Wo Kommunismus draufsteht, ist auch Kommunismus drin. Die nonchalanten Reaktionen auf die Erfolge der KPÖ sind verstörend.
Stellen wir uns einen Augenblick lang vor, ein paar smarte Politiker mit sympathischem Auftreten würden eine neue Partei gründen. Ihr Fokus liegt auf arbeitenden Menschen mit niedrigem Einkommen. Also besetzen sie die Themen billigeres Wohnen, höhere Löhne und, der Anschlussfähigkeit an die Zielgruppe willen, eine Begrenzung der Zuwanderung. Ihr bürgerliches Auftreten erweckt Vertrauen, ihre Sprache ist gemäßigt und einen Großteil ihres Einkommens spenden sie an sozial Schwache. Bei den Wählern kommt das gut an, in Graz stellen sie den Bürgermeister und in Salzburg werden sie zweitstärkste Partei. Sie eilt von Erfolg zu Erfolg, die Nationale Sozialistisch-Demokratische Arbeiterpartei, kurz NSDAP.
Ui, da wäre was los: Die Schlagzeilen sähen das Vierte Reich herannahen (das Verbotsgesetz lassen wir in unserem Gedankenspiel einmal außen vor). Die Kommentare quellten über vor Entsetzen. In den Fernsehsendern würden Dokus über die Schrecken des Nationalsozialismus rauf- und runtergespielt. In jeder Talkshow riefe man das drohende Ende der Demokratie aus. Das Burgtheater und alle anderen Bühnen des Landes führten antifaschistische Stücke auf. Die Zivilgesellschaft würde aktiv werden: Mahnwachen, Lichtermeere, das ganze Programm. Es gäbe nichts, womit die Partei das verheerende Urteil der Meinungsbildner milde stimmen könnte. Jede Distanzierung von den Nazis, jede Verurteilung von Antisemitismus, jede noch so soziale Wohltat und jede noch so klare Abgrenzung vom historischen Namensvetter würden als Heuchelei zurückgewiesen.
Zurecht. Die Partei hätte sich ja nicht NSDAP nennen müssen, wenn sie mit der NSDAP nichts am Hut hätte.
KPÖ statt NSDAP
Ersetzt man die fiktive NSDAP durch die reale KPÖ, stehen wir mitten im Heute. Bis auf die Partei und die Reaktion auf ihre Erfolge. Es dominieren Gelassenheit bis Jubel oder Verharmlosungen des Kommunismus nach dem Muster „es war nicht alles schlecht“.
Dass die KPÖ, mit oder ohne den Zusatz plus, nichts mit der kommunistischen Ideologie zu tun hätte, ist eine Mär.
Da ist eine Dauergeladene in österreichischen Talkshows, die der heutige Tag „als gebürtige Salzburgerin … sehr, sehr glücklich“ macht. Schließlich helfe es uns allen, „wenn soziale Politik wieder salonfähig gemacht wird“. „Bitte mehr davon! #Salzburg“, twittert ihr ebenfalls höchst medienpräsenter Gatte. Wie geschichtsvergessen muss man eigentlich sein, um sich mehr Kommunismus zu wünschen. Als ob 100 Millionen Tote nicht genug wären.
Da ist der Herausgeber einer Wiener Wochenzeitung, der in seiner Kolumne das „Argument, der Kommunismus sei überall gescheitert, wo man ihn versucht habe“ anhand seines „Lieblingsbeispiels“ Kerala, einem südindischen Bundesstaat, widerlegen möchte. Tatsächlich leben dessen 34 Millionen Einwohner im Vergleich zu den insgesamt 1,4 Milliarden Indern in – sehr – bescheidenem Wohlstand. Der sich allerdings nicht auf Produktivität gründet, sondern zu einem beachtlichen Teil auf das Geld der vielen ausgewanderten Arbeiter, die ihre Familien unterstützen. Rund 19 Prozent sämtlicher Rücküberweisungen von Migranten nach Indien fließen nach Kerala.
Wenn man ein Schloss im Waldviertel unweit der Grenze zum ehemaligen Ostblock bewohnt, könnte man für ein Urteil über den Kommunismus eigentlich auch mit den Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze sprechen, statt halbwahre Geschichten über eine 7.000 Kilometer entfernte indische Agrarregion zu verbreiten. Auch wenn die Illusion vom funktionierenden Kommunismus dann platzen könnte.
Nur zwei Beispiele für die unzähligen Posts, Tweets und Kommentare, die den Erfolg der Kommunisten verharmlosen und relativieren. Entweder, weil Kommunismus eh irgendwie super sei, oder weil die KPÖ auf wundersame Weise nichts damit zu tun habe. Das eine ist so falsch wie das andere.
Reiche Kommunisten
Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion schwamm die KPÖ förmlich in Geld. Kaum ein „Ostgeschäft“ der österreichischen Industrie, an dem die Partei nicht auf irgendeine Weise mitgeschnitten hat. Über Treuhänder besaß sie Dutzende Firmen. Ihre Schlüsselrolle bei politischen und wirtschaftlichen Kontakten zwischen Österreich und den Ländern des Ostblocks sicherten der KPÖ ein Ausmaß an Macht und Einfluss in Politik und Sozialpartnerschaft, der meilenweit über ihre marginalen Wahlergebnisse hinausging. Erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zerbrach das Geschäftsmodell der vermutlich reichsten Partei Westeuropas.
Dass die Kommunisten jetzt als eine Art sozialistische Caritas Wahlerfolge einfahren, zeugt von jahrzehntelangen Versäumnissen in politischer Bildung.
Im Zentrum ihrer Firmen und Parteifinanzen stand Rudolfine Steindling, genannt die „rote Fini“. Steindling kontrollierte auch die Novum, eine Handelsgesellschaft, die von der SED mit Provisionen aus Geschäften westlicher Unternehmen mit der DDR gefüttert wurde. Ein Rechtsstreit um rund 255 Millionen Euro Novum-Vermögen, das Deutschland nach der Wiedervereinigung für sich beansprucht hatte, endete 2003 in letzter Instanz mit dem Urteil, dass dieses Geld nicht der österreichischen GmbH, sondern „wirtschaftlich dem Vermögen der SED-PDS zuzurechnen war“. Davor hatte die rote Fini allerdings rechtzeitig rd. 130 Millionen Euro von den Geschäftskonten abgehoben. Steindling starb 2012. In welchen Händen sich das Vermögen heute befindet, ist nicht bekannt.
Bildungsdefizite
Dass die KPÖ, mit oder ohne den Zusatz plus, nichts mit der kommunistischen Ideologie zu tun hätte, ist ebenfalls eine Mär. Keine andere kommunistische Partei Westeuropas war linientreuer als die KPÖ und keine war es länger. Und die Treue zu Moskau hält bis heute, wie man an der Haltung zum russischen Überfall auf die Ukraine sieht: „Die Behauptung, dass die KPÖ solidarischer zur Ukraine oder klarer gegenüber Russland positioniert wäre, ist zutiefst absurd“, schreibt Dietmar Pichler vom „Zentrum für digitale Medienkompetenz“ und dokumentiert in einem Thread auf X die prorussische Position der Partei. Daran ändert auch die Verurteilung des russischen Angriffskriegs durch den Salzburger Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl nicht wirklich etwas.
Nicht minder absurd ist der Gedanke, der studierte Historiker Dankl würde sich nicht mit Geschichte und Ideologie seiner Partei identifizieren. Täte er das nicht, hätte er in Salzburg auch als „Liste Dankl“ kandidieren können. Die deutsche SED hat sich mehrfach umbenannt, um ihre Wurzeln zu verschleiern, und firmiert heute als DIE LINKE. Die KPÖ tat nicht einmal das. Sie ist, was sie immer war.
Dass die Kommunisten jetzt als eine Art sozialistische Caritas Wahlerfolge einfahren können, zeugt von jahrzehntelangen Versäumnissen in politischer Bildung. In einem Land, das seine Eingliederung in das Sowjetimperium 1955 nur unter großen Zugeständnissen abwenden konnte, sind kommunistische Wahlerfolge ein demokratiepolitischer Supergau.