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Das Wasser hat sich zurückgezogen, jetzt müssen die Schäden beseitigt werden. Der Status der Flutkatastrophe beschreibt metaphorisch das ganze Land. 

Die Flut hat den TV-Wahlkampf in zwei Hälften geteilt. Vor der Katastrophe warben die Parteichefs um Wähler, nach der hochwasserbedingten Wahlkampfpause um Koalitionspartner. Gemäßigt im Auftritt, konziliant im Tonfall. Erst in der Schlussrunde ging es wieder heftiger zur Sache, da war in Wien vermutlich die Kreide längst ausverkauft. Alle können mit allen, außer mit Kickl, mit dem kann keiner. Zumindest vor der Wahl.

Beinahe körperlich geschmerzt hat in den Sommergesprächen und TV-Runden die Selbstverzwergung von Journalismus und Politik. Man plauderte über retuschierte Wahlplakate und übers Bergsteigen, über Corona und die üblichen Nabelschau-Themen der Innenpolitik. Interviewende und Wahlwerbende schienen sich darin einig, dass Österreich eine Insel sei – offen blieb nur, ob eine Insel der Seligen oder eine der Armen, auf der sich Eltern keine warme Mahlzeit für ihre Kinder leisten können. Und so lieferten die einen die Stichworte und die anderen die erwarteten Antworten. 

Außenpolitik fand nicht statt. Ich habe nicht alle Sendungen verfolgt, aber für jene, die ich gesehen habe, gilt dieser Satz – mit Ausnahme der letzten Duelle im ORF, wo die Sicherheitspolitik adressiert wurde – wortwörtlich. Kein Wort zu Europa. Kein Gedanke an die Welt. 

Russland führt Krieg gegen den Westen. Militärisch in der Ukraine, propagandistisch gegen ganz Europa. Putin findet Unterstützung bei islamistischen Schurkenstaaten wie dem Iran und genießt die Sympathie von Ländern des „Globalen Südens“, die gegen die Vormachtstellung des Westens aufbegehren. Südlich des Kontinents kämpft Israel um seine Existenz. Zwischen den USA und China ist ein neuer Kalter Krieg im Entstehen, in dem die Positionierung Europas aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten komplexer ist als im alten. 

Die ganze Welt ordnet sich gerade neu und Österreich wird davon mindestens so stark betroffen sein wie vom Klimawandel.

Geopolitik blieb in diesem provinziellen Wahlkampf die meiste Zeit genauso außen vor wie Deutschlands Wirtschaftskrise. Beides wird uns in den nächsten Jahren aber mehr beschäftigen als viele glauben. Und weil jede Partei einen oder mehrere Koalitionspartner braucht, blieb auch der innenpolitische Elefant im Raum unerwähnt: die unverhältnismäßige Macht der Landesfürsten. 

Reality Check

Kurz: Die ganze Welt ordnet sich gerade neu und Österreich wird davon mindestens so stark betroffen sein wie vom Klimawandel. Der Unterschied: vom Klimawandel hören wir jeden Tag, von den geopolitischen Verwerfungen nicht einmal im Wahlkampf. Beeinflussen werden wir das eine wie das andere nicht, aber darauf einstellen können wir uns sehr wohl. Nein, müssen wir uns sogar. 

Dass Politiker angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen immer noch mit Mythen über die Neutralität durchkommen, die schon in der Vergangenheit frei erfunden waren, stellt nicht nur den jeweiligen Politikern, sondern auch der Bevölkerung und den Medien kein gutes Zeugnis aus. In aller Klarheit: Es war nie die Neutralität, die unsere Sicherheit garantiert hat, sondern der atomare und konventionelle Schutzschirm der NATO. Keine einzige Partei spricht sich für die Integration Österreichs in die europäische Sicherheitsarchitektur – die NATO – aus. Eine europäische Armee, deren Stärke die anglo-amerikanischen Länder ersetzen könnte, ist bloß eine Fata Morgana. Und für Sky Shield gilt: Nomen est omen. Raketenabwehrsysteme machen ein Land nicht zum Angriffsziel, sie wehren Raketen ab. 

Zu den außenpolitischen Herausforderungen kommen die wirtschaftlichen. Wenn Deutschland niest, bekommt Österreich immer noch die Grippe. Auf 500 bis 1.000 Milliarden Euro schätzen Wirtschaftsforscher die bisherigen Kosten der deutschen Energiewende. McKinsey rechnet mit insgesamt sechs Billionen (!) Euro. Die Bilanz: kein Effekt aufs Klima, extrem hohe Energiepreise und ein „schmutziger“ Strommix mit hohem Kohleanteil. Der schleichende Selbstmord der Autoindustrie, eine desaströse Infrastruktur und jede Menge bürokratischer Zumutungen besorgen der Industrie gerade den Rest. Sie flüchtet an andere Standorte. 

Wer aktuell über höhere Unternehmenssteuern und eine Verkürzung der Arbeitszeit spricht, betreibt maximale Realitätsverweigerung.

Unsere Industrie steht vor ähnlichen Problemen und hat zusätzlich durch hohe Lohnabschlüsse an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. So schlittern wir gerade durch das zweite Jahr der Rezession. Angesichts der desaströsen Bilanz der deutschen Energiewende klingt jedes Wort, das an die Argumentation ihrer deutschen Proponenten erinnert, als gefährliche Drohung. Und wer in dieser Situation gar über höhere Unternehmenssteuern und eine Verkürzung der Arbeitszeit spricht, betreibt maximale Realitätsverweigerung.

Nach der Wahl

Der Staat wird sparen müssen. Als gelernter Österreicher weiß man, was das in Wirklichkeit bedeutet: Entweder wir werden mehr zahlen oder weniger Leistung bekommen. Bürokratie spart selten an sich selbst, Parteien schon gar nicht. Und selbst wenn die nötigen Justierungen an Lohnnebenkosten und Pensionsantrittsalter vorgenommen würden (eine ausgesprochen optimistische Annahme), bleibt das Grundübel des Staates unangetastet: Föderalismus ohne Verantwortung. 

Im Prinzip ist Föderalismus eine feine Sache: je kleiner die Einheit, desto näher ist die Politik am Bürger. Überall auf der Welt steigt die Akzeptanz von Entscheidungen mit der Nähe zum Ort, an dem sie getroffen werden. Aber wer über die Ausgaben entscheidet, sollte auch für die Einnahmen sorgen. In der Schweiz ist der Wettbewerb unter den Kantonen ein wesentlicher Faktor für ihren Erfolg. 

Nichts senkt Ausgaben effizienter als Konkurrenz.

Bei uns werden rund 46 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes über den Finanzausgleich an Länder und Gemeinden verteilt. Wir sollten sie dieses Geld über eigene Steuern selbst einheben lassen. Bei einem Steuerwettbewerb unter den Bundesländern entscheiden Bürger und Unternehmen durch die Wahl ihres Standorts, ob die Höhe ihrer Steuern dem gebotenen Gegenwert entspricht. Nichts senkt Ausgaben effizienter als Konkurrenz.

Sollten Sie sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden können, brauchen Sie sich nicht zu sorgen: Niemand, der die Macht zu einer solchen Reform hätte, hat ein Interesse an ihr. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir bis zur nächsten Wahl konsequent ein paar heilige Kühe unseres Landes in Frage stellen würden. Nichts ist unveränderlich. 

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.