ernst nahmen und nicht als »Vereinsmeierei« eines politischen Briefmarkenklubs. Als die neue Führung der Wiener Gemeinde während der jüdischen Feiertage die Sicherheitsorgane anwies, mich nicht in die Synagoge zu lassen, luden mich die Bucharischen Juden in ihre Synagoge ein. Als der offizielle Rabbiner der Gemeinde den Kontakt mit mir vermied, lud mich der orthodoxe Rabbiner an einem Freitagabend zu Shabbat ein. Einer seiner Gäste warnte, er würde nicht bleiben, falls ich nicht gehen würde. Ihm antwortete der Rabbiner, das sei erstens sein Haus und zweitens gehe es um Shabbat, an dem jeder Jude sein Gast sei.

Brüssel

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung, in dem mich der Journalist immer wieder nach dem problematischen Verhältnis zwischen mir und der Jüdischen Gemeinde befragte, rutschte mir eine zynische Bemerkung über den Präsidenten der Israelitischen Kulturgemeinde aus, der daraufhin auf Ehrenbeleidigung klagte. Das EU-Parlament garantiert den Abgeordneten Immunität, die jedoch von einem eigenen Ausschuss aufgehoben werden kann.

Zu meinem Erstaunen sprachen in dem Ausschuss hauptsächlich österreichische Abgeordnete der SPÖ und der Grünen, die in wahren Hassanfällen den anderen Abgeordneten erklärten, dass ich der reine Faschist sei, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde mit aggressiv antisemitischen Angriffen beleidigt hätte und daher ausgeliefert werden sollte. Ich wurde aufgefordert, zu den Angriffen Stellung zu nehmen und erklärte den verblüfften Abgeordneten aus anderen Ländern, dass sie sich hier in eine innenjüdische Angelegenheit einmischen würden, in einen Konflikt, den ich mit »meinem« Präsidenten austragen würde als Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Sie hatten keine Ahnung, dass ich selbst Jude war, hüteten sich nach meiner Wortmeldung, in den Streit hineingezogen zu werden und lehnten eine Aufhebung der Immunität ab – sehr zur Enttäuschung der Vertreter der SPÖ und Grünen.

Israel 1

Im März 2000 erreichte mich eine Einladung des Fraktionssprechers der arabischen Liga im Israelischen Parlament, Joseph Salem, das israelische Parlament, die Knesset, zu besuchen. Eine wilde Hektik brach los, denn der organisierte Boykott durch Israel war Teil der politischen Strategie der SPÖ, die internationale Isolation als Argument für das Versagen der Koalitionsregierung zu benutzen. Doch die arabischen Abgeordneten ließen sich nicht beirren, empfingen mich im Parlament, führten mich herum und organisierten ein Mittagessen im Restaurant der Knesset für mich. Während des Essens umkreisten uns andere Mitglieder des Parlaments, bis einer von ihnen, Maxim Levy von der Arbeiterpartei, mich begrüßte. Dann kamen andere dazu und es begann eine rege Unterhaltung über Österreich, die FPÖ und die Regierung.

Ein paar Tage später protestierte Joseph Salem über die APA gegen die einseitige Berichterstattung meines Besuchs im ORF und in der Tageszeitung Der Standard. Er meinte, selbst der Bericht im israelischen TV sei ausgeglichener und fairer gewesen.

Israel 2

Im September 2001 kündigte Susanne Riess (damals Riess-Passer) an, in ihrer Funktion als Vize-Kanzler und Sportminister im Oktober zum Fußballspiel Österreich gegen Israel nach Israel zu fahren. Wieder setzte ein hektisches Treiben ein, um diese Reise zu verhindern. Der österreichische Botschafter in Tel Aviv warnte, er könne die Sicherheit für Susanne Riess nicht garantieren, und prominente jüdische Vertreter wollten sie überreden, nicht zu fahren, bevor nicht die Beziehungen sich verbessert hätten. Doch Susanne Riess ließ sich nicht beirren und flog nach Tel Aviv.

Ich traf bereits ein paar Tage vorher ein, um ein Programm zu organisieren, wobei ausgerechnet die österreichische Vertretung mit allen Mitteln versuchte, den Besuch zu boykottieren. Zuerst hieß es, es gäbe keine Karten für das Spiel. Als ich entgegnete, ich würde einfach welche an der Kasse im Stadion kaufen, hatte die Botschaft plötzlich Karten, die uns vor dem Stadion überreicht wurden. Unsere Plätze waren irgendwo in der letzten Reihe auf der Ehrentribüne, obwohl die israelische Regierung und der Präsident in der ersten Reihe saßen. Ich sagte den Ordnern, Susanne Riess sei die Sportministerin, und wir würden einfach zur ersten Reihe gehen, der Botschafter bekam fast eine Herzattacke, doch ich ließ mich nicht beirren, ging hinunter zur ersten Reihe und wir setzten uns einfach. Niemand versuchte, uns zu zurück zu schicken, nur der Botschafter meinte, dies sei ihm alles zu viel, er ließe sich entschuldigen, und verschwand einfach.

Während der Pause gingen wir in den Aufenthaltsraum der Ehrentribüne, und ganz vorsichtig und langsam, einer nach dem anderen, kamen israelische Politiker und begrüßten Susanne Riess, unter ihnen der damalige Bürgermeister von Jerusalem und zahlreiche Abgeordnete der Knesset.

Israel 3

Während eines Besuchs in Israel nach der Regierungsbildung zwischen FPÖ und ÖVP sprach mich ein Mann im Hotel an und stellte sich als Kontaktperson zur Regierung vor. Wir gingen ins Café des Hotels, und er fragte mich nach den Beziehungen der Partei zu Syrien. Ich informierte ihn über die Rolle des damaligen Verteidigungsministers Herbert Scheibner als ehemaliger Präsident der Österreich-Syrischen Gesellschaft, doch er wusste davon und fragte, ob Scheibner bereit wäre, nach Syrien zu fahren und nach dem Schicksal der drei an der Grenze zu Libanon entführten israelischen Soldaten zu fragen.

Scheibner öffnete den Kontakt zur syrischen Regierung, und in den kommenden Jahren flog ich regelmäßig nach Damaskus und von dort über Zypern nach Israel, um über die Gespräche zu berichten. Israel lud auch Herbert Scheibner zu einem inoffiziellen Besuch nach Tel Aviv ein, und der stellvertretende Verteidigungsminister Israels kam nach Wien. Kein Journalist erfuhr davon.

In Damaskus sprach ich mit Vertretern der Regierung, am häufigsten mit Mustafa Tlas, dem Verteidigungsminister. Er wusste, dass ich nach den Gesprächen in Damaskus nach Israel fahren würde. In Tel Aviv versuchten Fachleute aus den Antworten ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Oft unterbrachen sie mich bei meinen Berichten und erklärten mir, ich solle meine Eindrücke für mich behalten und mich auf die reine Wiedergabe der Gespräche konzentrieren. Sie wollten jede Einzelheit wissen, wer an den Treffen teilgenommen hatte, deren Namen und wo sie stattgefunden hatten. Nach einem dieser Besuche in Damaskus sagten die Israelis, die mich befragten, es sei sinnlos, die würden dort alle lügen und die Soldaten seien wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Nach ein paar Jahren stellte sich heraus, dass sie recht hatten. Die Soldaten wurden bereits bei der Gefangennahme getötet. Wie sie das aus der Wiedergabe von mir völlig nichtssagend erscheinenden Gesprächen erkannt hatten, blieb mir immer ein Rätsel.

Ein paar Jahre später wurde in Österreich ein Verfahren gegen mich eröffnet, wegen Zusammenarbeit mit einem ausländischen Geheimdienst. Ich wurde mehrere Male einvernommen, doch das Verfahren wurde eingestellt.

Dies ist die siebte von Peter Sichrovskys neun Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war.

Teil 1: »Nur eine Frage«
Teil 2: »Dann müssen Sie halt auf mich aufpassen!«
Teil 3: »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 8: Diktatoren und ein Sonderkonto. Der Absturz.
Teil 9: Gescheitert. Das Ende und die Zeit danach.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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