DIE NÄCHSTE VÖLKERWANDERUNG

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Es kommt was auf uns zu

Ob es um Donald Trumps angebliches Einreiseverbot für Muslime geht oder um das soeben beschlossene Einwanderungspaket der österreichischen Bundesregierung: das Thema Zuwanderung sorgt für Aufregung. Dabei ist den wenigsten die Dimension der Herausforderung bewusst, die den nächsten Jahrzehnten auf Europa zukommt.

Bis 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Insgesamt werden in den Herkunftsländern der gegenwärtigen Migranten dann 3,6 Millionen Menschen leben. Rechnet man eine globale Gallup-Umfrage von 2009 hoch, werden davon rund 900 Millionen in die Erste Welt streben. Die Europäische Union braucht im selben Zeitraum nur rd. 100 Millionen Zuwanderer, um ihre niedrigen Geburtenraten zu kompensieren und die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage an Migranten wird steigen.

Die Demographie

Während Europa altert, verjüngt sich der afrikanische Kontinent. Schon in 25 Jahren wird die Hälfte der Menschheit im Alter unter 25 aus Afrika stammen.

In Österreich folgen auf 1000 rentennahe Männer nur 800 junge (in Deutschland 660), die im Lauf ihres Lebens in die frei gewordenen Positionen drängen. In Pakistan und Syrien kämpfen 3600 um 1000 Positionen, in Gaza 6200 und in Afghanistan 6400. In Subsahara-Afrika bis zu 7000. Der deutsche Soziologe Gunnar Heinsohn bezeichnet die Relation zwischen 15- bis 19-Jährigen, die gerade ins Wirtschaftsleben eintreten, und 55- bis 59-Jährigen, die sich dem Ruhestand nähern, als „Kriegsindex“. Ab einem Kriegsindex von 3 werden kriegerische Auseinandersetzungen wahrscheinlich. Der deutsche Kriegsindex beträgt demnach 0,66, jener von Afghanistan 6,4.

Wie groß der Einwanderungsdruck auf Europa wird, hängt von der politischen und ökonomischen Entwicklung der heutigen Auswanderungsländer ab.

Die Ausgangslage

Eine Mischung aus Jugendüberschuss, politischer Instabilität und schwacher Wirtschaft mündet zwangsläufig in Krieg, Auswanderung oder beides. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind die Flüchtlingsströme seit 2015 nur erste Vorboten des künftigen Ansturms.

In den meisten afrikanischen Ländern gilt die Loyalität dem eigenen Clan. Das mangelnde Nationalbewusstsein verhindert eine solidarische Finanzierung des Gemeinwesens. Korruption und Vetternwirtschaft wuchern wie Krebsgeschwüre über den Kontinent. In vielen Ländern zählt ein Menschenleben nichts. Der Mensch ist das wert, was er bei sich trägt.

Der globale Wohlstand steigt, wenn auch nicht im gleichen Tempo. Heute erbringen 2,8 Milliarden Menschen aus Ostasien, Europa, Nord- und Südamerika und Israel rd. 75% der globalen Wirtschaftsleistung. Die übrigen 4,5 Milliarden fallen im Vergleich zurück.

Wenn die Heimat keine Perspektiven bietet, steigt der Wunsch nach Auswanderung. Der bescheidene Wohlstandszuwachs der armen Länder erhöht den Migrationsdruck zusätzlich: extreme Armut wandert nirgendwo hin, weil sie die Kosten dafür nicht aufbringt. Es gibt wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich die heutigen Krisengebiete schnell und nachhaltig politisch stabilisieren. Das Gegenteil ist wahrscheinlich. Und nur besonders Mutige werden darauf wetten, dass sich die Auswanderungsländer von heute wirtschaftlich rasant genug entwickeln, um ihrer Jugend eine Zukunft zu ermöglichen.

Die Bedeutung für Europa

Die globalen Migrationsströme verteilen sich nicht gleichmäßig. Die hoch Qualifizierten sind in Südostasien, USA, Kanada oder Australien willkommen. Die Hilfsbedürftigen ziehen nach Europa, wo importierte ethnische und religiöse Konflikte zu immer größeren sozialen Spannungen führen. Europas Bevölkerung ist relativ gut qualifiziert aber alt. Für seine Migranten gilt das Gegenteil. Die meisten sind jung aber nur gering qualifiziert. Sie werden auf Jahre hinaus die Sozialsysteme belasten, bis sie einen Beitrag zur Wohlstandsvermehrung der aufnehmenden Gesellschaften leisten können. Wenn überhaupt.

Der des Leiter des französischen Inlandsgeheimdienstes, Patrick Calvar, warnte in einem vertraulichen parlamentarischen Hearing im Mai 2015 vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen:

„Wir werden einen Zusammenstoß zwischen der extremen Rechten und der muslimischen Welt erleben, nicht mit den Islamisten, sondern tatsächlich mit der Welt der Muslime. Die Konfrontation ist unvermeidbar. Die Radikalisierung der Gesellschaft und die tiefe Bewegung, die von ihr gezogen wird, sind eine größere Herausforderung als den Terrorismus zu besiegen.“

Unter diesen Voraussetzungen verliert die Europäische Union aus der Sicht einer hervorragend ausgebildeten Elite, die ihre Qualifikation weltweit vermarkten kann, an Attraktivität. Mit fatalen Folgen. Ein Bildungsbilanzdefizit ist schwerer zu kompensieren als ein Handelsbilanzdefizit. Die Entwicklung Europas entscheidet sich im 21. Jahrhundert nicht zuletzt entlang der Frage, welche Strategie der Kontinent für die Bewältigung der Migrationsbewegungen findet.

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.

4 comments

  • Nur soviel: nein, wir brauchen nicht „weniger Menschen“. Höchstens weniger niedrig qualifizierte Arbeitsplätze.

  • Vielen Dank für die Antwort! Sehr interessant!

    „Pensionen könnte man ebenso durch ein höheres Antrittsalter sichern, etc.“
    Aber das verschiebt das Problem ja nur nach hinten: wer älter wird, kann in der Regel auch länger arbeiten, aber es werden immer noch viele Jahre am Lebensende sein, in denen er im Ruhestand ist und kostet…

    „Sie schildern eine über weite Teile arbeitslosen Dienstleistungsgesellschaft, in der die Unternehmen die Kosten für die Arbeitslosen übernehmen.“
    Na ja, die Idee war ja, dass es gerade weniger Arbeitslose gibt, weil es weniger Menschen gibt. (Gut, immer genau die Qualifizierten zu haben, die gebraucht werden, ist schwierig…)
    Ich meinte die Finanzierung der Rentner(!) durch die Unternehmen (und auch nicht nur die, sondern durch alle Steuerzahler)…
    Und warum nur Dienstleistung? Nein, auch Produktion natürlich.

    „Aber werden die Unternehmen dann noch konkurrenzfähig sein?“
    Weiß man nicht, aber nach dem von mir skizzierten Modell, wenn es funktionieren sollte, schon: man kann viel gezielter Roboter für das, was gebraucht wird umprogrammieren, als dass man Menschen umschulen kann… Auch kann man Roboter einfach ausstellen und man muss ihnen keine Rente zahlen.

    „Kann und will Europa auf die Qualifikation und Ehrgeiz durch Einwanderer verzichten?“
    Qualifikation: Ist damit eine gemeint, die man hier nicht erwerben kann, die sich also tatsächlich bereichernd und synergetisch auswirken würde? Hier wäre ja bekanntlich gezielte Einwanderung, die NICHT mit Asylpolitik, nach der uns allein das Jungsein der Flüchtlinge als die Rettung weisgemacht wird, das Mittel der Wahl.
    Ehrgeiz: Ja, das ist in der Tat ein Punkt!

    „Außerdem ist Wachstum ein natürliches Prinzip: was schrumpft stirbt. Schneller oder langsamer.“
    Wenn man von einem zu hohen Wert ausgeht, kann sich etwas auch durchaus gesundschrumpfen. Länder müssen nicht so dicht besiedelt sein wie Holland, sie können auch so leer sein wie Australien. Ich sehe da kein großes Problem. Man muss einfach auch bedenken, was wir unserer Umwelt mit der dichten Besiedelung antun, das geht auf die Dauer einfach nicht gut…
    Sicher gäbe es irgendwann einen kritischen Wert, dass Gesellschaften nicht mehr funktionieren würden, aber: die wirklich geburtenstarken Jahrgänge vor dem „Pillenknick“ wären dann gar nicht mehr da, das Rentenproblem wäre also auch ein viel niedrigeres.
    Damit der kritische Punkt nicht erreicht wird, müsste durch das flächendeckende Bereitstellen von guter und am besten kostenloser Kinderbetreuung entgegengesteuert werden, dann kriegen die Leute auch wieder mehr Kinder, siehe Schweden. Weil es dann insgesamt viel weniger Kinder gibt, wäre das auch finanziell machbar…

    Alles sehr hypothetisch, ich weiß, Prognosen sind immer sehr unsicher, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. 😉
    Aber es erscheint mir doch sehr viel realistischer, als einfach stumpf die hier Wegsterbenden durch Migration auffüllen zu wollen in dem Kinderglauben, dann würde alles weitergehen können wie bisher: Nein, wir steuern auf ein Zeitalter der hohen hohen Technisierung zu, wo viel weniger Menschen gebraucht werden…
    Oder?

  • Auf 100 Millionen belaufen sich die Schätzungen, die nötig sind, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Darüber, ob eine schrumpfende Gesellschaft ein Problem ist, lässt sich streiten. Pensionen könnte man ebenso durch ein höheres Antrittsalter sichern, etc.
    Allerdings sind die europäischen Sozialsysteme zu einem erheblichen Teil umlagefinanziert. Ganz so einfach ist eine Finanzierung, die Sie beschreiben nicht. Sie schildern eine über weite Teile arbeitslosen Dienstleistungsgesellschaft, in der die Unternehmen die Kosten für die Arbeitslosen übernehmen. Aber werden die Unternehmen dann noch konkurrenzfähig sein? Und wichtiger noch: Kann und will Europa auf die Qualifikation und Ehrgeiz durch Einwanderer verzichten? Außerdem ist Wachstum ein natürliches Prinzip: was schrumpft stirbt. Schneller oder langsamer.
    Das eigentliche Thema ist ein anderes: Einwanderungspolitik kann nicht durch Asylpolitik ersetzt werden. Weder Österreich noch Deutschland haben eine Einwanderungspoltik. Lesen Sie zB den in diesem Blog verlinkten Artikel von Bassam Tibi, der beschreibt das ganz gut.

  • „Die Europäische Union braucht im selben Zeitraum nur rd. 100 Millionen Zuwanderer, um ihre niedrigen Geburtenraten zu kompensieren und die Bevölkerungszahl stabil zu halten.“
    Das verstehe ich nie: Wozu brauchen wir diese Kompensation? Der Trend geht so sehr dahin, dass wir immer weniger Arbeitnehmer brauchen und die wenigen, die wir brauchen, müssen hochqualifiziert sein, alle anderen Arbeiten erledigen Roboter – und das auch noch viel besser als Menschen.
    Auch die Altersversorgung kann und sollte und wird zum Großteil über Steuergelder erfolgen, was weiter ordentlich fließt, solange die Wirtschaft dank der Roboterarbeit prosperiert. Wir sollten uns mal von dem alten Bild und der Notwendigkeit des Generationenvertrags verabschieden.
    M.E. ist es auch kein Drama für die Lebensqualität, wenn die Bevölkerung schrumpft. Die Zersiedelung dürfte zurückgehen, was die Umwelt entlasten würde, und sich alles eher in den Städten sammeln, was für eine ältere Gesellschaft ohnehin besser ist.
    So würden auch Schulen und kulturelles Angebot weiter aufrecht erhalten bleiben…