GOLAN UND GAZA, SORGE UND EMPÖRUNG ÜBERALL

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Irit Shitrit, getötet von einer Rakete auf Ashdod 2008, Amir F. Ebrahimi, CC-BY_SA 2.0

Wenn ganz Israel zur Siedlung wird

Auf eines ist so gut wie immer Verlass: Wenn sich die Welt um den Nahen Osten sorgt und sich über das dortige Geschehen empört, dann gilt die Sorge nicht der Sicherheit Israels und die Empörung nicht den Angriffen auf seine Bürger. Vielmehr empört man sich, wenn Israel politisch gestärkt wird, und sorgt sich, wenn der jüdische Staat sich wehrt. 

So war es, als der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer so »traurig und zornig« über die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem war, dass er wutentbrannt in die Tasten griff, und so ist es heute, wenn sich die Welt empört, weil Donald Trump Israels Souveränität über die Golan-Höhen anerkennt. Dass gestern Nacht im Sekundentakt Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel niedergingen, besorgt oder gar empört außerhalb Israels niemanden. Exemplarisch dazu der Bericht auf ORF Online, der mit diesem Absatz beginnt:

Streit um Golan. Sorge und Empörung nach Trump-Dekret
US-Präsident Donald Trump hat am Montag wie angekündigt formell Israels Souveränität über die Golanhöhen anerkannt. Die Unterzeichnung des Dekrets erfolgte während eines Besuchs von Israels Premier Benjamin Netanjahu im Weißen Haus. Netanjahu befindet sich mitten im Wahlkampf – und einer militärischen Eskalation: Israel flog am Montag Luftangriffe im Gazastreifen.

ORF Online

Man beachte den Doppelpunkt: Für den ORF beginnt die militärische Eskalation mit israelischen Luftangriffen, nicht mit Raketen aus dem Gazastreifen. Wo so viel Objektivität und Sachverstand zuhause sind, kann es schon mal passieren, dass ein unterbezahlter Online-Redakteur ganz Israel für eine »Siedlung« hält:

Screenshot von orf.at

Zur Erinnerung: Das »Siedlungshaus« steht in Mishmeret, einer kleinen Ortschaft nördlich von Tel Aviv, mitten in Israel. Es wurde von einer Rakete getroffen, die aus 120 Kilometern Entfernung in Rafah abgefeuert worden war. Sieben Menschen wurden verletzt, darunter ein Baby, ein drei Jahre alter Junge und ein 12-jähriges Mädchen. Das bei dem Angriff schwer beschädigte Haus gehört britisch-israelischen Doppelstaatsbürgern aus London, der Familie Wolf. Robert Wolf sagte, dass er mit seiner Frau Susan, seinem Sohn, seiner Schwiegertochter und seinen Enkelkindern zu Hause gewesen sei, als die Rakete einschlug: »Ich habe beinahe meine Familie verloren. Wenn wir nicht rechtzeitig zum Luftschutzbunker gekommen wären, würde ich jetzt meine ganze Familie begraben.«

Inzwischen hat der ORF den Eintrag korrigiert und aus dem »Siedlunghaus« ein »Haus« gemacht. Unverändert blieb die Formulierung, Netanjahu habe nach dem Treffer »Vergeltung angekündigt«. In Wirklichkeit sagte er »we will respond with force«. Nun kann man »to respond« mit allen möglichen Varianten von »antworten« übersetzen, »Vergeltung üben« gehört freilich nicht dazu. Und obwohl der ORF den Satz Netanjahus in einem anderen Beitrag korrekt übersetzt – »Es gab hier einen bösartigen Angriff auf den Staat Israel, und wir werden mit Nachdruck reagieren« – darf die Formulierung »Vergeltung üben« in keinem Beitrag fehlen. Ohne das Bild vom rachsüchtigen Juden geht es einfach nicht, ob man es nun mit »Vergeltung« malt oder mit »Auge um Auge, Zahn um Zahn« – ein Wunder, dass die »Gewaltspirale« nicht vorkommt. Vielleicht habe ich die aber auch nur übersehen.

Die Empörten und Besorgten

Immerhin erfährt der geneigte Leser auch, wer sich aller über Donald Trumps Dekret empört. Syrien zum Beispiel habe die Entscheidung einen »abscheulichen Angriff auf die Souveränität und territoriale Integrität Syriens« genannt, der Beschluss des US-Präsidenten sei der höchste Grad an Missachtung und ein Schlag gegen die internationale Gemeinschaft. Nun, nach Giftgas und Fassbomben auf die eigene Bevölkerung, einer halben Million Toten und sechs Millionen Flüchtlingen hat Assad zweifellos eine gewisse Expertise darin, was ein »Schlag gegen die gegen die internationale Gemeinschaft« ist. Bleibt nur die Frage, was er mit »territorialer Integrität Syriens« gemeint haben könnte.

Rührend auch die Sorge Russlands, »dass diese Entscheidung … die Lage in der Region insgesamt verschärfe«. Der russische Außenminister Sergej Lawrow habe seinen US-Kollegen Mike Pompeo am Telefon vor einer »schweren Verletzung des internationalen Rechts« gewarnt. Also ich wäre als amerikanischer Außenminister nach dieser Warnung sicher total geknickt gewesen, um nicht zu sagen moralisch tief getroffen. Schließlich zeigt Russland in der Ukraine vorbildlich, wie man internationales Recht umsetzt, da hätte man sich doch ein Beispiel nehmen und am Golan wenigstens ein Referendum abhalten können. 

Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin schließlich twitterte, dass diese Entscheidung und die Tatsache, dass Israel zugleich den Gazastreifen bombardiere, Ausdruck einer »friedensfeindlichen« Gesinnung sei. »Von wem auch immer das unterstützt wird, die Besetzungs- und Kriegspolitik ist nicht legitim und unmenschlich.« Gute Beweisführung, zugegeben. Kaum schickt man als kleine Geste der Völkerverständigung eine Rakete, zeigt der Adressat seine friedensfeindliche Gesinnung. Ich finde das auch empörend und google zur Beruhigung „türkei+kurden+syrien“, um mich mit der türkischen Friedenspolitik zu trösten.

Wenn Israel an der Gewaltspirale dreht und Donald Trump den Nahostfrieden gefährdet, ist es gut, wenn wenigstens einer kühlen Kopf bewahrt. Wer, wenn nicht er: Heiko Maas, der deutsche Außenminister, der wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist. Wer könnte mehr um die Sicherheit Israels besorgt sein, die ja bekanntlich deutsche Staatsräson ist. Und tatsächlich: »Heiko Maas erkennt die Sicherheitsinteressen Israels auf den annektierten Golanhöhen an.« Da haben die Israelis noch mal Glück gehabt. Und ebenso konsequent wie folgerichtig lehnt Maas die völkerrechtliche Anerkennung der Annexion ab, weil einseitige Schritte eine Konfliktlösung erschwerten.

Wer jetzt verwirrt ist, kennt die Prinzipien der europäischen Nahostpolitik nicht: Wenn die USA Israel politisch den Rücken stärken, erschwert das die Konfliktlösung, wenn iranische Raketen an der Grenze zu Syrien auf Israel zielen, macht das nichts. Muss man nicht verstehen, ist einfach so. Nicht nur in Deutschland.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.