DIE FPÖ UND DIE JUDEN

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Warum Juden Strache nicht mögen, und er sie nie verstehen wird

Der heftige Brief der Vertreter der Knesset, des israelischen Parlaments, in dem die FPÖ als Nachfolgepartei der Nationalsozialisten bezeichnet wird, und die Anordnung des israelischen Premierministers, jeden Kontakt zur FPÖ auf Ministerebene zu verhindern, hat die Freiheitlichen geschockt. Man war sich so sicher, dass es hier Gemeinsamkeiten geben würde. In Israel regiere doch ebenfalls eine rechte Koalition und Strache würde – so kündigte er in einem Brief an Netanyahu an – sofort Jerusalem als Hauptstadt anerkennen. Wie Jüdische Gemeinden in Europa sehe man die Gefahr des Antisemitismus durch Flüchtlinge aus arabischen Ländern und besuchte auch noch das Holocaust-Museum in Jerusalem – was soll man (verdammt noch einmal) noch alles tun?

Offensichtlich sind die Berater der FPÖ in Bezug auf Israel und Judentum ebensolche Fachleute wie ich im Bereich der Viehzucht in Alpenregionen. Anders kann man sich die vielen Fehler und falschen Einschätzungen der Realität nicht erklären.

Vielleicht kann dieser Beitrag so manchem in der Partei helfen, die Situation besser zu verstehen, um zu begreifen, dass alle Reisen nach Israel, alle netten Briefe und Schmeicheleien, nichts am Boykott ändern werden – solange die FPÖ die Beziehungen zur Österreichischen Jüdischen Gemeinde nicht normalisieren kann oder will.

Die zweite und dritte Generation

Ich wurde kurz nach Ende des Krieges geboren. Aufgewachsen in Wien als nicht religiöser Jude, mit Eltern, die im Kommunismus die Lösung des Antisemitismus-Problems zu erkennen glaubten, ohne jüdische Feste und Besuche von Synagogen, fuhr ich als 17-jähriger Schüler nach Auschwitz. Erst diese Reise riss mich aus der Gleichgültigkeit und Verweigerung, unterbrach den Dauerschlaf meine Herkunft betreffend, als hätte man mir eine heiße Nadel unter die Haut geschoben, die nie mehr erkaltet.

Der immer wieder beschriebene Massenmord, den ich aus Büchern, Filmen und den Überlebens-Geschichten der Freunde meiner Eltern kannte, konzentrierte sich in dem Lager, in dem meine Großmutter und andere Verwandte getötet wurden, zu einem unerträglichen Gefühl.

Ich löste mich damals von der Gruppe, die durch das Museum ging, und blieb minutenlang alleine vor den einzelnen Schaukästen stehen. Nicht ein riesiger Berg von Brillen, Haaren, Koffern und Zahnbürsten der Ermordeten lagen dort hinter Glaswänden, sondern die Haare meiner Großmutter, und der Koffer und die Brillen der kleinen Schwester meines Vaters. Ich ertappte mich bei dem Versuch, die Aufschriften auf den Koffern zu lesen und die Adressen an den Schildern, die immer noch an den Griffen hingen. Als hätte man mich zurück an den Tatort eines Verbrechens geholt, um die Reste meiner Verwandten zu identifizieren.

Später erreichte ich die Gruppe, die vor dem Bus wartete. Auf dem Rückweg saß ich neben einem Mädchen, das etwa genauso alt wie ich war. Wir schwiegen eine Zeitlang, bis sie dieses Gespräch begann, das mich für die nächsten Jahrzehnte prägte.

„Ich weiß es nicht, aber ich bilde mir ein, ich sah auf einem der Koffer den Namen meines Onkels“, sagte sie leise.

Ich sah sie erstaunt an und fragte sie: „Hast du auch nach Namen gesucht?“

Sie nickte nur. Wir schwiegen ein paar Minuten, bis ich sie fragte: „Hört denn das niemals auf? Wird es einmal einen Moment geben, in dem wir alles vergessen?“

„Nein, wir haben keine Chance. Vielleicht unsere Kinder.“, antwortete sie, und ich verstand plötzlich, warum ich mich trotz der Flucht meiner Eltern aus dem Judentum in einer nicht-jüdischen Umgebung oft so fremd und hier im Bus mit anderen Kindern von Überlebenden so verstanden fühlte. Das Leben mit Überlebenden machte Vergangenes stets auch zur Gegenwart. Wer konnte das sonst noch verstehen?

Die meisten Freunde meiner Eltern waren Linke oder zumindest Sympathisanten der Kommunisten und Sozialisten, überzeugte Atheisten, und zu Weihnachten gab es den Christbaum so wie bei allen anderen Österreichern. Und dennoch kamen sie alle aus jüdischen Familien mit ähnlichen Vergangenheiten, benahmen sich wie Juden, sprachen wie Juden und dachten wie sie – nur, dass sie an keinen Gott glaubten und zu Ostern ihre Kinder im Garten nach Schokolade-Eiern suchen ließen statt Pessach zu feiern.

Ein Auftrag, der verbindet

Wie sollen Vertreter der FPÖ (oder anderer Parteien) diese ‚Zweite und Dritte Generation’ verstehen, die heute die einflussreichen Repräsentanten des Judentums in Europa sind. Sie kennen nicht unsere Empfindlichkeiten und reagieren fassungslos auf unsere oft für andere unerklärbar aggressiven Reaktionen auf manchmal lächerliche, fast kokette Verharmlosungen der Nazizeit. Eine Weihnachtskarte aus den 40iger Jahren mit NS-Symbolik ist für den FPÖ-Funktionär, der sie verschickte, vielleicht ein schlechter Scherz, mehr nicht. Er habe es nicht so gemeint, und daraus eine Neonazi-Mentalität zu machen, sei eine endlos übertriebene Aufregung, für die es keinen Grund gäbe.

Doch, für ‚UNS‘ ist es ein Grund für Wut, Enttäuschung, Ärger und Verbitterung.

Zumindest in Europa, Israel und Nord-Amerika wuchs die ‚Zweite und Dritte Generation’ in der Sicherheit der Demokratie auf und sie lebten als ‚Kinder der Opfer‘ einen ruhigen Alltag, wie er in der Geschichte des Judentums kaum je vorgekommen ist. Vielleicht ist die Nachkriegsgeneration der Juden in Österreich die erste überhaupt, die hier ohne Verfolgung, Diskriminierung und Vertreibung einmal ihr Leben beenden wird.

Dennoch, trotz dieses behüteten und abgesicherten Lebens, verbindet die Nachkriegsgeneration ein Auftrag, der nicht diskutabel ist. Und zwar für alle Juden, ob sie nun in Tel Aviv, Wien oder Hongkong leben. Das zu verstehen, ist für Nicht-Juden in vielen Situationen nicht einfach und nicht nachvollziehbar und führt zu Erstaunen und Missverständnissen, oft auch zu Vorwürfen, warum man so empfindlich sei und scheinbar nahezu willkürlich Menschen oft nur wegen ‚Kleinigkeiten’ verurteile, boykottiere oder ablehne.

Die historischen Tatsachen des Holocaust sind für die zweite und dritte Generation immer auch Teil der eigenen Familiengeschichte. Der Geschichtsunterricht waren die Erlebnisse der eigenen Eltern, Geschichte wurde zu Geschichten und Schicksal, erzählt oder auch nicht erzählt, beschrieben oder verschwiegen, aber immer präsent.

Ein einfaches Beispiel unterschiedlicher Empfindlichkeit sind manchmal sogar gutgemeinte Artikel und Beiträge in den Medien zum Thema Holocaust und Judenfeindlichkeit. Wie oft wurde neben einem dieser Artikel ein Berg von Leichen aus einem befreiten Konzentrationslager gezeigt, mit der Unterzeile wie am 5.10. 1984 in der der ZEIT: „Leichenberg in einem KZ“. Wer immer dieses Foto als Illustration ausgewählt hat, seine eigenen Verwandten vermutete er auf dem Bild sicher nicht.

Die Verantwortung

Wenn also der Vorsitzende des Jüdischen Gemeinden Österreichs, Oskar Deutsch, jeden Kontakt mit Vertretern der FPÖ ablehnt, so handelt er im Sinne seines Auftrags als Vertreter der Nachkommen der Toten und Überlebenden. Er kann gar nicht anders. Die Relativierungen, Verharmlosungen und offen neonazistischen Aktivitäten einzelner Funktionäre der FPÖ verhindern jeden Dialog, da der offizielle Vertreter der Juden in Österreich nicht nur die Mitglieder seiner Gemeinde vertritt, sondern auch seine eigene Familie.

Ich hatte einen anderen Weg versucht, und mit der Kritik an meiner Entscheidung muss ich leben, denn sie ist absolut berechtigt. Jörg Haider versicherte mir Anfang der 1990-iger Jahre, dass er vorhabe, den Konflikt mit der Jüdischen Gemeinde zu beenden. Ich sah damals eine Chance mitzuarbeiten, neben der ÖVP eine zweite konservative Partei – ohne rechtsradikale Ideologie – innerhalb des demokratischen Spektrums Schritt für Schritt aufzubauen. Mit Knittelfeld wurde dieses Vorhaben beendet und somit auch mein politisches Experiment.

FPÖ Chef Strache, der rechtsextreme Aktivitäten seiner Funktionäre zum Teil verharmlost oder negiert, sich nie dafür entschuldigt und mit dem Satz im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen eine lächerliche Tanzveranstaltung, die Freiheitlichen seien die Neuen Juden, die gesamte Jüdische Gemeinde beleidigte, bezeichnet es als ‚Herzensangelegenheit‘, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren.

Das ist sicherlich möglich, auch andere politisch rechte Parteien konnten in der Vergangenheit einen Boykott durch Israel Schritt für Schritt beenden. Doch es gibt Regeln für diesen Prozess, und den hat die FPÖ anscheinend noch nicht verstanden. Ohne eine Normalisierung der Beziehungen zur Jüdischen Gemeinde in Österreich wird kein Vertreter der Israelischen Regierung mit der FPÖ Kontakt aufnehmen – können sie gar nicht, denn hier sind wir wieder bei dem (nicht offiziellen) Auftrag der Ermordeten und Überlebenden an die ‚Zweite und Dritte Generation‘.

Mein Ratschlag für die Verbesserung der Beziehungen zur Jüdischen Gemeinde und Israel ist einfach und problemlos realisierbar:

Fragt einfach die Vertreter der Gemeinde. Die wissen ziemlich genau, unter welchen Bedingungen sie bereit wären, die Beziehungen zu normalisieren. Und dann macht einfach, was sie euch raten. Erst dieser Prozess wird letzten Endes auch einen Dialog mit Israel ermöglichen.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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5 comments

  • Im Prinzip ein zutreffender Kommentar.

    Allerdings hinterläßt er die Frage, ob die Juden selbst heute noch so sehr in der Vergangenheit behaftet sind, daß sie nicht begreifen, daß die restriktive antiislamische Politik FPÖ beide Seiten zu natürlichen Verbündeten macht? Ein Aufwachen wäre angebracht..

    Denn Judenverfolgung könnte leicht wieder passieren, diesmal von einer ganz anderen Gruppe ausgehend. Mit Stillhalten bzw. Bündnissen mit den opportunistischen Altparteien SPÖ/ÖVP (deren Judenfeindlichkeit durchaus ebenso vorhanden ist, nur moderner und ummantelt als „Israelkritik“) wird man dem moslemischen Problem definitiv nicht Herr werden.

    Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Juden Österreichs in 20 Jahren merken werden, daß sich die bei anhaltendem Zuzug aus Nahost und Afrika und der daraus resultierenden massiven Verschiebung des Bevölkerungsanteils zugunsten der Moslems, für die Unterstützung der falschen Seite entschieden haben.

  • Lieber Herr Sichrowsky,
    es gibt Texte, die werden in das eigene Buch des Lebens aufgenommen. Dieser, Ihr Text, ist so einer. Sie sprechen das aus, was auch ich empfinde. Mein biographischer Hintergrund: keine jüdischen Vorfahren, katholisch sozialisiert, Vater im Russland-Einsatz (Funker), Mutters engste Kindheitsfreundin ein jüdisches Mädchen in Wien (bis 1938); meine Frau hat eine (- nur mündlich berichtete -) jüdische Urgroßmutter; mein dreitägiger Aufenthalt in Auschwitz brachte die endgültige Wende.
    Ich würde mit Ihnen gerne ein paar Minuten über die FPÖ sprechen. Rufen Sie mich bitte an, ich würde Sie auch zurückrufen.
    Mobil: 0043 676 93 54 122
    Liebe Grüße,
    Michael W. Mader

  • Lieber Ariel
    Danke für diesen Kommentar, der mich ganz besonders gefreut hat.
    Peter Sichrovsky

  • Lieber Peter
    Danke für diese Stellungahme . Du gibst sehr genau unsere Emofindungen wieder. Hätte es nicht besser formulieren können.
    Ariel Muzicant