DIE REBELLEN-WM

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Die Welt-Fußballmeisterschaft

Gestern kaufte ich mir ein Ticket für das Finale der Welt-Fußballmeisterschaft. Es war online buchbar und kostete 11 englische Pfund. Um jedoch alle Zweifler zu beruhigen, wie ich in letzter Minute um die paar Pfund ein derart kostbares Ticket bekommen konnte, wenn doch Eintrittskarten für das Finale auf anderen Web-Seiten für mehrere tausend Euro angeboten werden – hier eine nähere Erklärung der Umstände.

Zwei Wochen vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland begann diese Woche die Welt-Fußballmeisterschaft in London. Kaum jemand wird davon Notiz nehmen, keine Zeitung wird darüber berichten und keines der Spiele im Fernsehen übertragen. Tickets gibt es noch für alle Gruppen- und auch die Final-Spiele. Der Name Welt-Fußballmeisterschaft wurde gewählt, weil Fußball-Weltmeisterschaft durch die FIFA blockiert ist.

Organisiert wird der internationale Wettkampf, an dem Mannschaften aus allen Teilen der Welt teilnehmen, von CONIFA (Confederation of Independent Football Association), dem Dachverband für regionale und nationale Fußballverbände, die von der FIFA nicht anerkannt werden. Eine bunte Fußball-Mischung von Regionen, Volksgruppen, Minderheiten, nicht-anerkannten Staaten und staatenlosen Völkern spielen seit 2014 in internationalen Turnieren um diesen Weltmeister-Titel der Fußball-Rebellen.

In Europa gibt es derzeit etwa 25 Mannschaften. Unter ihnen Teams mit Namen wie OKZITANIEN aus dem südlichen, romanisch geprägten Frankreich. SÁPMI, aus dem Kulturraum der Samen in Lappland im Norden von Finnland, oder SZEKLERLAND, der ungarischen Minderheit in Rumänien. In der Gruppe Asien wetteifern Teams um die Teilnahme an der WM unter den Namen LESGIER, einer Volksgruppe in der Kaukasusregion, PUNJAB aus dem Norden Indiens an der Grenze zu Pakistan, und auch TIBET kämpft mit einer eigenen Mannschaft, die mit dem Segen des Dalai Lama nach London geschickt wurde.

Afrika ist vertreten durch DARFUR, einer Region im Westen von Sudan, KABYLEL aus dem Küstengebiet in Algerien und MATABELELAND, ein Gebiet im Süden von Simbabwe. Aus Ozeanien kommen TUVALU, ein Inselstaat im Pazifischen Ozean, und KIRIBATE, ein anderer Inselstaat im Pazifik. Diese beiden Teams treten als »Nationalmannschaften« an, da sie von der FIFA nicht akzeptiert wurden, jedoch eigenständige Länder repräsentieren.

In der derzeitigen Weltrangliste führt PUNJAB aus N-Indien vor PADANIEN, eigentlich ein von der Liga-Nord verwendet Propaganda-Begriff, der den kulturellen Unterschied zu Süd-Italien betonen sollte. An dritter Stelle liegt NORDZYPERN, das als besetztes Land von der FIFA ebenfalls nicht als eigenständiger Fußballverband anerkannt wurde.

Die teilnehmenden Teams haben unterschiedliche Qualität, sind jedoch auch keine »Dorfmannschaften«, in denen sich am Wochenende die ländliche, männliche Bevölkerung aufwärmt. Mehr als 30 Spieler kommen aus verschiedenen nationalen Top-Liga-Vereinen und spielen in der Sommerpause um den regionalen Stolz in ihren Mannschaften. Einige von ihnen nahmen am World-Cup 2010 in Süd-Afrika teil.

Die erste Weltmeisterschaft fand 2014 in Östersund in Schweden statt. Sieger und damit erster Weltmeister der CONIFA wurde GRAFSCHAFT NIZZA, die eine eigene Mannschaft innerhalb von Frankreich bilden, da die Stadt Nizza und die Umgebung sich auf Grund ihrer Geschichte als Teil der Provence definieren. Vize-Weltmeister wurde damals ELLAN VANNIN, ein Team der Isle of Man, deren Vertreter seit Jahren versuchen, neben den Mannschaften von England, Wales, Schottland und Nord-Irland auch ihren Verein als gleichberechtigte Mannschaft einer unabhängigen Region in Großbritannien anzumelden. Die »nationale« Mannschaft der Isle of Man hat strenge Regeln für die Aufnahme von Spielern. Jeder muss nachweisen, das er nicht nur auf der Insel geboren wurde, sondern dort auch zur Schule ging und damit seine Jugend auf der Insel verbrachte.

Bisher wurden zwei Weltmeisterschaften veranstaltet, 2014 und 2016. Bei der WM 2016 in Azerbaijan gewann das Team ABCHASIEN, eine Minderheit im Norden von Georgien am Schwarzen Meer. Zweiter wurde PUNJAB aus Indien und dritter NORD-ZYPERN. Geplant war das Turnier in Ungarn, wurde jedoch wieder abgesagt, weil die ungarische Regierung zahlreichen Spielern aus den zum Teil exotischen Ländern der verschiedenen Mannschaften kein Visum ausstellen wollte.

Für die WFM-2018 in London wurde ein kompliziertes Ausleseverfahren entwickelt, das nicht nur die Spiele der Vorrunden berücksichtigt, sondern auch die Zahl der Einwohner aus den Regionen oder Ländern, die Mannschaften entsenden. Je geringer die Bevölkerung, desto größer die Chance an der Endrunde teilzunehmen. Da der finanzielle Aufwand eines organisierten Vorrunden-Systems für die meisten Mannschaften nicht zumutbar war, wurden Punkte für jedes einzelne Spiel vergeben, ob Sieg oder Niederlage. Die Anzahl der Freundschaftsspiele war wichtiger als der Sieg bei nur wenigen Spielen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Gegner Mitglieder der CONIFA sind, Hauptsache, das Team spielt so oft wie möglich.

Mannschaften aus fünf Kontinenten, Europa, Asien, Afrika, Ozeanien und Nord-Amerika nehmen an der Endrunde in London teil. 17 Teams haben sich qualifiziert, acht aus Europa, drei aus Asien und Afrika, zwei aus Ozeanien und eines aus Nord-Amerika. Aus Süd-Amerika schaffte es diesmal niemand.

Das Organisations-Komitee der WM hat diesmal vier sogenannte »Wild-Cards« an Teams vergeben, die wegen besonders schwieriger Bedingungen eine Qualifikation nicht schaffen würden. Es sind dies die beiden Teams aus Afrika DARFUR und WESTERN SAHARA, TUVALU und KIRIBATI aus Ozeanien, und TIBET aus Asien. Mannschaften, die eine »Wild Card« beantragen, müssen dies ausführlich begründen und erklären, warum ein bestimmtes erforderliches Niveau und entsprechend viele Spiele gegen andere Teams nicht garantiert werden können. So gibt es für die Vereine in Ozeanien nicht einmal Fußballplätze in vergleichbarer Qualität und auch keine Möglichkeit gegen Teams aus anderen Ländern zu spielen, jedoch eine begeisterte Anhängerschaft der nationalen Mannschaften.

Hier ein paar Statistiken aus den Annalen der CONIFA:

  • Bester Spieler aller Tourniere ist Panushanth Kulenthiran mit sechs Toren. Er spielt für das Team der Tamilen aus dem Norden von Sri Lanka.
  • Höchster Sieg war das Spiel PADANIEN gegen DARFUR während der Qualifikation für die WM 2014 mit einem Ergebnis von 20:0.
  • Die meisten Tore während einer WM schoss PADANIEN mit 28 Treffern.
  • Die meisten Gegentore bei einem Turnier kassierte DARFUR mit 61 Toren.

In der »Ewig-Besten-Liste« führt ABCHASIEN vor KURDISTAN mit Spielern aus der Kurdenregion im Irak, und Dritter ist PUNJAB. Unter den Top-Mannschaften auch das Team UNITED KOREANS OF JAPAN mit Koreanern, die in Japan leben. Unter ihnen Yong-hak, der einst im World Cup in der Mannschaft von Nord-Korea gegen Brasilien spielte.

Diese Woche fand das Eröffnungsspiel statt. BARAWANA, nach einer Stadt in Somalia benannt, mit Spielern aus Barawana, die jetzt in England leben, gewann 4:0 gegen TAMIL EELAM, eine Mannschaft, sich aus Tamilen aus dem Norden von Sri Lanka zusammensetzt.

Auf kleinen Fußballplätzen verstreut in London werden diese Woche Gruppenspiele, Viertel- und Halb-Finale ausgetragen. Am 9. Juni geht es am Nachmittag um den 3. und 4. Platz und am Abend beginnt um 18.00 das Finale mit anschließender Siegerehrung.

Ich werde dort sein und zum ersten Mal das Finale einer Welt-Fußballmeisterschaft miterleben.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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