Photo: Patricia Romero, CC BY-NC-SA 2.0
Die Arisierung von Chanel N° 5
Gabrielle Bonheur ‚Coco‘ Chanel wurde 1883 als zweites Kind einer unverheirateten Wäschefrau eines Krankenhauses geboren. Der Vater war Straßenhändler, der billige Kleidungsstücke von einem Jahrmarkt zum anderen fuhr und sich nicht um die Familie kümmerte. Als 12-Jährige kam sie in ein Kloster, und von diesem Zeitpunkt an sah sie in der Zahl ‚Fünf‘ eine magische Kraft und versuchte, viele ihrer wichtigsten Entscheidungen und Kreationen damit zu verbinden.
1971 starb sie als wohlhabende Frau und gilt seit ihren Erfolgen als eine Ikone der Modewelt, als Symbol für Schönheit und Eleganz, und ihr Parfum hat es als einziges geschafft, sogar als ‚Kleidungsstück‘ berühmt zu werden, nachdem Marylin Monroe auf die Frage, was sie während der Nacht tragen würde, angeblich antwortete: Chanel N° 5.
Letzte Woche bekam dieser kristallklar scheinende Ruf ein paar unschöne Kratzer durch die Präsentation der Französischen Dokumentation ‚The N° 5 War‘, die – als Frankreichs Beitrag bei den Filmfestspielen in Jerusalem – die Bemühungen Coco Chanels zeigt, während der NS-Zeit mit Hilfe der Arier-Gesetzgebung ihre jüdischen Geschäftspartner zu enteignen.
N° 5, eine russische Idee
Entwickelt hat das Parfum der russische Chemiker Ernest Beaus, hergestellt haben es die beiden jüdischen Brüder Pierre und Paul Wertheimer, und vertrieben wurde es vom Pariser Kaufhaus Galeries Lafayette. Chanel bekam 10% der 1924 gegründeten ‚Les Parfums Chanel‘, die Wertheimers 70% und das Kaufhaus 20%. Eine Vereinbarung, die Chanel ein Leben lang kritisierte und bekämpfte.
Dabei war es Coco Chanel selbst, die Anfang der 1920-iger Jahre die beiden Brüder angesprochen hatte, Herstellung, Marketing und Verkauf zu übernehmen, da ihr sämtliche Kaufhäuser und Geschäfte nicht zutrauten, diese Verantwortung alleine zu bewältigen. Jeder war von dem Geruch des neuen Parfums begeistert und alle sahen in der jungen Chanel eher die hübsche Symbolfigur und nicht die Geschäftsfrau.
Nachdem Chanel N° 5 1927 zum meist verkauften Parfum der Welt aufstieg, ertrug Chanel es nicht mehr, dass sie nur mit 10% beteiligt war, und entwickelte den Plan, die Wertheimers aus dem Geschäft zu drängen. Von Beginn an sah sie im ‚jüdischen‘ Geschäftssinn der Wertheimers den wahren Grund dafür, um ihren Erfolg betrogen zu werden, und wurde ein Leben lang eine fanatische Antisemitin.
Für ihre ‚Wiedergutmachung‘ war ihr jedes Mittel recht. Sie versuchte es zuerst in England, begann eine Affäre mit dem Duke of Westminster, damals einer der reichsten Männer der Welt und eingefleischter Antisemit, über den sie auch Churchill treffen wollte, der dies jedoch ablehnte. Die politische Weltlage änderte sich durch den Beginn des Krieges, und Chanel entschloss sich, den Judenhass der Deutschen für ihre Interessen einzusetzen.
Geliebte des SS-Offiziers
Nach der Besetzung von Paris durch die Deutschen wurde sie die Geliebte von Hans Günther von Dincklage, einem Aristokraten, der in der Abwehr und im Geheimdienst der Wehrmacht eine einflussreiche Position einnahm. Dincklage war von Beginn an ein begeisterter Nationalsozialist und berichtete bereits 1928 bis 1933 aus Frankreich an die SS über die Emigrantenszene. 1933 übernahm er die Propagandaabteilung der Deutschen Botschaft in Paris.
Die beiden hausten während des Krieges im luxuriösen Ritz-Hotel in Paris, und Chanel schaffte es, in den Dokumenten der Deutschen Abwehr als „Agentin 7124“ unter dem Code-Namen „Westminster“ gelistet zu werden. In hunderten Dokumenten der deutschen Abwehr sind Notizen zu finden mit Informationen von Coco Chanel über Emigranten und ‚deutsch-feindliche‘ Aktivitäten. Coco war ein Star der Besatzungsszene und wichtiger Gast bei Festivitäten und Veranstaltungen. Die Beziehung mit dem NS-Aristokraten ging auch nach dem Krieg weiter, bis sie sich 1950 trennten.
Nach dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich hatte Chanel nur noch einen Plan – mit Hilfe der SS den Wertheimer-Brüdern das Unternehmen wegzunehmen. In Dutzenden Schreiben und Ansuchen verwies sie auf die Arisierungsgesetze und verlangte, dass die beiden Brüder enteignet werden sollten. Sie bot sich als Agentin an, versprach, weitere geheime Informationen durch ihre Kontakte sammeln zu können, und ihrem Geliebten im Geheimdienst garantierte sie enormen Reichtum, falls er ihr helfen könnte, das Unternehmen zu erwerben.
In einem ihrer Briefe an die SS beklagte sie, dass trotz deutscher Besatzung und Arisierungs-Gesetzen ‚Les Parfums Chanel‘ immer noch „im Besitze von Juden“ sei.
‚Parfum-Deal‘ mit dem Kollaborateur
Doch zu ihrem Ärger waren ihr die beiden Brüder immer einen Schritt voraus. Sofort nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland und den antisemitischen Gesetzen und Ausschreitungen, bereiteten die Wertheim-Brüder die Sicherung ihres Eigentums vor. Sie selbst flüchteten schon lange vor dem Einmarsch der Deutschen aus Frankreich in die USA. Dann wurde die Produktion Schritt für Schritt nach Amerika verlegt und das Französische Unternehmen an den Industriellen Félix Amiot verkauft. Amiot war Christ und Nazi-Kollaborateur, und er war den Deutschen als Waffenproduzent zu wichtig, um ihn wegen eines Parfums anzugreifen oder zu enteignen. Schon während des 1. Weltkrieges arbeitete Amiot mit den Wertheimer-Brüdern zusammen, die drei kannten sich gut und vertrauten einander, unabhängig von Religion und politischer Überzeugung.
Chanel soll angeblich getobt haben, als sie erfuhr, dass die beiden Juden ausgerechnet einem Nazi ihr Unternehmen anvertraut hatten, um es zu retten. Den sogenannten ‚Parfum-Deal‘ besiegelten die beiden Wertheimers mit Amiot durch eine vorgetäuschte 50%-ige Beteiligung an der Waffenproduktion, die dem Wert der Chanel-Anteile entsprach. Doch Chanel gab nicht auf. 1943 versuchte sie es noch einmal und stellte einen Antrag, die Übertragung der Chanel-Anteile an Amiot als ‚Scheingeschäft‘ – um einer Arisierung zu entgehen – zu stornieren und ihr die Anteile zu übergeben. Wieder scheiterte sie.
1944 nach der Befreiung von Paris wurde Chanel wegen Kollaboration angezeigt, rettete sich jedoch mit ihrem deutschen Liebhaber in die Schweiz.
Das Ende des Krieges
Nach dem Krieg wurde die Vereinbarung zwischen den Wertheimers und Amiot wieder rückgängig gemacht. Die Wertheimer-Brüder zogen sich aus der Waffenproduktion zurück, und Amiot übertrug ihnen völlig problemlos die Chanel-Anteile. Bis heute ist Chanel im Besitz der Wertheimer-Familie.
Die Wertheimers als Eigentümer von Chanel waren nie an einem Rachefeldzug oder an einer Bestrafung von Coco Chanel interessiert. Sie hatten sich selbst und das Geschäft gerettet, und das war genug. Wichtig war ihnen, geschäftsstörende Verhandlungen oder Gerichtsverfahren zu verhindern, und so übergaben sie Coco Chanel nach dem Krieg einen Scheck über 9 Millionen US-Dollar für die Anteile, die sie während des Krieges nicht bekommen hatte. Sie einigten sich mit Coco Chanel auf eine Beteiligung an zukünftigen Geschäften, die Coco ein Leben lang ein Einkommen von mehr als 25 Millionen USD im Jahr sicherte.
Zahlreiche Biografien über Coco Chanel ignorieren diese Epoche ihres Lebens. In manchen Veröffentlichungen werden ihre Kontakte zu England sogar als Friedensbemühungen beschrieben. Erst jetzt kommen mehr und mehr kritische Publikationen und Dokumentationen auf den Markt, die ein anderes Bild der ewig lächelnden Mode-Puppe zeigen.
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