Das letzte Mal
Es ist die letzte bundesdeutsche Wahl unter alten Vorzeichen. In vier Jahren (oder früher) werden Kandidaten und Parteien zur Wahl stehen, die scharfe Lösungen für bedrängende Probleme formulieren: sicher nicht durchweg auf höchstem Niveau. Diesmal stehen noch Parteien und Kandidaten zur Wahl, die sacht an den ungelösten Problemen vorbeidrängen – auf kaum höherem Niveau.
Selbstsuggestion
Lebt sich’s nicht seit Jahrzehnten gut und gemütlich hier? Klappt soweit doch alles, oder? Bis auf ein paar Kleinigkeiten! Aber um die kümmert man sich jetzt… Einwanderung, Bildung, Gerechtigkeit: Ja, da geht noch was, ansonsten steht‘s wahrlich nicht zum Schlechtesten (solang man die Staus, die maroden Brücken und die zu engen, schlecht geflickten Straßen vergisst).
Die Bundestagswahl 2017 mag realitätsfremd wirken, aber sie lebt von einer ganz ähnlichen Selbstsuggestion wie die im Nachhinein verklärten, letzten Jahrzehnte. Der Wohlstand nahm zu, man war sicher auf den Straßen, tatsächlich herrschte weitgehend innerer Friede. Wobei man die Ungemütlichkeit geflissentlich beiseiteschob, dass hunderte russische, französische und amerikanische Raketen, atomar bestückt, fortwährend auf Deutschland zielten. Damals ging’s gut. Diesmal auch?
Überzeugungsarmut
Alterspyramide, Verkehrsinfarkt, Flüchtlingsproblematik, Finanzkrise, Umweltwahn – die Folgen etlicher Probleme sind längst deutlich, die Ausläuferbeben erreichen das Leben jedes einzelnen. Im Wahlkampf spielen sie jedoch kaum eine Rolle, und das Wahlvolk nimmt es ergeben hin. Scheint wenigstens so. Kann jedoch sein, dass sich am Wahlabend anderes begibt: Die nächsten Wochen werden bereits geprägt sein vom demoskopischen Abstieg der Meinungsführer – nach der Auszählung wird es zu einer regelrechten Zersplitterung des Parlaments kommen, was gefährliche Instabilität mit sich führt. Selbst Dreier-Koalitionen reichen dann nur noch haarscharf für inhaltlich verschwommene Mehrheiten. So dämmert herauf, was längst wahr ist: Es fehlt an überzeugenden politischen Botschaften!
Nasenprobleme
Unentwegt feiern und ganz doll für den Weltfrieden sein – in sichere Länder verreisen und daheim auf Willkommenskultur machen – shoppen, bis der Arzt kommt, und dabei total die Umwelt schonen: Doch, die Wähler sind auch selber schuld an der verzweifelnden Leere des Wahlkampfs. Besonders die halbgebildeten, denen die zeitgeistige Dummheit förmlich aus den Nasenlöchern trieft. Wen wundert‘s, dass sich die Leute so ungern an die eigene Nase fassen!
Selbstverlorenheit
Schulz und Merkel sind die Protagonisten des grassierenden Nasetriefens. Entsprechend nicken sie im TV-Duell andauernd bei den Worten des Gegners. Selten reißt der Schleier stillen Einverständnisses, der brave Wettstreit wird höchstens sekundenlang aufgekündigt. Danach wirken beide jedesmal noch leerer, noch selbstverlorener, noch mehr wie Konkurrenten um das Amt des Klassensprechers.
Senf
Was Merkel und Schulz eint und verbindet, wird im TV-Duell deutlich. Was sie trennt, bleibt weitgehend verborgen. Man bekommt fast den Eindruck, dass ihnen die Unterschiede selber nicht recht klar sind. Oder liegt‘s daran, dass ihnen der Mut zu substantieller Abgrenzung fehlt? Weil ihre Politik daran gemessen werden könnte? Weil sie innerhalb ihrer Parteien keine Mehrheit dafür fänden? Vielleicht umfahren sie auch nur allzu weiträumig die Gefahr, als Scharfmacher à la Trump zu erscheinen. Die Gefahr wäre für Merkel allerdings so gering wie bei mildem, für Schulz wie bei mittelscharfem Senf. Und doch bekommt man von beiden Tränen in die Augen.
Warum kann man an der Wahlurne nicht mehr eine andere Richtung wählen, sondern nur noch, ob die Führungsfigur im sackartigen Anzug einen Bart hat oder nicht?
Der Schlüsselbegriff zum Verständnis der Gegenwart heißt Illusionstheater. Im Illusionstheater hat der Zuschauer das Gefühl, einem realen Geschehen beizuwohnen. Die Illusion wird durch Einfühlung in eine „realistisch“ dargestellte Situation ausgelöst; sie ist im „Idealfall“ so perfekt, dass der Zuschauer zumindest zeitweise das Stück nicht als bloß fingierte Realität wahrnimmt und sich vollständig mit derjenigen Bühnenfigur identifiziert, in die er sich eingefühlt hat. Auch die um sich greifende Uniformität und Gleichgerichtetheit der Medienlandschaft ist unter diesem Gesichtspunkt erklärbar. Begriffe wie Figurenhandlung und Regieanweisung machen deutlich, warum eine oppositionelle Auffassung zum Kurs des Parteienkartells überhaupt nicht existieren kann. Ist doch die Spieltechnik der jeweiligen Bühnenfiguren für das Gelingen der Illusion beim Publikum schlichtweg existentiell.
Reale dissidente Strömungen, wie etwa AfD oder Pegida müssen logischerweise stigmatisiert und kriminalisiert werden, will man denklogisch die regietechnisch vorgegebene „Alternativlosigkeit“ der umgesetzten Politik aufrechterhalten. Deshalb reduziert sich die Auswahl auf „Bart oder nicht“ – sackartiger Anzug und die gegenwärtige Politik bleiben erhalten, so oder so. (Vollständig auf: https://kirchfahrter.wordpress.com/2017/06/26/theater-theater-der-vorhang-geht-auf/)