KRITIK DER EMPATHIE

K

Photo: Mike Herbst, CC BY-NC 2.0

Über den Zusammenhang zwischen ‚Blade Runner‘ und der Flüchtlingskrise

Heute, auf den Tag genau vor 35 Jahren, lief der Science Fiction-Klassiker Blade Runner erstmals in den amerikanischen Kinos an. Der Science Fiction-Streifen avancierte damals rasch zum Klassiker, weil er auf geniale und visuell überaus eindrucksvolle Weise Schlüsselelemente des Film Noir aus den 1930er und 40er Jahren in ein post-apokalyptisch anmutendes Los Angeles der Zukunft verlagerte.

Die Handlung von Blade Runner folgt einem von Harrison Ford gespielten Detektiv, der Jagd auf Androiden macht – Maschinen, die wie Menschen aussehen und auch täuschend ähnlich wie Menschen agieren. Bereits in der ersten Szene des Films sieht man, wie ein Androidenjäger feststellen kann, ob es sich bei einer Person um einen echten Menschen oder nur um einen menschenähnlichen Androiden handelt: mit Hilfe des „Voight-Kampff-Tests“ – einer Mischung aus Lügendetektor und Turing Test, der die Fähigkeit zur Empathie misst. Sprich: die Fähigkeit, sich in andere Lebewesen und deren Schmerzempfinden einzufühlen. Diese Fähigkeit zur Einfühlung und Empathie wird damit zum zentralen Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Maschine; sie ist es, die den Menschen erst zum Menschen macht und von einem künstlich konstruierten Organismus und Geist abhebt.

Flüchtlinge als „Empathietest“

Der Begriff der Empathie erlebte zur Zeit der Flüchtlingskrise 2015/16 eine wahre Hochkonjunktur. Auch damals war die Empathie plötzlich das entscheidende Unterscheidungsmerkmal – zwischen den zum Mitgefühl mit den „Refugees“ fähigen Menschen auf der einen und den dumpfen Fremdenfeinden auf der anderen Seite (hier zwei typische Beispiele aus jenen empathiegeladenen Tagen – aus dem Tagesspiegel und der ZEIT. Erst nach und nach wurden damals auch Stimmen laut, nicht zuletzt von wissenschaftlicher Seite, die an dieser reduktionistischen und romantisierenden Vorstellung von Empathie Anstoß nahmen.

Was bei vielen auffällt, die den Begriff der Empathie damals wie heute besonders lautstark für sich und ihr Engagement in Sachen Flüchtlinge bzw. Migranten reklamieren: Ihre Empathie erstreckt sich stets nur auf die Fremden. Es gibt eine Unfähigkeit zur Empathie mit den Einheimischen, die oft sozial viel schlechter gestellt sind und in ihren Wohngegenden und in ihrem Alltag die Hauptlast der Zuwanderung zu tragen haben – und dieser Zuwanderung entsprechend skeptisch bis ablehnend begegnen.

Erschreckend auch, wie schnell und leichtfertig man diesen Menschen deshalb die Menschlichkeit abspricht, sie als emotional und seelisch deformierte Wesen darstellt und ihnen Menschenfeindlichkeit unterstellt (und sie damit ihrerseits zu Menschenfeinden stempelt).

Das wiederum führt zurück zu Blade Runner oder präziser: zum Roman ‚Do Androids Dream of Electric Sheep‘ von Philip K. Dick, der dem Film als Vorlage diente. Die Idee zu den Androidenjägern war Dick nämlich ursprünglich gekommen, als er in einem amerikanischen Archiv die privaten Aufzeichnungen eines SS-Mannes las, der nahe des Warschauer Ghettos stationiert war. Indem dieser darin die dort lebenden Juden als Untermenschen beschrieb, verlor er in den Augen Dicks seine Qualitäten als Mensch und wurde selbst zum Un-Menschen. Auch der Androidenjäger, so die paradoxe Pointe der Romans und des Filmes Blade Runner, mutiert bei seiner erbarmungslosen Jagd auf alles Nicht-Menschliche selbst zu einer gefühl- und seelenlosen Tötungsmaschine.

Zur gefälligen Beachtung gerade auch für all jene, die anderen gerne pauschal die Fähigkeit zur Mitmenschlichkeit und zum Menschsein absprechen.

Über den Autor / die Autorin

Richard Brem

Richard Brem ist freier Publizist und Kurator. Er begann seine journalistische Laufbahn Ende der 1980er Jahre bei der "Ö3 Musicbox". Weitere Tätigkeiten unter anderem: Redakteur bei der "Futurezone" von ORF On und bei der Ö1-Sendung "Matrix - Computer und Neue Medien"; Gestalter von Multimedia-Porträts über Hedy Lamarr (1998) und Peter F. Drucker (1999); Rechercheur für die BBC; Initiator/Co-Kurator der Ausstellung "Re: Leviathan. Visuelle Formierungen von staatlicher Macht" (Wien & Düsseldorf 2003) sowie Mitbegründer der digitalen Filmfestivals "RESFEST Vienna" und "Frameout" im MuseumsQuartier Wien.

1 comment

  • Damit greifen Sie einen wichtigen Punkt auf. Vielen Menschen fehlt heutzutage das innere Verständnis für die politisch-medialen Vorgänge der Gegenwart. Sie stehen dem Kampagnenjournalismus, den immer gleichen Medieninhalten verständnislos gegenüber. Der Schlüsselbegriff sind Verständnis der Gegenwart heißt Illusionstheater.
    „Gelingende Integrationsanstrengung“ heißt das Stück, welches vom politisch-medialen Komplex gegeben wird. Beinhaltet die gelungene Integration von Flüchtlingen, die permanent Terroristen festhalten, wenn sie gerade nicht gefundene Brieftaschen abliefern. Beinhaltet das Narrativ, dass millionenfach Anwälte und Ärzte, Architekten und Geisteswissenschaftler in Deutschland einströmen, die „wertvoller als Gold“ sind, so Herr Schulz. Da dies erkennbar mit der Realität nicht übereinstimmt, muss logischerweise jeder Einfluss, welcher dem sorgfältig inszenierten Bühnenbild nicht entspricht und somit den Erfolg des Stückes gefährden könnte, unterbunden werden. Daher schafft man gezielt mit Phrasen wie hatespeach und Hetze eine Atmosphäre, in welcher ein grundgesetzwidriges Machwerk wie das sog. „NetzdurchsetzungsG“ entstehen kann. Denn alle Informationsquellen, welche die angestrebte Illusionsbildung beim Theaterpublikum gefährden können (Facebook-Seiten, Weblogs et cetera.) müssen zwingend ausgeschaltet werden. Auch die um sich greifende Uniformität und Gleichgerichtetheit der Medienlandschaft ist unter diesem Gesichtspunkt erklärbar.
    Begriffe wie Figurenhandlung und Regieanweisung machen deutlich, warum eine oppositionell Auffassung zu diesem Integrationskurs innerhalb des Parteienkartells überhaupt nicht existieren kann. Ist doch die Spieltechnik der jeweiligen Bühnenfiguren für das Gelingen der Illusion beim Publikum schlichtweg existentiell. Reale dissidente Strömungen, wie etwa AfD oder Pegida müssen logischerweise stigmatisiert und kriminalisiert werden, will man denklogisch die vorgegebene „Alternativlosigkeit“ der umgesetzten Politik aufrechterhalten.
    (gekürzte Fassung, vollständig auf: kirchfahrter.wordpress.com)