GENERATION EWIG KINDISCH

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Growing old without growing up

‚Big Bang Theory’ und ‚Superstore’ gehören derzeit zu den erfolgreichsten TV-Comedy-Serien in den USA. Trotz aller Unterschiede haben die beiden Shows etwas gemeinsam. In der einen geht es um drei hochbegabte Wissenschaftler und ihre Partnerinnen. In der anderen um Verkäufer/Innen in einem Supermarkt, in dem alles, von der Zahnpaste bis zum TV-Gerät verkauft wird. Was die beiden Serien verbindet, ist die Art Humor mit der das Publikum unterhalten wird.

In beiden Shows kommen keine Kinder vor. Braucht es auch keine. Die Grundlage des ‚Lustig-Seins’ ist ein Verhalten der Erwachsenen, das nicht ihrem Alter entspricht. Sie benehmen sich wie Kinder, oder so, wie kindische Erwachsene sich lustige Kinder vorstellen. Der Widerspruch zwischen ihrem großjährigen Auftreten in bestimmten Bereichen des Lebens und ihrem minderjährigen Verhalten in anderen ist die Grundlage des Humors und der Unterhaltung.

Es ist Samstagnachmittag. Im East-Bank-Club in Chicago nehmen die acht bis zwölf Jährigen am Tennis-Training teil. Ihre Väter tragen ähnliche Baseball-Kappen wie ihre Kinder mit dem Schild nach hinten, ähnliche Tennisschuhe, ähnliche kurze Hosen und bunte T-Shirts. Sie sind von ihren Kindern nur durch Größe und Körperumfang zu unterscheiden, bewegen sich und sprechen wie sie und springen jubelnd auf, wenn der Sohn den Ball übers Netz und nicht ins Netz schießt.

Am Ende der Stunde laufen sie auf den Platz, geben ihrem Sohn mit erhobener Hand ein ‚High Five’ und rufen ihm – mit weit aufgerissenen Augen und einem Gesichtsausdruck, der Begeisterung vermitteln soll – zu: Du kannst das, du musst nur an dich glauben! – Laut dem Psychologen und Bestseller Autor Tim Elmore eine der drei Lügen, wie man seine Kinder ruiniert. Die meisten können es eben nicht, ganz egal wie sehr sie daran glauben. Eltern bereiten ihre Kinder mit völlig unrealistischen Erwartungen auf das Leben vor, bis sie in eine tiefe Grube fallen, wenn sie erkennen müssen, dass daran glauben ohne das entsprechende Talent keine Zukunft hat.

Drei Lügen, mit denen man seine Kinder ruiniert

Die zweite Unwahrheit: Die Welt steht dir offen wie immer du dich entscheidest im Leben. Die USA ist zum Land der Überbewertung der persönlichen Entscheidung geworden, die mit Freiheit verwechselt wird. Selbst bei der Bestellung im Restaurant zeigen sie verzweifelt ihre Individualität im Gespräch mit dem Ober:

Bitte den Haussalat, aber ohne Zwiebel, dafür ein wenig mehr Tomaten, vom Huhn nur die weißen Stücke und extra Dressing, aber daneben, nicht einfach drübergegossen.

Vielleicht musste dieser Gast im Laufe seines Erwachsen-Werdens erkennen, wie wenig er im Leben entscheiden kann, und wie oft – im Gegensatz zu den Versprechungen der Eltern – er sich an Anordnungen anderer halten muss. Das Erkennen realer Machtverhältnisse und Entscheidungsstrukturen, des Zeitpunkts des Schweigens, der persönlichen Zurücknahme haben einem die Eltern nicht weitergegeben.

Nummer drei auf der Liste ist der Spruch: Du bist etwas Besonderes und einmalig auf dieser Welt. Rein biologisch mag das zutreffen, jedoch so meinen es moderne Eltern nicht. Sie vermitteln dem Kind einen angeblichen Unterschied zu allen anderen, talentierter, gescheiter, geschickter, einfach überlegen zu sein. Und die Kinder glauben es bis zum Zeitpunkt des schmerzhaften Erkennens, wer besser, schneller, intelligenter und begabter ist.

Adulting

Im Jahr 2016 erklärte die ‚American Dialect Society’ das Wort Adulting zum Wort des Jahres. Es bedeutet, dass jemand das Erwachsenen-Sein spielt, so tut als ob und auch Verantwortungen übernimmt, obwohl man sich noch als Teenager oder Student fühlt. Zum Beispiel die Steuern rechtzeitig zahlt, das Auto zum Service bringt, ein Hemd bügelt, die Küche aufräumt und das Bett macht, aus dem Haus der Eltern auszieht und eine Wohnung sucht, heiratet, eine Familie gründet. Alles keine Selbstverständlichkeiten für eine Generation, von der ein Viertel mit dreißig noch bei den Eltern lebt und zehn Jahre später heiratet als vor zwanzig Jahren. Das schwierige ökonomische Problem, ein unabhängiges Leben zu beginnen, ist nur eine Erklärung. Weitaus mehr Einfluss hat das sogenannte Helikopter-Verhalten von Eltern, die zwanghaft jeden Schritt des Kindes kontrollieren.

Die amerikanische Therapeutin W. Mogel beschreibt eine typische moderne Mittelschichtfamilie:

Von außen betrachtet ist das Familienleben perfekt. Die Eltern besuchen jede Schulaufführung und jedes Fußballspiel, kennen alle Freunde ihrer Kinder und die Berufe der Eltern. Dahinter steckt jedoch eine paranoide Kontrollsucht als Grundlage eines massiven Leistungsdrucks und einer Erwartungshaltung. Emotionale Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Eigenständigkeit werden vernachlässigt. Statt Kinder auf das Leben vorzubereiten, kommt es zu einem Mikromanagement der wechselnden Stimmungen des Kindes.

Der dänische Familientherapeut J. Juul hält die Schäden durch Überbehütung sogar für schlimmer als die Folgen von Verwahrlosung, Ignoranz oder Desinteresse. Der Hintergrund sei der Narzissmus der Eltern. Sie wollen glückliche und erfolgreiche Kinder haben, um sich selbst als kompetent erleben zu können.

Gefährliche Welt

Völlig unvorbereitet, mit der oft grausamen Wirklichkeit der Erwachsenen-Welt konfrontiert, versucht diese Generation die Kindheit zu verlängern, so lange es nur geht. Verwöhnen, Wohlstand und Bequemlichkeit plus das Versprechen, wie ‚einmalig’ man sei, motoviert die jungen Erwachsenen wenig, den harten Weg der Selbstständigkeit und des Lebenskampfes zu wagen.

Männer verharren in diesem Zustand der unbefristeten Jugend länger als Frauen und dementsprechend werden sie auch in Film und TV dargestellt. In ‚The Big Bang Theory’ sind die Frauen die Erwachsenen und die Helden in ‚The Wolf of Wall Street’ sind andere Typen als in ‚Godfellas’. Die moderne Männlichkeit zeigt sich hier in absurdem Konsum und Wohlstand, Männer prahlen untereinander mit teurem Spielzeug. Ein Verhalten, dass unter den Bluts-Brüdern der Mafia unvorstellbar gewesen wäre.

In ‚Seinfeld’, der Antipode zur ‚Big Bang Theory’, machten sich vier Freunde in einer oft zynischen Art und Weise über ihr eigenes Leben lustig, nahmen weder sich noch sonst jemanden ernst und definierten ihre Show als ein ‚Show about nothing’. Die Darstellung ihrer eigenen Eltern war meist peinlich, zum Teil erniedrigend und keiner der vier schien mit den Lügen aufgewachsen zu sein, sie seien etwas besonders und könnten im Leben alles erreichen.

Michael Kimmel, Autor und Soziologe aus New York schockte das ‚Weiße Amerika’ vor ein paar Jahren mit seinem Buch: Guyland – Die gefährliche Welt, in der Knaben Männer werden, in dem er das infantile Verhalten von vor allem weißer Studenten beschrieb, die aus der Überversorgung des häuslichen Nests kommend mit der Freiheit auf den Universitäten nicht zurechtkommen. Saufgelage und Vergewaltigungen verübt durch oft unscheinbare, stille Studenten aus ‚bestem Hause’ seien Teil des Alltags geworden. Aggression und Neid gegenüber den Studentinnen, die wesentlich besser mit den Veränderungen fertig werden, führen zu Beziehungsstörungen und einem Abschotten von Männergruppen. Je stärker die Frauen werden, desto mehr beschäftigen sich Männer mit Football, ist der Titel eines ähnlichen Buches.

Im East Bank Club sind die Väter inzwischen mit ihren zukünftigen ‚Federers’ in das Café übersiedelt. Der Opa wartet schon auf sie, kam mit seinem 2000 Dollar teuren Fahrrad, bekleidet mit der Ausrüstung eines Tour-De-France Teilnehmers, in hautengen Hosen und einer Jacke, die wie eine zweite Haut auf seinem alten Körper klebt und den Verfall besonders deutlich zeigt. Am Tisch sitzen jetzt drei Generationen, die vergeblich versuchen, zeitlos in einander zu fließen und austauschbar zu wirken. Der Siebzigjährige fühlt sich wie der Vierzigjährige, dieser wie fünfundzwanzig und der Zehnjährige lebt mit dem Bewusstsein, dass er der tollste von allen dreien ist.

Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

Curriculum Vitae

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1 comment

  • Präzise beobachtet.
    Wem fallen nicht zahlreiche Beispiele aus seinem Privat- und Berufsleben dazu ein?
    „Erwachsene“, die gefühlig-subjektiv meinen: „Das fühlt sich richtig an“ und (zu) späte Einsicht trotzig zurückweisen: „Aber damals hatte es sich richtig angefühlt!“
    Man verbreitet unverbindlich hohles Pathos: „Ich werde Euch/Dich immer in meinem Herzen tragen!“ und labert ohne Punkt und Komma, quetscht beim Luftholen raus: „und, äh…ja“. Und schon geht’s weiter.

    Wenn die Maßstäbe für individuelles „Versagen“ an überlieferten Parametern ausgerichtet bleiben, wird die Person früher oder später einen geistigen Zusammenbruch erleiden. Um dies instinktiv zu vermeiden, werden einfach die betreffenden Maßstäbe verändert. Die von Vorgesetzten, Eltern, Nachbarn artikulierte Erwartungshaltung wird vom relevanten Signal zur unverbindlichen Meinungsäußerung herabgestuft, nach dem Motto: „… und so hat halt jeder seine Meinung, nicht wahr?“. Mit dem Ergebnis, dass nun die Meinung anderer und eigenes Verhalten unverbunden nebeneinander stehen (bleiben können).
    Man redet sich das eigene Leben schön, sieht „Scheitern als Chance“ an und hat wertvolle Erfahrungen gemacht, „die einem keiner mehr nehmen kann“.

    Viele junge Eltern (nicht alle) bemerken zwar durchaus, dass das lärmende Verhalten ihrer Kinder offensichtlich andere Menschen stört, ignorieren dies aber als irrelevante Ansicht anderer. Eine Handlungsaufforderung an sich selbst wird erst gar nicht realisiert, da einengende Normen und Regelungen grundsätzlich als unverbindlich oder zumindest verhandelbar betrachtet werden. Wer an Verhalten Anstoß nimmt, „hat ein Problem damit“ und ist folglich selber schuld an der Enge seiner Maßstäbe. Besser, die anderen würden „sich mal locker machen“ (werden allerdings eigene Vorstellungen nicht erfüllt, geht das allerdings „ja mal gar nicht!“. Für dieses Verhalten darf dann „kein Platz sein“…). Die Personen fallen oftmals als aufgesetzt glücksselig auf, mit hellen Kinderaugen in die Welt strahlend. Nachfragen werden häufig mit der Versicherung „Alles gut!“ und einem beruhigendem Streichen über den Oberarm samt eingefrästem Dauerlächeln verbunden.