GESCHEITERT. DAS ENDE UND DIE ZEIT DANACH.

G

Photo: sugarmeloncom via Wikimedia CommonsCC BY 2.0

Meine Jahre mit Haider (9)

Meine 1996 begonnene politische Karriere endete 2004 mit dem Ausscheiden aus dem EU-Parlament. Im Jahr 2000 trat ich der Freiheitlichen Partei bei, wurde mit einer Gegenstimme zum Generalsekretär für Auslandsbeziehungen gewählt, und trat 2002 aus der Partei aus. Von 2002 bis 2004 blieb ich im EU-Parlament als »unabhängiges« Mitglied im Parlament, was nicht viel an meiner Situation änderte, da ich ohnehin auch zuvor in keine Fraktion aufgenommen worden war. Mein ursprüngliches politisches Ziel, bei der FPÖ aktiv mitzuarbeiten, wurde im letzten Jahr meiner politischen Laufbahn durch das persönliche verdrängt, in den übrigen Monaten meiner Zeit in Brüssel und Strasbourg alle guten Restaurants auszuprobieren.

Während dieser acht Jahre dominierte Jörg Haider mit seinen wechselhaften politischen und persönlichen Zielen, seinen Interessen und Launen, das Schicksal der Partei, war für den Erfolg ebenso verantwortlich wie für das Scheitern. Dennoch kann man nicht ihn allein für die Entwicklung verantwortlich machen. Die FPÖ unter Jörg Haider scheiterte nicht nur an seinem Führungsstil, sondern ebenso an einer chaotischen inneren Struktur und einem fehlenden Mittelbau, der die Stabilität jeder Organisation ausmacht.

Verletzte Eitelkeiten

In den Monaten vor dem Zusammenbruch der Koalitionsregierung Riess-Schüssel meldeten sich plötzlich die Funktionäre der regionalen Organisationen in den Bundesländern, Städten und Gemeinden und forderten eine engere Beteiligung an der ihrer Meinung nach ungleich verteilten Machtstruktur. Sie verlangten mehr Einfluss auf Regierungsentscheidungen, der ihnen angeblich verweigert wurde. Die freiheitlichen Funktionäre waren auf eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei nicht vorbereitet. Sie fühlten sich ausgeschlossen und übergangen, und eine Mischung aus Neid, Eifersucht, Eitelkeit und Unsicherheit dominierte die Diskussionen in der Parteizentrale in Wien, wenn Vertreter der Partei aus den Bundesländern zu Besprechungen zusammenkamen.

Manche dieser Sitzungen, an denen Funktionäre aus ganz Österreich teilnahmen, begannen um sechs Uhr abends und waren um sechs Uhr morgens noch immer nicht zu Ende. Man redete und redete, und kaum einer hörte zu oder ging auf den Vorredner ein, und keiner beantwortete irgendwelche Fragen. Man hielt Monologe und klagte langatmig über die Missachtung der sogenannten »Kleinen Leute« in der Partei durch die Parteiführung.

Da sprach einer der Vertreter der Freiheitlichen aus Linz, dann einer aus Salzburg, aus Klagenfurt, und dann einer aus Tirol, und dann wieder der aus Linz, und alle beschrieben die Enttäuschung ihrer Gemeinden über die Arbeit der Bundesregierung, in der – nach Eindruck der Mitglieder – die FPÖ-Minister von der Volkspartei übergangen, missachtet und manipuliert werden würden. Die Lieblingsformulierung der FPÖ-Politiker aus den Bundesländern war der Satz: »Das kann ich meinen Leuten nicht zumuten.«

Die Wortführer der Basis fühlten sich berechtigt, den FPÖ-Vertretern in der Koalition zu drohen, dass sie bei Fortsetzung dieser Arbeit der Regierung die Unterstützung ihrer Gemeinde nicht mehr garantieren könnten. Eine absurde Frustration breitete sich in der Partei aus, die von Kärnten geschürt wurde. Funktionäre sahen ihre Verantwortung nicht in der Unterstützung der Regierungskoalition gegenüber den Mitgliedern, sondern im Gegenteil, sie gaben vor, die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Parteispitze vertreten zu müssen. Damit wurde die Partei sozusagen von unten nach oben vom Mittelbau aus zerstört – mit dem Segen des »Allerobersten«.

Aus Eitelkeit verloren

Die Illoyalität Haiders gegenüber der freiheitlichen Regierungsmannschaft übertrug sich auf die Funktionäre, die der gewählten Parteispitze in den Rücken fielen und sich als Verteidiger der Interessen der Wähler gegen das Diktat der FP-Regierungsmitglieder aufspielten. Haider, getrieben von seiner Eifersucht und Langweile als Landeshauptmann von Kärnten, dessen Tagesablauf mit der Eröffnung eines Kindergartens begann und mit der Teilnahme an einem Kirtag endete, konnte es nicht mehr ertragen, dass andere, die – seiner Meinung nach – durch seine politische Arbeit erfolgreich und bekannt geworden waren, in der »großen Welt« herum jetteten, während er für die Vertreter der internationalen Politik der »Nazi in Kärnten« geblieben war. Deshalb auch die Besuche im Irak und die Treffen mit Regierungsmitgliedern arabischer Staaten (es waren die einzigen, die bereit waren, ihn zu treffen), weil es ihm die internationale Aufmerksamkeit bot, die er als Nicht-Regierungsmitglied und als Landeshauptmann in Kärnten vermisste. Er zog dem FPÖ-Regierungsteam den Teppich unter den Füßen weg, als er merkte, dass die Koalition mit Susanne Riess als Vize-Kanzlerin erfolgreich Regierungsarbeit leistete.

Im Grunde genommen vertrat er keine bestimmte Ideologie, keine Philosophie und kein politisches Programm. Er reagierte situativ, in jeder Gelegenheit seinen Interessen entsprechend, überaus geschickt und sensibel und verstand es, Strömungen, Meinungen und Konflikte in der Bevölkerung sehr früh erkennen und Lösungen anzubieten, die jeder verstehen konnte. Doch sein besonderes soziales Talent ließ keinen Platz neben ihm. Inhaltlich oft weit seiner Zeit voraus mit dem Ziel, die verkrusteten Strukturen der endlosen Koalitionen zwischen ÖVP und SPÖ zu zerstören und eine Gesellschaft mit mehr Offenheit und Demokratie aufzubauen, scheiterte er bei der Umsetzung an seinem persönlichen Machtanspruch und seiner Eitelkeit. Er scharte eher junge Menschen um sich, die ihn bewunderten, 100-prozentig loyal waren und ihm nicht gefährlich werden konnte.

Doch in einer Person täuschte er sich, in Susanne Riess. Er unterschätzte sie. Jahrelang arbeitete sie in seinem Schatten. Doch statt als Vize-Kanzlerin und Partei-Chefin zu scheitern und nach Neuwahlen indirekt ihn zum Kanzler zu machen, schuf sie gemeinsam mit Wolfgang Schüssel eine stabile Regierung, wurde in der Bevölkerung respektiert und geschätzt. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit Hilfe seiner Vasallen zu stürzen.

Nach dem Rücktritt der drei Spitzenpolitiker Riess, Westenthaler und Grasser beschloss ich, meine politische Karriere zu beenden. Ich trat nicht sofort zurück, was die neue Parteiführung erwartet hatte, sondern tat einfach gar nichts, reiste weiter nach Brüssel und Strasbourg und nahm an allen Parteisitzungen teil. Ich wollte sie zwingen, mich einfach hinauszuwerfen. Nach ein paar Wochen riss der neuen Parteiführung die Geduld, und Herbert Haupt erklärte mir, dass man die Funktion des Generalsekretärs für ausländische Beziehungen aufgelöst hätte. Eine Woche später trat ich gemeinsam mit meinem Kollegen im EU-Parlament Gerhard Hager aus der Partei aus.

Mein Scheitern

In einem Interview mit der jüdischen Zeitschrift NU, das am Tag meines Austritts veröffentlicht wurde, erklärte ich mein politisches Projekt – bei der FPÖ mitzuarbeiten, um sie zur politischen Mitte zu führen – für gescheitert. Auch in einem Gespräch mit dem ZIB2 Moderator Armin Wolf, der mich im Zusammenhang mit seiner Dissertation über Quereinsteiger befragte, kam ich zu dem gleichen Schluss.

Dennoch – und ich hoffe, ich verärgere damit meine Kritiker nicht zu sehr – selten in meinem Leben war Scheitern so spannend und aufregend und hat so viel Spaß gemacht wie die neun Jahre in der Politik. Ich kann nur Woody Allen zitieren und ihm zustimmen, der einst gefragt wurde, ob er nicht auch viele Fehler in seinem Leben gemacht hätte und antworte, ja, es stimme, er habe viele Fehler gemacht, und hätte er die Chance, sein Leben noch einmal zu leben, würde er alle noch einmal machen.

Im Jahr 2004, in meiner letzten Woche als Abgeordneter, rief ich Jörg Haider an und fragte, ob wir uns noch einmal sehen könnten. Er sagte zu, und ich fuhr nach Klagenfurt. Wir sprachen etwa eine Stunde lang über die letzten Jahre, und ich hatte mir vorher vorgenommen, jede Kritik an ihm zu vermeiden. Ich sei eigentlich nur gekommen, um mich zu verabschieden, sagte ich zu ihm. Er fragte mich, was ich nun machen wolle, und ich antwortete ihm, dass ich keine Ahnung hätte.

Es war eine gewisse Betroffenheit in seinen Augen und seiner Stimme, er klang müde und erschöpft. Manchmal machten wir lange Pausen zwischen den Sätzen, und ich dachte, das meiste, was uns beiden jetzt durch den Kopf geht, brauchen wir gar nicht auszusprechen – wir waren beide gescheitert. Als ich aufstand und sein Zimmer verlassen wollte, sagte er plötzlich: »Du bist kein Politiker, schreib lieber Bücher«. Ich musste lachen und verließ sein Büro. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.

Die Zeit danach

Nach meinem Ausscheiden aus der Politik arbeitete ich für ein österreichisches Unternehmen aus dem Bereich der Schwerindustrie für ihre internationalen Projekte. Ich verhandelte in China mit Bürgermeistern über die Errichtung von Kraftwerken, in Katar mit Vertretern von Shell über Gasverflüssigungsanlagen und in Spanien mit den Behörden über die Finanzierung der Privatisierung eines verstaatlichen Unternehmens. Ich hatte Glück, einen Unternehmer gefunden zu haben, der mir vertraute und mir eine Chance gab. Eine neue Aufgabe, eine neue Herausforderung in der industriellen Welt, der meine politische Vergangenheit völlig gleichgültig war, und wo nur Ergebnisse zählten. Bei einer Zeitung zu arbeiten, neue Bücher oder Theaterstücke zu veröffentlichen, wäre aussichtslos gewesen. In der deutschsprachigen Medien- und Kulturwelt hatte man mir meinen »Verrat« nie verziehen.

2006 holte man mich in den Vorstand eines börsennotierten internationalen Konzerns in Singapur, wo ich 2007 zum CEO befördert wurde. Nach mehreren Jahren in dieser Funktion, in denen mir mit einem neuen Management die Rettung des fast bankrotten Unternehmens gelang, wechselte ich nach dem Verkauf des Unternehmens zu einer Gesellschaft in den Philippinen im Bereich der Energieversorgung, die ich weitere 4 Jahre als General Manager leitete.

Rückblickend und zusammenfassend fehlen mir die weisen Worte. Seit drei Jahren in Pension, verzichtete ich auf Posten und Positionen in Vereinen, Vorständen und Organisationen und zog mich völlig zurück. Frei nach Groucho Marx, er würde nie einem Verein beitreten, der ihn als Mitglied aufnehmen würde, verbringe ich meine Arbeitstage in Guildford, südlich von London, wo ich derzeit lebe, zwischen Café, Tennisplatz, Royal Opera, den Londoner Symphonikern und meiner Leder-Couch vor einem überdimensionalen Fernseher.

Zeit Lebens ein »Verräter«

Nach dem Studium der Chemie begann ich als Mittelschullehrer, arbeitete dann im Management der Pharmaindustrie, später als Gruppendynamik-Trainer, als Journalist und Schriftsteller, war neun Jahre in der Politik und beendete mein Berufsleben als Direktor eines Energie-Unternehmens. Das scheint alles keinen Sinn von Kontinuität zu ergeben, und hat es wahrscheinlich auch nicht, wenn da nicht eine Verhaltensweise wäre, die sich wiederholte. Die Pharma-Industrie verließ ich als »Verräter« mit den Büchern »Bittere Pillen« und »Gesunde Geschäfte«. Aus der Gruppendynamik warf man mich als »Verräter« hinaus nach meinem kritischen Buch »Wie man in sechs Tagen das Gesicht verliert«. Meine politische Aktivität wurde als »Verrat« kritisiert. Selbst während meiner Zeit im Management kritisierten mich manche Share-Holder als »Verräter«, weil ihnen meine aggressive Re-Organisation nicht passte.

Zeit meines Lebens als »Verräter« kritisiert, kann ich meinen Kritikern nur erwidern, was ich in einem meiner Bücher schrieb: Der Verrat ist die Grundlage meiner Existenz!

Meine Mutter floh mit einem gefälschten Taufschein von Prag nach London. Mein Vater wurde bei seinem Versuch, von Wien nach England den Deutschen zu entkommen, an der Grenze zu Belgien verhaftet. Nach ein paar Tagen holte ihn ein deutscher Offizier aus der Zelle, führte ihn mit seinem Privatwagen in den Wald an der Grenze zu Belgien und ließ ihn laufen. Ein tschechischer Priester und ein deutscher Offizier ignorierten Vorschriften und Gesetze, und ihr »Verrat« rettete meinen Eltern das Leben.

Dies ist die letzte von Peter Sichrovskys Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war.

Teil 1: »Nur eine Frage«
Teil 2: »Dann müssen Sie halt auf mich aufpassen!«
Teil 3: »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 7: Meine Funktion als jüdische Angelegenheit
Teil 8: Diktatoren und ein Sonderkonto. Der Absturz.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!

 Über diesen Beitrag auf Facebook diskutieren

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

Curriculum Vitae

Publications