Wer glaubwürdig sein will, muss zuerst Vertrauen gewinnen
In den letzten Tagen und Wochen ging es immer wieder um den Begriff der Glaubwürdigkeit in Zusammenhang mit Antisemitismus und der Stellung rechter Parteien dazu. Wer würdig genug sei, dass man glauben könne, was angeblich glaubhaft beteuert werde. Politische Vertreter und Funktionäre aus dem rechten Spektrum versuchen zu versichern, keine typischen Rechte zu sein, und dass die bekannten rechten Merkmale nicht auf sie zutreffen würden.
Linke haben das Problem weniger. Selbst wenn ihre Vertreter den Tod kommunistischer Diktatoren bedauern und kaum Grund für Kritik zum Beispiel am Terror in Venezuela finden, werden sie nicht verdächtigt, die Ideen jener, die sie bewundern, auch zu vertreten. Dieser Widerspruch ist auf der linken politischen Seite durchaus »glaubwürdig«.
Nun kann man darüber klagen und sich empören und als Betroffener der als unglaubwürdig Verurteilten immer wieder auf Beispiele verweisen, wo ganz anders entschieden wird, doch es hilft nichts, es wird einem nicht zur Glaubwürdigkeit verhelfen. Besser wäre es, sich mit der scheinbar widersprüchlichen Realität abfinden und an Lösungen zu arbeiten, falls man an der Verbesserung der Glaubhaftigkeit interessiert ist. Wird die Glaubwürdigkeit trotz aller Anstrengungen und Bemühungen nicht erreicht, macht es auch keinen Sinn, den Nicht-Glaubenden zu verurteilen, denn der handelt nach den Prinzipien eines Gläubigers, was Unglaubwürdige oft nicht verstehen.
Von der Glaubhaftigkeit
Einer der wichtigsten Grundsätze – um die Situation von einer anderen als der eigenen Logik in Bezug auf Glaubhaftigkeit zu begreifen – liegt bereits in der Wortwahl. Gläubigkeit braucht an und für sich keine Beweise, das ist sozusagen der Sinn des Gläubig-Seins. So kann Glaubwürdigkeit relativ wahllos gewährt oder verweigert werden. Es ist daher zwecklos, in diesem Zusammenhang einer formalen Struktur zu folgen, oder auf Gerechtigkeit zu pochen, sich als unschuldig zu verteidigen oder zu polemisieren, wenn man sich unfair behandelt fühlt.
Die Vertreter des Prinzips Glaubwürdigkeit in einer Gesellschaft – und ich zähle mich selbst dazu – sind wie Gläubiger zu verstehen. Es beruht auf dem Grundsatz »Treu und Glauben«. Wenn man Geld, Sachen, aber auch Vertrauen verleiht, muss man sich sicher sein, dass man das Verliehene an die Richtigen vergibt und zurückbekommt.
Auch Juden sind in diesem konkreten Fall mit Gläubigern vergleichbar. Sie haben nichts anderes in der Gesellschaft zu teilen als ihre Rechte und ihr Vertrauen, auch wenn das im Gegensatz zu Geld und Wertsachen nicht quantitativ, sondern eher qualitativ erfassbar ist. Nachdem wir – ich sehe mich als Mitglied dieser Gemeinschaft – zu oft als Gläubiger betrogen wurden und unser Vertrauen auf die schlimmste Art und Weise missbraucht wurde, sollte man als Schuldner sich nicht wundern, wenn eine Vereinbarung mit immer wieder Betrogenen nicht so einfach abzuschließen ist wie mit anderen.
In der Wortwahl liegt auch das Missverständnis über die Verzögerung einer Vereinbarung, denn die Grundlage zwischen Gläubiger und Schuldner ist das Schuldverhältnis. Wird ein Schuldverhältnis vom Schuldner nicht respektiert und akzeptiert, kann es keine Vereinbarung geben, und der Gläubiger wird nicht bereit sein, Vertrauen zu gewähren.
Jedes Schuldverhältnis ist mit einer Forderung verbunden. Widerspricht dies dem Selbstverständnis und Verantwortungs-Bewusstsein des Schuldners und wird – wie in unserem Fall auf einer politisch-gesellschaftlichen Ebene – bewusst verweigert oder nicht verstanden, muss die Glaubhaftigkeit gestört sein, und ein Abkommen der beiden Kontrahenten ist nicht realisierbar.
Übertragen wir es auf ein einfaches Beispiel im Bereich der Bewertung eines »quantitativen« Verhältnisses Gläubiger-Schuldner. Tritt eine Bank in ein Kreditverhältnis mit einem Schuldner ein, der beteuert, das geborgte Geld auch rechtzeitig zurückzuzahlen und schon nach wenigen Monaten etliche Fristen versäumt, der Bank zwar immer wieder beteuert, es werde sich alles von jetzt an ändern, es sich jedoch nichts ändert, wird die Bank den Kunden als nicht-glaubwürdig bezeichnen. Das Verhalten des Kunden beeinflusst in diesem Fall jenes des Gläubigers, und es kommt zu einem gestörten Vertrauensverhältnis.
Das Vertrauensverhältnis
Ganz ähnlich ist es bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Entdeckt die Ehefrau unzweideutige Textnachrichten auf dem Mobiltelefon des Partners, werden dessen Beteuerungen, dass es sich um eine geschäftliche Beziehung handeln würde, wenig glaubhaft sein. Beteuert er später entschuldigend, das sei eine einmalige Entgleisung gewesen und würde in Zukunft nicht mehr passieren, so ist das nur so lange glaubhaft, bis die Ehefrau die nächste Textnachricht liest, was zwangsläufig einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit und auf die Beziehung hat, in der bereits Kontrolle das Vertrauen ersetzt hat.
Ähnlich ist das Wort glaubwürdig im religiösen Sinn zu verstehen. Grundlage des Glaubens ist, das nicht Nachweisbare dennoch für wahr zu halten. Dazu gehören Vertrauen und eine Beziehung der Furchtlosigkeit und Sicherheit zu einer religiösen Institution, die jeder Logik widerspricht und von emotionalen Faktoren beeinflusst ist.
Die Grundlage der Glaubwürdigkeit im Bereich Antisemitismus stützt sich auf eine Verbindung zwischen sachlich begründeter und emotional empfundener Glaubhaftigkeit. Für uns Juden geht es nicht nur darum, jenen zu vertrauen, denen man bisher nicht vertraut hatte, also ein neues unbelastetes Schuldverhältnis einzugehen, sondern es geht um die Sorgen der Betrogenen, wie sie das Vertrauensverhältnis wiederaufbauen könnten. Der Betrug an den Juden war nur zum Teil ein quantitatives Problem mit Enteignung, Diebstahl und Vertreibung. All dies kann man ersetzen und korrigieren. Unvergessen, weil unersetzbar, der emotionale Betrug durch Ermordung und Terror an den Angehörigen, Freunden und Mitgliedern der Gemeinde.
Ob man es nun versteht oder nicht, ob es als Verbohrtheit oder Sturheit oder sonst wie bezeichnet, Tatsache bleibt, dass Juden als Betrogene reagieren, deren Bereitschaft zur Gläubigkeit belastet ist. Das Misstrauen haben die heute Lebenden von den Überlebenden gelernt und indirekt von jenen, die nicht überlebt haben. Billy Wilder, der Filmregisseur aus Wien, der sich in die USA retten konnte, hat es besonders deutlich ausgedrückt: Die Pessimisten haben überlebt, die Optimisten sind in den Gaskammern ermordet worden.
Das Missverständnis über die Hartnäckigkeit der Vertreter jüdischer Organisationen und Israels hat seine Gründe in der unterschiedlichen Aufarbeitung der Vergangenheit und damit der Auswirkung auf die Jetzt-Zeit. Die Nachkommen der Täter zeigten wenig Betroffenheit und Schuldgefühle gegenüber den Verbrechen ihrer Vorfahren. Das soll nicht als Vorwurf verstanden werden, denn sie bemühen sich um Erinnerung und historische Aufarbeitung, ohne dies jedoch auf die eigene Familiengeschichte zu übertragen.
In den jüdischen Familien passiert genau das Gegenteil. In den letzten Jahrzehnten versuchten Nachkommen der Opfer mehr und mehr Informationen zu sammeln. Es entstanden zahlreiche neue Institute und Organisationen, die sich mit der Dokumentation des Holocaust beschäftigen. Ich selbst habe erst vor ein paar Wochen in einem neuen Archiv im Internet die Deportations-Dokumente meiner Großmutter entdeckt, die 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt wurde.
Der Glaubenssatz
Die ständig präsente Vergangenheit für uns Juden beeinflusst daher unseren Glauben an die Glaubhaftigkeit. In Sachen Vertrauen sind wir entweder gläubige oder ungläubige Gläubiger, je nachdem, ob wir dem anderen vertrauen können oder nicht. Sobald ein Unglaubwürdiger uns glaubhaft machen kann, dass die Zweifel, die wir mit uns herumschleppen, unbegründet sind, werden Juden begeistert ein Schuldverhältnis eingehen, das auf Offenheit, Transparenz und Vertrauen beruht.
Juden sehnen sich nach Verständigung auf der Grundlage des Glaubenssatzes – einer Annahme mit dem Gefühl der Sicherheit (Anthony Robbins). Gegenseitige Glaubwürdigkeit ist das Baumaterial einer Gesellschaft und stabilisiert die Wirklichkeit. In diesem Sinne ist die Unglaubwürdigkeit rechter Parteien und Gruppierungen kein Sieg der jüdischen Gemeinden und keine Niederlage dieser politischen Parteien, auch wenn dies oft triumphierend von einem Teil der Medien und der politischen Konkurrenz so dargestellt wird, sondern eine gesellschaftliche Instabilität, die beiden schadet. Doch Glaubhaftigkeit kann nur erzielt werden, wenn Kontrolle, Unsicherheit und Misstrauen sich erübrigen und ersatzlos durch Vertrauen ersetzt werden
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