EINSAME FORSCHER

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Ein Plädoyer für die Wissenschaft 

Nur selten erreicht eine wissenschaftliche Nachricht wie die erste Abbildung eines sogenannten »Schwarzen Lochs« jenen Teil der Zeitungen und Nachrichtensendungen, der täglich konsumiert wird, irgendwo zwischen Brexit, der Gefahr von rechts und den Ergebnissen der letzten Spiele der Champions League.

Wissenschaft, Forschung und technische Entwicklungen arbeiten weitgehend zurückgezogen, sind medial kaum mehr kommunikationsfähig und mit wenigen Ausnahmen nur mehr einer Minderheit bekannt, die still und leise einfach ihre Arbeit macht. 

Wir sind es gewohnt, einen neuen Tennisschläger auszuprobieren, der uns vom Hersteller als technisches Meisterwerk angepriesen wird, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, wie vielen Stunden und Tage Fachleute an dieser Weiterentwicklung gearbeitet hatten. Wie viele Physiker vor Ballmaschinen die verschiedenen Schläger testeten, und wie viele Chemiker unterschiedliche Materialen bei der Entwicklung einer neuen Bespannung zusammengemischt hatten. Das beworbene, gepriesene Produkt hat sich losgelöst von der Entwicklung und ihren Entwicklern.

Apple feiert jedes Jahr bei seinen Präsentationen die Genies in Marketing und Verkauf, während die Wissenschaftler, die neue Ideen in die Realität umsetzten, unerwähnt bleiben und auch nie vorgestellt werden. Konzern-Direktoren zeigen sich in der Öffentlichkeit stolz vor ihren glänzenden Produkten, ob Autos, schnelle Züge, leise Flugzeuge oder ideenreiche Waschmaschinen. Die Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen kennt niemand.

Mobiltelefone, die mit jeder Generation neue Funktionen anbieten, verbesserte Kamera, bequemere Handhabung, bisher unbekannte Hilfsmittel für das tägliche Leben, erreichen den Konsumenten als fertiges Produkt und es ist nicht mehr vorstellbar, wie es in den experimentellen Labors dazu kam. Wir leben produkt- und konsumorientiert, bewerten neue Entwicklungen nach Qualität, Preis und Brauchbarkeit und erwarten mit einer Selbstverständlichkeit, dass ein Jahr später ein noch besseres angeboten wird. Die Bewunderung der Öffentlichkeit gilt dem Umsatz, dem Gewinn, dem Marketing und dem Design. Fantasie und Konsequenz der Produktentwickler hat nur einen Börsenwert.

Ich erinnere mich an einen Physik-Professor auf der Universität, der folgende Geschichte erzählte:

Der Physiker und Nobelpreisträger Niels Bohr hatte angeblich das Hobby, nach einer alkoholreichen Nacht, auf Fassaden zu klettern, um seinen Freunden zu beweisen, wie hoch er ohne Leiter kommen würde. Eines Nachts hätte ihn ein Polizist erwischt, als er bereits das Fensterbrett im zweiten Stock eines Hauses erreicht hatte, und forderte ihn auf, herunter zu kommen mit folgendem Satz: »Herr Professor Bohr, kommen Sie doch herunter, Sie machen mir solche Probleme, wenn sie ausrutschen und abstürzen.«

Unser Lehrer fragte uns, was so besonders an dieser Geschichte sei, und wir Studenten rätselten herum über einen Fassaden kletternden Wissenschaftler, doch unser Professor schüttelte immer wieder den Kopf und meinte, das sei nicht die richtige Antwort.

Die einzig richtige sei: »Damals kannte ein Polizist noch einen Nobelpreisträger in Physik.«

Natürlich könnte man in eine larmoyante Stimmung verfallen, über die Oberflächlichkeit der Medien, die unendliche Langweile der Information, die sich ausschließlich am Alltäglichen orientiert, und die Ursachen der öffentlicher »Bekanntheit«. Welche Persönlichkeiten heute die wenigen Seiten in den immer dünner werdenden Zeitungen erreichen, in den immer kürzer werdenden Informationssendungen genannt werden, wer einen Platz in einer Diskussionsshow bekommt und wer wie viele Klicks auf Twitter und sonst wo sammelt – Wissenschaftler sind kaum darunter, Nobelpreisträger der Naturwissenschaften kaum mehr bekannt.

Vielleicht ist diese Entwicklung nicht so schlecht, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Wir sollten sie in Ruhe lassen, unsere Wissenschaftler, und ihnen lieber optimale Arbeitsbedingungen garantieren, ihre Gehälter erhöhen und ihnen die technischen Einrichtungen geben, die sie für ihre Forschungen benötigen. Denn wir brauchen sie von Jahr zu Jahr nötiger. Keine Schülerdemonstration wird die Erderwärmung beenden, keine Grün-Partei das Schmelzen des Eises verhindern und keine kreischenden Pop-Musiker mit kritischen Liedern die Qualität der Luft verbessern.

Für all diese Probleme brauchen wir die Wissenschaft und die Kreativität der Fachleute. Sie werden vielleicht einmal Fleisch aus dem Labor für zukünftige Generationen entwickeln, Autos und Flugzeuge ohne Abgase, und Verpackungsmaterial, das nicht über den Fischverzehr in unseren Körpern landet. Kreative Architekten könnten Städte schaffen, die die Lebensqualität erhöhen, und Biologen eine Reissorte züchten, die die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung garantiert.

Weniger Plastik ist nicht die Lösung, Ersatzmaterial für Plastik schon eher. Weniger Fleisch-Konsum wird der Umwelt kaum helfen, jedoch Fleisch, dessen Produktion nicht das CO2-Gleichgewicht verändert, schon eher. Verbot von Hochseeschiffen ist nicht die Lösung, sondern Antriebssysteme, die keinen Dreck in die Lust schleudern. Weniger Flugreisen sind nicht die Lösung, sondern umweltfreundliche Flugmotoren.

Weniger ist selten besser und verringert auch nur kurzfristig das Symptom eines Problems. Die Ursache selbst wird ignoriert. Menschen in ärmeren Ländern haben ein Recht auf eine Form der Normalität, die wir als selbstverständlich erleben wie eine Toilette, einen Kühlschrank, ein Auto und vielleicht einmal auf Urlaub zu fahren. Jetzt zu jammern, dass in China zu viele Autos verkauft werden, und Chinesen plötzlich zu Hunderttausenden die Welt bereisen, ist der falsche Ansatz. Das umweltfreundliche Auto ist die Lösung, und die Entwicklung solcher Fahrzeuge sollte oberste Priorität haben. Ein neues Produkt ist die Zukunft – und nicht die eingeschränkte Benutzung eines alten Produkts.

Hört auf mit der Verhinderung und der Verneinung, die Situationen angeblich verbessern. Maschinen-Stürmerei hat noch nie ein Problem gelöst, weder für die damaligen Arbeiter in der Textilindustrie noch für die Produzenten der Maschinen. Ist eine technische Entwicklung die Ursache für ein Problem für die Menschen, könnte eine andere Erfindung dieses Problem lösen oder es aus der Welt schaffen.

Motiviert eure Kinder nicht, die Schule zu schwänzen, sondern motiviert sie, Naturwissenschaften zu studieren. Ein Bundespräsident, der Demonstrationen von Schülern während der Schulzeit begrüßt, vermittelt die falsche Botschaft. Vielleicht sollte er als bestbezahlter Präsident Europas ein Stipendium schaffen für begabte Schüler, die Physiker, Chemiker, Techniker und Biologen werden wollen.

Zahlt den zukünftigen Forschern das Studiengeld für die besten Universitäten, und statt an der Börse zu spekulieren, um das Haus am Meer zu kaufen, unterstützt mit dem Gewinn eure und andere Kinder, wenn sie sich der Wissenschaft widmen und zu wenig verdienen. Statt glitzernde Bürotürme baut Forschungsstätten, Laboratorien und schafft Studienplätze für interessierte, begabte Studenten. Statt Spekulanten zu bewundern, die in kürzester Zeit maximale Profite machen, schafft ein Bewunderungs-, Belohnungs- und Verehrungssystem für Wissenschaftler und Forscher, die Probleme lösen, die unseren Alltag betreffen. 

Wir würden das alles nicht aus reiner Großzügigkeit tun, sondern als Grundlage für zukünftiges Überleben. 


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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