Das „Manifest für Frieden“ ist in Wahrheit ein Manifest für den Krieg. Ohne Waffenlieferungen wird sich der Krieg auf die gesamte Ukraine ausbreiten.
Putin führt den Krieg gegen die Ukraine mit barbarischer Brutalität. Die eigenen Soldaten sind bloß Manövriermasse. Ihr Leben zählt nicht das Geringste, das der Ukrainer noch weniger. Wo immer sie können, legen Russlands Schergen die zivile Infrastruktur der Ukraine in Schutt und Asche, um den Willen der Bevölkerung zu brechen. Sie foltern, morden, vergewaltigen. Frauen und Kinder als Beute. Kriegsverbrechen als Methode.
In die Nachrichten über mindestens 6.000 ukrainische Kinder, die nach Russland entführt worden sind, platzt ein neuerlicher Appell deutscher Friedensfreunde. Das „Manifest für Frieden“, initiiert von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, wurde bislang von über 450.000 Menschen unterschrieben (Stand 15. Februar).
Framing
Pflichtschuldig beteuern die Verfasserinnen, dass die „von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung“ unsere Solidarität brauche, um diese gleich im nächsten Satz in Frage zu stellen: „Aber was wäre jetzt solidarisch?“ Die Antwort darauf ist ihnen viel zu wichtig, um sie den brutal Überfallenen zu überlassen. Denn: „Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“
Nun sind Waffen freilich kein Ziel, sondern Mittel zum Zweck. Worin das Ziel besteht, aus dem Selenskyj angeblich kein Geheimnis macht, sagt uns das Manifest nicht. Stattdessen maskiert man eine Unterstellung mit einem Fragezeichen.
Die Ukraine „kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen“, heißt es zwei Absätze später. Natürlich nicht, wenn man gewinnen mit „Russland auf ganzer Linie besiegen“ gleichsetzt. An dieser Stelle offenbart sich der Zweck des Framings. Denn wenn man unter „gewinnen“ die Wiedergewinnung der nationalen Souveränität der Ukraine versteht, wirkt die nassforsch hinausposaunte Prognose plötzlich ziemlich kühn: Wie war das doch gleich in Vietnam und Afghanistan?
Täter-Opfer Umkehr
Wie es sich gehört, schließt das Manifest mit einer Forderung. Der entscheidende Satz: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt!“
In diesem Satz liegt der Unterschied zwischen dem vielleicht naiven aber völlig legitimen Wunsch nach Friedensverhandlungen und der Auslieferung der gesamten Ukraine. Was hier als unschuldiger Friedensappell daherkommt, ist nichts anderes als die Aufforderung, die Ukrainerinnen und Ukrainer wehrlos ihrem Schicksal zu überlassen.
Nicht das Geringste deutet darauf hin, dass Putin seinen Feldzug stoppen würde, wenn der Ukraine die Waffen ausgehen. Im Gegenteil. Dass nur die massive Gegenwehr der Ukrainer Putins Armee bei ihrem Vormarsch aufgehalten hat, kann den angeblichen Friedensfreunden unmöglich entgangen sein. Dennoch appellieren sie mit keinem Wort an Putin, seine Aggression zu beenden und sich aus der Ukraine zurückzuziehen.
Rückblende. Am 18. Februar 1968 zogen über 12.000 Menschen durch das nasskalte West-Berlin. Sie trugen Plakate mit Bildern von Che Guevara, Rosa Luxemburg und Ho Chi Minh, auf anderen waren Slogans zu lesen wie „No more land for Westmoreland“ (General William Westmoreland war damals Oberbefehlshaber der US-Truppen) oder „Nieder mit der Aggression in Vietnam“. Niemand, wirklich niemand, hat damals die Sowjetunion aufgefordert, Nordvietnam keine Waffen mehr zu liefern oder von den Vietnamesen Kompromissbereitschaft verlangt. Man mag von den Vietnamkriegs-Gegnern der 68er-Generation politisch halten, was man will – wenigstens haben sie verstanden, dass man Frieden von den Angreifern einfordert, nicht von den Verteidigern.
Was trägt sie auch den Rock so kurz
Demgegenüber das Manifest: „Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten.“
Was für ein Satz aus der Feder der Grande Dame des deutschen Feminismus. Welchen Kompromiss soll die Vergewaltigte mit ihrem Vergewaltiger denn schließen, der nicht darauf hinausliefe, ihn gewähren zu lassen? Sollen wir ihr zu Hilfe eilen, ein Messer zuwerfen? Oder rufen wir ihr zu, sie soll stillhalten? Wer weiß schon, was jetzt solidarisch wäre. Schließlich könnte die Vergewaltigung bei Gegenwehr eskalieren und am Ende könnte man noch selbst in eine Auseinandersetzung hineingezogen werden, die – trotz aller Sympathien mit der Überfallenen – nicht die eigene ist.
Eine polemische Analogie, ich weiß. Aber für ungezählte ukrainische Frauen ist das keine Polemik, sondern bittere Realität. Und mit jedem Ort, den Russland erobert, werden es mehr.
Zuerst erschienen im Pragmaticus.
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