AUS FÜR DICKE SÄNGERINNEN?

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Lisette Oropesa, Photo von Florida Grand Opera, CC BY 2.0

Auf den Opernbühnen zählt immer öfter Schönheit statt Stimme

Lisette Oropesa, in den USA als Tochter von Kubanischen Einwanderern geboren und Siegerin des ‚National Council Grand Finals‘ an der Metropolitan Opera in New York 2005, war eine der ersten, die sich darüber beklagte, dass Opern-Regisseure und Direktoren immer öfter Sängerinnen nach dem Aussehen auswählen würden und immer weniger nach deren Stimmen.

Es gäbe Rollen, für die Casting-Direktoren aufgrund von Werbematerial und Selbstdarstellungen der Sängerinnen eine Vor-Auswahl treffen, und dies nur auf der Grundlage des Aussehens tun, ohne die Betreffenden zu einem Vorsingen einzuladen.

Lisette Oropesa, die immerhin letztes Jahr an der Royal Opera in London und am Glyndebourne Festival gesungen hatte und laut ihrer Web-Page für das Jahr 2018 praktisch ausgebucht ist, musste (laut einem Interview mit der ‚Times’ in London) für die ‚Auffüllung‘ ihres Opernplanes einige Kilos abtrainieren, um für manche Rollen wieder attraktiv genug zu sein. Nach dem sensationellen Beginn ihrer Karriere gingen plötzlich die Aufträge zurück, nachdem sie etliche Kilos zunahm und immer runder wurde.

Eine andere Sängerin, Danika Loren, Mitglied der ‚Canadian Opera’ beteiligte sich an einer ‚love your body‘ Fotoserie, um gegen die immer wichtiger werdenden Äußerlichkeiten bei der Auswahl von Sängerinnen zu protestieren. In mehreren Interviews beklagte sie eine Situation, in der die Opernhäuser, die mit einem nachlassenden Publikumsinteresse konfrontiert sind, versuchen über Show-Elemente jüngere Zuseher zu gewinnen. Singende ‚Schönheiten‘ seien heute gefragt und nicht unbedingt jene, die die besten Stimmen hätten. Eigenartigerweise gingen Operndirektoren davon aus, dass jüngere Leute eher nach optischen Eindrücken Entscheidungen treffen als nach der Qualität der Musik.

Gewichtsverlust der Callas

Die berühmteste Abmagerungskur einer Sängerin war wohl der dramatische Gewichtsverlust von Maria Callas in den 1950-iger Jahren, der tatsächlich ihre Popularität explodieren ließ. Die Diskussion der Opernliebhaber, ob dieser plötzliche Gewichtsverlust auch ihre Stimme beeinflusste, hat bis heute kein Ende gefunden. Gleichzeitig war es jedoch damals durchaus üblich, dass sich Sängerinnen wie Monsterrat Caballé unabhängig von Gewicht und Aussehen in der Opernwelt als Superstars durchsetzen.

Maria Callas, fotografiert von Houston Rogers

Jahrzehntelang dominierte das unbewiesene Vorurteil, dass ‚große‘ Frauen auch ‚große‘ Stimmen hätten. Man akzeptierte eine gewisse Vorstellung, wie großartig singende Sängerinnen aussehen müssten und erwartete förmlich eine gewisse Figur, ohne die man sich die entsprechende Stimme nicht vorstellen konnte. Einer ‚mageren‘ Sängerin trauten die Zuseher keine ‚volle‘ Stimme zu. Es gehörte fast schon zum Image einer erfolgreichen Sängerin, rund und stattlich auf der Bühne zu stehen.

Sophie de Lint, Operndirektorin aus Zürich, widersprach in einem Interview mit der NZZ dem Mythos der ‚fülligen‘ Sängerinnen. Es stimme zwar, dass viele berühmte Sängerinnen kräftige und runde Körper hätten, das habe jedoch nichts mit der Technik oder der Stimmqualität zu tun, sondern eher mit dem unregelmäßigen Leben der Stars, die von einer Stadt zur anderen reisen und unter enormen Stress stünden. Zu der eher rundlichen Bianca Castafiore nannte sie die Sopranistin Evelyn Herlitzius als Gegenbeispiel, die täglich Sport mache und bestens trainiert sei, die täglichen Proben und Aufführungen ohne Gewichtszunahme zu überstehen.

Mit der Änderung des Schönheitsideals, den immer dünner werdenden Models in der Modebranche und unter den Film-Stars, änderte sich auch die Erwartungshaltung für die Opernbühne. Deborah Voigt wurde einst für eine Produktion der ‚Adriane auf Naxos‘ von Richard Strauss im ‚Royal Opera House‘ ausgetauscht, weil ihr das kurze schwarze Kleid nicht passte, das der Regisseur für die Rolle ausgewählt hatte. Auch sie begann daraufhin eine radikale Abmagerungskur und trägt nun Kleidergröße 40-42 im Vergleich zu 56-58 zuvor.

„unansehnlich und unattraktiv“

Sängerinnen wie Tara Erraught provozierten eine monatelange Auseinandersetzung unter Opernkritikern, nachdem einige von ihnen ihr Auftreten in ‚Der Rosenkavalier‘ mit dem Argument kritisierten, sie sei zu klein und zu dick für die Rolle. In der englischen Tageszeitung ‚The Telegraph‘ schrieb der Kritiker: „Das Talent dieser jungen, aus Deutschland kommenden Irin steht außer Zweifel. Sie singt mit lebhafter Selbstsicherheit und zeigt sich als muntere Komödiantin. Aber sie hat so eine plumpe Figur.“

Im ‚Guardian‘ klagte der Kritiker, es sei schwer, sich diesen untersetzten Octavian als glaubwürdigen Liebhaber der gertenschlanken Marschallin vorzustellen. In der ‚Financial Times‘ hielt man die Formulierung in anderen Zeitungen für angemessen, Tara Erraughts sei „ein Bündel von Babyspeck“ und in der ‚Times‘ bezeichnete man sie als „unansehnlich und unattraktiv“.

Die aggressive Berichterstattung löste einen Sturm der Entrüstung aus. In der Diskussion ging es weniger um die Sängerin als um die Kritiker, denen man vorwarf, sich aus reiner Verzweiflung, weil sie keiner mehr lesen würde, mit dummen Provokationen als Schreibende zu retten. Im Zeitalter von ‚Likes‘ brauchen Journalisten die Aufmerksamkeit der Online-Leser. Aus den Erfahrungen der politischen Kommentatoren lernen nun auch Kultur-Journalisten, wie sie am schnellsten zu Lesern kommen könnten – oft mit reiner Provokation und Aggression.

Lisette Oropesa sprach in mehreren Interviews auch über die Veränderung der Gewohnheiten der Zuseher. Das ‚Schauen‘ werde offensichtlich auch in der Opernwelt immer wichtiger als das ‚Zuhören‘. Die Internet-Seiten der Sängerinnen hätten sich deshalb verändert, so wie die Covers der CDs. Sexualität und Erotik in der klassischen Musik sei eine neue Dimension der Vermarktung. Sängerinnen würden sich auf Schallplatten-Covers in erotischen Posen zeigen, und Operndirektoren versuchten, mit zum Teil verzweifelten Aktionen in die Medien zu kommen und durch PR und Provokationen neue Zuseher anzulocken. Es ist eine Tatsache, dass das Opernpublikum immer älter wird und nur zum Teil durch Jüngere ersetzt werden kann. Nun wird herumexperimentiert, wie man diesem Trend begegnen könnte.

Der Regisseur der neuen Produktion von ‚Rigoletto’ an der Royal Opera in London versuchte einen ähnlichen Weg. Hier kommt es zu Nackt- und Vergewaltigungs-Szenen auf der Bühne, die von mehreren Schauspielern kritisiert wurden. Erst die Weigerung einiger Sänger, bestimmte Szenen zu spielen, löste eine Diskussion in den Medien aus, die allerdings auch den Verkaufszahlen der Oper nützte. Eine Tageszeitung beklagte, dass das Singen durch eine provokante Show in den Hintergrund gedrängt werde, die eigentlich mehr spießig als erotisch anmute.

Oropesa ging in ihrer Kritik so weit, dass sie Beispiele nannte, wo Frauen mit Rollen betraut wurden, die absolut nichts mit ihrer Stimmlage zu tun hätten. Diese Entwicklung würde auch immer mehr Männer betreffen. Ein schwergewichtiger Sänger sei eben in den Augen der Casting-Direktoren eher ein Falstaff als ein Don Giovanni, auch wenn die Stimmen genau umgekehrt passen würden.

Körper und Stimme

Körper und Stimme waren nie voneinander zu trennen und es gab immer wieder Sängerinnen, die durch ihre Ausstrahlung und Persönlichkeit trotz mangelnder Stimmqualität zu Superstars wurden.

Richard Wagner schrieb einst über Wilhelmine Schröder-Devirent: „Sie hatte gar keine Stimme, aber sie wusste so schön mit ihrem Atem umzugehen und eine wahrhaft weibliche Seele durch ihn so wundervoll tönend ausströmen zu lassen, dass man darüber weder an Singen noch an Stimme dachte.“ Er engagierte sie für seine Opern Rienzi, Der Fliegende Holländer und Tannhäuser.

Regisseure, Opern-Direktoren, Kritiker und auch Zuseher wollen heute angeblich das perfekte Schauspiel geboten bekommen. Dass Sängerinnen wie Deborah Voigt darüber klagen, dass sie nach der aggressiven Abmagerungskur mit massiven Alkoholproblemen zu kämpfen hatten, interessiert niemanden. Sie bekommt nun die Rollen, die man ihr vor ein paar jähren verweigert hatte und das Publikum ist zufrieden. Oder auch nicht, wer weiß das schon. Operndirektoren und Regisseure versuchen neue Wege, ohne dass es dafür Unterlagen gäbe, ob sie auch nützen. Das Regietheater hat die Oper erreicht und der perfekt erotische Show-Effekt soll die Zuseher entweder zurückholen oder neu gewinnen.

Nach der Beleidigung der Sängerin Tara Erraught durch Kultur-Journalisten in den englischen Zeitungen untersuchten Kritiker dieses aggressiven Ausbruchs der sogenannten Fachleute die Briefe und online-Kommentare der Zuseher. Kaum jemand hat sich über die Figur der Sängerin aufgeregt. Es hatte sich eine Provokation unter Journalisten verselbständigt, die außerhalb des Kreises jener ausgetragen wurde, die auch für ihre Eintrittskarten bezahlten. Eine selbstgefällige Gesellschaft der Beurteiler fühlte sich ermächtigt zu verurteilen und provozierte eine Diskussion unter Beurteilern, die die Mehrheit der Zuseher nie erreichte.

Ob auf diese Weise junge Menschen motiviert werden, mehr in die Oper zu gehen?

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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5 comments

  • Inwieweit der Bauchumfang tatsächlich mit dem Stimmumfang zusammenhängt, darüber habe ich noch nichts gelesen.

    Lisette Oropesa, Deborah Voigt und Tara Erraught sind schlanker um Größenordnungen schöner als mit starkem Übergewicht, dasselbe gilt für ihre männlichen Kollegen, und bestimmt auch insgesamt gesünder.
    Als selbst ehemals Dicke weiß ich, um wieviel besser sich ein schlanker Körper anfühlt! Starkes Übergewicht loszuwerden ist auf jeden Fall eine gute Idee, und ich gratuliere allen, die das auf vernünftige und gesunde Weise schaffen. Der Wunsch danach sollte aber nicht von außen aufoktroyiert werden!

    Und was „sex sells“ anbelangt: auch für die Vergabe von Opernrollen gibt es bestimmt da und dort die „Besetzungscouch“.

  • „Sex Seils“ ist in der klassischen Musik schon lange ein Thema. Pianistinnen, die am CD-Cover lasziv über dem Flügel drapiert sind oder Sängerinnen in Minimal-Outfits haben die Verkaufszahlen. Ich erinnere mich, welche internen Kämpfe es mich kostete, vor 20 Jahren als damalige Marketingleiterin des Brucknerhauses NICHT das Wet-T-Shirt-Foto von Vanessa Mae zu verwenden, sondern ein ebenso hübsches, aber weniger lolitahaftes.

  • In der Tat. Anna Netrebkos Karriere wurde zu Beginn immer unter Hinweis auf ihre Modelmaße gehypt. Gut war sie natürlich immer schon. Ansonsten: Deborah Voigt hat sich ihren Magen verkleinern lassen. Schon vorher war Alkohol ein Thema, wie sie in ihrer Autobiographie schreibt. Dort sagt sie auch, dass die Figur irgendwann von der Stimme ablenkt. Ihre Partner Ben Heppner und Luciano Pavarotti wurden als „breitschultrig“ und „umarmbar (huggable)“ bezeichnet, sie als fett. Stimmfächer haben bestimmte Körpertypen. Birgit Nilsson und Gwyneth Jones waren beide kräftig, allerdings nie stark übergewichtig. Fett resoniert eben auch nicht. Luciano Pavarotti hat gesagt: Wer glaubt, Übergewicht schade nicht der Stimme, macht sich etwas vor. Trotz alledem nehmen – ungerechtfertigte – visuelle Besetzungsentscheidungen überhand, sicher auch, weil die Entscheider besser sehen als hören können.

  • So betrachtet dürfte die füllig gewordene Anna Netrebko auch keine Engagements bekommen.