DIE LISTE WATSCHENMANN

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Foto: © Bwag, CC-BY-SA-4.0 (cropped)

Ein Name, der vermutlich länger hielte

Am 8. November 2008 kam es im ORF zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung zwischen Jörg Haider und H.C. Strache. Mit strategisch effektvollem Dauerreden und ständigen Unterbrechungen zertrümmert er den alt und verbittert aussehenden ehemaligen Partei-Chef und Idol der Freiheitlichen, und etablierte sich als die junge, neue Stimme der FPÖ. Auf die Unterschiede zwischen seinem politischen Übervater Jörg Haider und sich selbst angesprochen, erklärte Strache dem zeitweise wütend reagierenden, einst verehrten Vorbild, dieser sei in sich selbst verliebt, stelle sich immer in der Vordergrund, die Partei leide an seinem Narzissmus und seiner Egozentrik. Eine Partei gehöre niemandem, sagte Strache damals und kündigte einen kollektiven Stil in der freiheitlichen Politik an, ohne Stars und ohne Messias, wie er Jörg Haider nannte. 

Mehr als zehn Jahre zuvor schrieb er Liebesbriefe ins Bärental an Jörg Haider, und auch seine Frau überbot sich mit Verehrung und guten Ratschlägen und versicherte ihm, eine ewig treue Weggefährtin zu ein. Jörg Haider erwähnte in privaten Gesprächen, dass Strache möglicherweise in ihm den verlorenen Vater sah, übrigens nicht zum ersten Mal im Leben des vaterlos Aufgewachsenen, der sich in jungen Jahren in die Tochter des Rechtsextremen Norbert Burger verliebte, in dessen Haus er ein und aus ging, bis die Tochter den Verdacht schöpfte, dass er eher die Nähe des Vater suchte, als den Kontakt zu ihr. 

2005 plante HC Strache einen Putsch gegen Jörg Haider, der diesem auswich und das BZÖ (Bund Zukunft Österreichs) gründete. Heute, mehr als zehn Jahre später, kündigt HC Strache die Übernahme einer erst kürzlich gegründeten Partei an und ändert den Namen von DAÖ (Die Allianz für Österreich) in ›Team HC Strache‹ und praktiziert einen Personenkult, den es in diesem Ausmaß nicht einmal um Jörg Haider gegeben hatte.

Der aus der FPÖ gefeuerte Strache wird plötzlich einem Haider immer ähnlicher, als dieser die FPÖ verlassen musste. Nervös, hektisch und jedem ins Wort fallend, ständig die gleichen Sätze wiederholend, zeigt er sich nur mehr als schlechte Kopie einer schlechten Kopie von sich selbst. Seine plakative und simple Rhetorik, die dennoch einen bestimmten Effekt hatte, als sie von bubenhaftem Charme überlagert war, wirkt verzweifelt bei einem Mann, der plötzlich alt wirkt, ohne je erwachsen gewesen zu sein. Seine Sätze knattern wie ein Maschinengewehr, ohne Betonungen, Höhen und Tiefen. Ohne Pausen fallen ihm die Worte aus dem Mund mit einer Berechenbarkeit und in einem Rhythmus wie die Bewegungen eines Wirts im Gasthaus an der Ecke, der seit Jahrzehnten jeden Tag Schnitzel klopft.

Vom ehemaligen freiheitlichen Europa-Abgeordnete Andreas Mölzer einst als »guter Kamerad« gelobt im Gegensatz zu Jörg Haider, der als »Messias« aufgetreten wäre, ist nicht mehr viel übrig. Da passt schon eher das Gleichnis von Anton Kuh, der im typischen Österreicher keinen »Kameraden«, sondern eher einen »Mitschüler« sah.

Trotz Verständnis für einen Mann, der über Nacht alles verlor, Positionen, Einkommen, Freunde, wofür er ein Leben lang gearbeitet hatte, schwebt über allem Mitleid das für den Beobachter schwer erträgliche Unschuldsgefühl, das bei öffentlichen Auftritten vermittelt wird. Es sind harmlose Formulierungen, die ihn verraten, wie zum Beispiel: »Habe mich zum Genieren verhalten.« Wer sollte sich jetzt genieren? Die einzig unmissverständliche Formulierung wäre: »Ich schäme mich für mein Verhalten.« Sprüche wie, es sei ja nur eine ›b’soffene G’schicht« gewesen, mit der Bitte vorgebracht, nichts ernst zu nehmen, was er dort sagte, widersprechen den Beteuerungen, dass er »jede Rechtswidrigkeit bewusst abgelehnt« habe. Dazu war er anscheinend nicht »besoffen« genug, hatte immer noch einen klaren Kopf und konnte sehr wohl unterscheiden, ob die verschiedenen Vorschläge und Pläne, die dort besprochen wurden, »rechtswidrig« waren. Wenn er sich trotz erhöhtem Alkoholspiegel völlig unter Kontrolle hatte, warum dann dieser peinliche und blamable Auftritt? 

Auf die Frage in einem Interview, ob er sich als Opfer sehe, antwortete er: »Der Einzige, der zu Schaden gekommen ist, bin ich!« und erinnert an den Satz in dem Monolog ›Herr Karl‹ (von Helmut Quartier und Carl Merz): »I hab nur an Juden g’führt. I war ein Opfer. Andere sind reich geworden. I war a Idealist.« Das typische Opferverhalten des österreichischen Spießers wiederholt sich bei H.C. Strache bis zur ›Dissozialen Persönlichkeitsstörung‹, die in der Fachliteratur beschrieben wird mit einem Mangel an Einfühlungsvermögen, Schuldgefühlen und Verantwortungsbewusstsein, wenn anderen Schaden zugefügt wird. Gleichzeitig hätte man eine gute Fähigkeit, die Gefühle anderer zu erkennen und für ihre Zwecke auszunützen.

Nun stellt sich das ›Team HC Strache‹ zur Wahl mit einem weitgehend identischen Partei-Programm wie die FPÖ. Auf fehlende Unterschiede angesprochen, antwortet Strache selbstbewusst, dass natürlich die Programme ähnlich sein würden, er habe ja einst als Obmann das Programm der FPÖ geschrieben, aber es gehe um seine Person, die sei eben jetzt bei der neuen Partei. Den Narzissmus eines Jörg Haider einst als Grund für dessen Sturz vorgebracht, stellt er nun seinen eigenen als Überschrift über das austauschbare Parteiprogramm.

Eine inhaltliche Bewertung und politische Positionierung dieser neuen Partei sei dem Wähler überlassen. Vielleicht als Entscheidungshilfe eine der letzten Twitter-Meldungen von Strache: »Das Schöne am Sozialismus ist, dass er es angepassten Apparatschiks mit Mondgehältern aus Steuergeld erlaubt, sich als NS-Widerstandskämpfer und Helden des kleinen Mannes zu fühlen« – trotz mehrmaligem Lesen ist es mir bisher nicht gelungen, einen Zusammenhang zwischen Mondgehälter, NS-Widerstandskämpfern und dem »kleinen Mann« zu verstehen. 

Abspaltungen und Neu-Gründungen politischer Parteien hatten in Österreich bisher wenig Chancen. Schon Franz Olah versuchte es nach seinem Rauswurf aus der SPÖ 1965 mit der DFP (Demokratische Fortschrittliche Partei), Heide Schmidt mit dem LIF (Liberales Forum), Jörg Haider mit BZÖ (Bündnis Zukunft Österreichs) und Peter Pilz mit der Liste Pilz. Hans Peter Martin scheiterte mit der ›Liste Dr Martin‹ und Frank Stronach mit dem ›Team Stronach‹.

Dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den Gründungsversuchen in der Vergangenheit. Es waren respektable Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die neue Parteien gründeten. HC Strache verhöhnt jedoch das politische System der Republik mit seiner Kandidatur. Sein Verhalten in dem Video ist nicht nach Kriterien der »Rechtswidrigkeit« zu bewerten, wie er es versucht. Es läuft einem kalt über den Rücken, wenn man es beobachtet, und lässt eher Übelkeit zurück als nur Verwunderung, wenn der »Held« dieser Lächerlichkeit sich jetzt als »Retter der Opposition« den Wählern anbietet. 

Doch im Sinne der demokratischen Vielfalt ist es zu akzeptieren, dass HC Strache seine Anhänger hat, die verärgert über Regierung und Opposition einen Vertreter für ihre Unzufriedenheit suchen und aus Zorn und Enttäuschung einen Anti-Helden wählen. Für solche Gemütszustände gab es früher im Prater eine Figur, den »Watschenmann« (steht jetzt im Prater-Museum), mit einem großen, ballonartigen, mit Leder überzogenen Kopf. Dem durfte man gegen eine kleine Gebühr einfach eine herunterhauen, wobei er einen charakteristisch brummenden und klappernden Laut ausstieß. Die Heftigkeit des Schlages wurde gemessen und der Spaß ergab sich aus dem Vergleich mit Freunden, Verwandten oder Fremden und man fühlte sich einfach besser nach ein paar verteilten Ohrfeigen.

Da der Partei-Chef des ›Teams HC Strache‹ mit gerichtlichen Folgen des Ibiza-Urlaubs rechnen muss, und unklar ist, wie lange er, selbst bei einer Wahl in den Wiener Landtag, seinen Wählern erhalten bliebe, wäre eine Umbenennung seiner Partei in »Liste Watschenmann« eine Garantie dafür, dass keine weitere Namensänderung notwendig wäre und die Zornigen ihre politische Heimat nicht verlieren würden.

Zuerst erschienen auf NEWS.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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