Migrationslobby und Rechtspopulisten sind sich einig: Wirtschaftsflüchtlinge müssen draußen bleiben. Eine Einwanderungspolitik im Interesse des Landes würde die Prioritäten anders setzen.
Menschen verlassen ihre Heimat aus ganz unterschiedlichen Gründen. Weil sie verfolgt werden, weil Krieg herrscht, weil sie keine ökonomische Perspektive haben, weil ihre Qualifikation im Ausland stärker nachgefragt wird, oder weil ihnen anderswo das Wetter mehr behagt.
Die Einwanderungsdebatte in Österreich und Deutschland dreht sich fast ausschließlich um Migrationsmotive. Eine konstruktive Einwanderungsdebatte müsste aber die Vor- und Nachteile erörtern, die der Mehrheitsgesellschaft aus Neuankömmlingen erwachsen. Für das aufnehmende Land ist es ziemlich bedeutungslos, warum ein neuer Bürger seine alte Heimat verlassen hat. Entscheidend ist, welchen Nutzen er der neuen Heimat bringt. Deshalb richten alle erfolgreichen Einwanderungsländer ihre Migrationspolitik am eigenen Bedarf aus. Sie fordern von ihren Zuwanderern Qualifikation, Leistung und Integration. Im Gegenzug bieten sie Arbeit und Anerkennung.
Demgegenüber ersetzen Österreich und Deutschland Einwanderungspolitik durch Asylpolitik. Denn aus anerkannten Asylwerbern werden mit der Zeit neue Staatsbürger. Der Experte für Europarecht und Internationale Beziehungen an der Universität Salzburg, Stefan Brocza, hat die rechtlichen Rahmenbedingungen in der PRESSE detailliert beschrieben.
Asylberechtigte und Personen, die hier geboren werden, haben nach sechs Jahren Aufenthalt (in Deutschland nach acht Jahren) einen gesetzlichen Einbürgerungsanspruch, wenn allgemeine Einbürgerungsvoraussetzungen wie Unbescholtenheit, Lebensunterhalt und Deutschkenntnisse erfüllt sind. Anders als fast alle anderen Staaten verzichten beide Länder auf das Ermessen, ob sie eine Person überhaupt als Bürger möchten: der Anspruch auf Staatsbürgerschaft besteht unabhängig von irgendwelchen Kriterien der persönlichen Integration.
2015 beruhten in Österreich mehr als die Hälfte aller Einbürgerungen auf dieser Rechtsgrundlage. Eine erste Analyse des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ergab 2016, dass rund drei Viertel der Asylwerber die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben.
Die neuen Staatsbürger werden gleichzeitig Bürger der Europäischen Union mit allen damit verbundenen Rechten auf Aufenthalt und Arbeit. Dazu gehört auch das Recht auf Mitaufenthalt der Eltern, selbst wenn kein Fluchtgrund mehr vorliegt. Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen kommt vor diesem Hintergrund besondere Brisanz bei. Den anderen Mitgliedsländern der Union bleibt gar nichts anderes übrig, als den Einbürgerungsmechanismus Österreichs und Deutschlands hinzunehmen. Allein der Migrantenstrom seit 2015 wird der Europäischen Union demnach in sechs bis acht Jahren hunderttausende neue Bürger bescheren.
Deutsche Gründlichkeit
Dass all die neuen Bürger außerhalb Deutschlands mit Sorge betrachtet werden, ist nicht ganz unberechtigt. Als Laie stellt man sich ja vor, dass ein Asylverfahren ähnlich gründlich wie eine Steuerprüfung abläuft. Dass man den Behörden nachweisen müsse, wer man sei und warum man von wem verfolgt würde. Nicht in Deutschland. Da reichte es, wenn man am Antragsformular die richtigen Kreuzchen machte. Syrische Asylsuchende erhielten ihren Schutzstatus in einem beschleunigten Verfahren „nach schriftlicher Anhörung“, wie die Behörden das Ausfüllen eines Formulars nennen. Ende 2015 wurden mehr als die Hälfte der Verfahren so entschieden. „Herkunftsland: Syrien, Fluchtgrund: individuelle Verfolgung“. Danke, keine weiteren Fragen. Anerkennungsquote 99%.
Schon 2015 hat der Personalrat des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beklagt, dass ein hoher Anteil von Asylwerbern eine falsche Identität angebe. Dazu die WELT:
Nur ein kleiner Teil der Asylsuchenden kann überhaupt genau überprüft werden – und zwar jene 20 bis 30 Prozent, die bei ihrer Einreise ein Dokument vorlegen, sei es echt oder gefälscht. Im ersten Halbjahr 2016 hat das Bamf 217.465 Pässe, Geburtsurkunden oder Führerscheine kontrolliert – und lediglich bei einem Prozent, in 2273 Fällen, schwere Manipulationen festgestellt. Solche, die wohl auch vor Gericht bestehen würden.
Diese 2.237 Fälle wurden vom BAMF nicht einmal angezeigt, man sei schließlich keine Polizeibehörde. „Echte“ Pässe, wie man sie in Syrien um 400 Dollar kaufen konnte, sind da noch gar nicht mit eingerechnet. Gegenüber der WELT erklärte das BAMF, dass selbst nachweislich falsche Identitätsangaben nicht automatisch zu einem negativen Asylbescheid führen.
Im Klartext: Deutschland gewährte hunderttausenden Menschen Asyl, von denen 70 bis 80 Prozent nicht einmal einen gefälschten Ausweis dabei hatten. Drei Viertel davon werden in acht Jahren Bürger der Europäischen Union sein.
Bei so viel Gründlichkeit verwundert es nicht, dass der Attentäter von Berlin unter 14 verschiedenen Identitäten registriert war. Schon eher verwundert, dass trotzdem noch ungefähr die Hälfte aller Asylwerber abgelehnt wird. Doch Abschiebungen sind so selten wie weiße Elefanten. Zwar ist ein positiver Asylbescheid ein sicheres Ticket zur Staatsbürgerschaft, aber um im Land zu bleiben, braucht es ihn nicht unbedingt. Die meisten bleiben auch ohne.
Einwanderungs- von Asylpolitik trennen
Eine vernünftige Migrationspolitik sieht anders aus. Sie stellt die Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund und sucht einen Ausgleich mit den Interessen von Migranten und den Interessen der in den Herkunftsländern Gebliebenen. Die Einwanderungspolitik Österreichs und Deutschlands hingegen, sofern man von einer solchen überhaupt sprechen kann, orientiert sich ausschließlich an vorgeblich humanitären Kriterien und stellt damit das Interesse der Migranten einseitig über das Interesse der anderen beiden Gruppen.
Diese Moral auf Sichtweite ist im doppelten Wortsinn kurzsichtig: weil sie nur jene einschließt, die es bis an die Landesgrenzen schaffen, und weil sie die Folgen für das eigene Land, für Europa und für den Wiederaufbau der Herkunftsländer vernachlässigt. Nichts davon ist politisch oder ethisch zu rechtfertigen. Selbst wenn diese Politik nicht dazu führen würde, dass jedes Jahr Tausende im Mittelmeer ertrinken, wäre sie falsch.
Wie man es richtig macht, kann man zum Beispiel an Kanada beobachten: Die Integrationschancen von Flüchtlingen werden vor Ort geprüft. Kanada nimmt fast nur Frauen mit Kindern und ganze Familien auf und keine alleinstehenden Männer, außer diese sind aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unmittelbar gefährdet. Menschen mit Sprachkenntnissen und nachgefragter Qualifikation werden bevorzugt.
Qualifikation ist der Schlüssel jeder erfolgreichen Einwanderungspolitik. Nichts integriert besser als Arbeit. Wenn der Weg nach Europa nicht mehr über Schlauchboote führt sondern über Schulen, werden die Familien in Bildung investieren statt in Schlepper. Das bewirkt einen positiven Sogeffekt: jene, die es nicht nach Europa schaffen, haben in ihrer Heimat bessere Entwicklungschancen und fördern so die Entwicklung ihres Heimatlandes. Wenn Bildung zum ausschlaggebenden Kriterium für Emigration wird, steigt der Wohlstand in den Herkunftsländern.
Österreich und Deutschland sind Einwanderungsländer. Doch die Regierungen haben sich Jahrzehnte lang gegen jede Faktizität dagegen gesträubt, diesen Umstand anzuerkennen und darauf mit zeitgemäßen Einwanderungsgesetzen zu reagieren. In den kommenden Wahlkämpfen wird das Thema Migration eine entscheidende Rolle spielen, vor allem in Österreich. Und wie immer werden Asyl- und Einwanderungspolitik entweder verwechselt oder miteinander in einen Topf geworfen werden.
Doch bevor wir über Asylpolitik reden, müssen wir über unsere Einwanderungspolitik entscheiden. Das eine nicht vom anderen zu trennen, ist verantwortungslos gegenüber allen Betroffenen.
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Auf dem Treffen in Genf, das im März stattfand, gestand Avramopoulos, dass das Ziel sei, Sammelpunkte auf der Küste Afrikas aufzubauen, wohin sich Migranten auf der Suche nach der Arbeit und Zukunft in Europa begeben könnten. In den nächsten Jahren sollten so 6 Millionen Menschen in Europa aufgenommen werden, um die schrumpfende Bevölkerung Europas zu kompensieren.