Der Jubel der Hamas

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Die zwei Wochen nach dem Anschlag hätten für die Hamas kaum besser laufen können: Die Gelder fließen, die Medien wenden sich dem Gazastreifen zu, die Juden sind verunsichert.

Nicht einmal eine Woche nach dem schlimmsten Pogrom seit der Shoah hatte die Sorge um die drohende »humanitäre Katastrophe« im Gazastreifen die systematische Folterung und Ermordung von mehr als 1.400 Juden aus den Schlagzeilen verdrängt. 

Das Prinzip ist immer dasselbe: Die palästinensische Propaganda setzt Fake-News in die Welt, die Medien teilen sie begierig und prompt läuft die weltweite Empörungsmaschine an. Nach ein paar Tagen werden die Meldungen widerlegt und am Ende stehen Wahrheit und Lüge nebeneinander als gäbe es nicht den geringsten Unterschied. Die vorschnelle Berichterstattung über die Explosion einer abgestürzten Rakete des Islamischen Jihad auf dem Parkplatz des Ahli-Arab-Krankenhauses in Gaza-Stadt am 14. Oktober, war ein Musterbeispiel dafür. 

Pay for slay

»Gott sei gedankt, wir waren sehr erfolgreich«, jubelt Hamas-Vertreter Ali Barakeh nicht ohne Grund. Nicht nur propagandistisch, auch finanziell hat sich der Anschlag für die Palästinenser gelohnt. 50 Millionen Dollar extra von Deutschland, 100 Millionen von den USA. Davon profitiert auch die Hamas. 

Allein die Renten für die Angehörigen der Mörder vom 7. Oktober werden diesen Monat 2,7 Millionen Dollar ausmachen, wie Itamar Marcus, Direktor der NGO Palestinian Media Watch, vorrechnet: »Nach dem Gesetz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) wird jeder Terrorist, der bei einem Angriff auf Israel getötet wird, als ‚Märtyrer‘ betrachtet, dessen Familie von der PA sofort mit einem Zuschuss von 6.000 Schekel (rd. 1.500 US-Dollar) und einer monatlichen Unterstützung von 1.400 Schekel (rd. 350 Dollar) auf Lebenszeit belohnt wird. Die PA wird in diesem Monat mindestens 11.100.000 Schekel (rd. 2,7 Mio. Dollar) als Belohnung für die Beteiligung an den Morden und Gräueltaten gegen israelische Zivilisten in der vergangenen Woche zahlen.« Inhaftierte Terroristen erhalten ebenfalls 350 Dollar pro Monat – wenn sie verheiratet sind und Kinder haben, noch mehr. Das Gehalt steigt mit der Haftdauer auf bis zu rd. 3.000 Dollar monatlich. Mitfinanziert von unseren Steuern.  

Gazas Mittelschicht

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn die Geiseln dafür freikommen, kann man in diesem Fall auch eine Milliarde überweisen. Aber solange wir auf Dauer eine Behörde finanzieren, die die Ermordung von Israelis mit lebenslangen Renten belohnt, sollten wir von unserer »besonderen Verantwortung gegenüber Israel« besser schweigen. 

Die Palästinenser sind die am höchsten subventionierte Volksgruppe der Geschichte. Wenn sie aus aus Wasserrohren Raketen basteln können, können sie auch Brunnen und Kraftwerke bauen. Wenn sie eine ganze Stadt mit einem hunderte Kilometer langen Tunnelsystem vernetzen können, können sie auch U-Bahnen und Abwasserkanäle bauen. Zumal es heute schon Oasen des Wohlstands gibt, die eine Vorstellung davon vermitteln, was aus dieser Gegend hätte werden können. Oder einmal werden könnte.

Nie wieder ist wohl kaum so gemeint, dass Juden sich verstecken sollen, während der antisemitische Mob sich austoben kann.

Neben den Ausbildungslagern der Hamas und den zerbombten Stadtvierteln gibt es eine Parallelwelt, in der die palästinensische Mittelschicht von Massagetherapeuten, Fitnesstrainern und privaten Strandresorts umworben wird. Auf Facebook präsentieren kleinere Chalets ihre Anlage, zum Beispiel das White Chalet, das 4 Seasons, das Akaber, das Romia oder das Alshorouq. Auf TripAdvisor werben die besseren Hotels um Gäste. Und den Hamas-Spitzen mangelt es ohnehin an nichts, sie residieren in 5-Sterne Hotels in Katar. Wenn Sie den Links folgen, sehen Sie einen Ausschnitt jenes Teils von Gaza-Stadt, der in den Abendnachrichten nicht gezeigt wird. Und ja, der größte Teil des Gazastreifens ist ein Drecksloch, aber nicht Israel hat es dazu gemacht.

Nie wieder! Wirklich?

Auch auf den Straßen von Wien und Berlin wurde der organisierte Massenmord an den Juden mit der Verteilung von Süßigkeiten gefeiert. Zehntausende demonstrieren in den westlichen Metropolen gegen Israel. Die Polizei rät Juden, zum Schutz ihrer Sicherheit ihre jüdische Identität zu verbergen, oder zuhause zu bleiben. Aufgrund der erhöhten Terrorgefahr sollten alle die Nähe zu jüdischen Einrichtungen meiden. 

Nie wieder ist wohl kaum so gemeint, dass Juden sich verstecken sollen, während der antisemitische Mob sich austoben kann. Wo bleibt ein Satz des österreichischen Bundespräsidenten, wie er ihn so ähnlich aus anderem Anlass geäußert hat: »Wir werden alle Männer bitten müssen, eine Kippa zu tragen ­– aus Solidarität.« Und wo bleibt die Zivilgesellschaft? Ein Lichtermeer, Hunderttausende auf den Straßen, die zeigen, dass sie geschlossen hinter der jüdischen Gemeinde stehen? Zehntausende Muslime, die gegen das Morden im Namen ihres Gottes protestieren? Solidaritätskonzerte in jeder größeren Stadt? Oder wenigstens eine Lesung im Burgtheater? Stattdessen dröhnendes Schweigen und ein paar schmallippige Floskeln der sonst so wortgewaltigen Zeichensetzer. Immerhin: in Berlin folgten rund zehntausend Teilnehmer dem Ruf vieler Parteien und Organisationen zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Solidarität mit Israel. Zehntausend von 3,6 Millionen. 

In Wien reißt eine 17-Jährige mit Hilfe eines Freundes die israelische Fahne vom Stadttempel, während eine Frau simuliert, mit einem Maschinengewehr auf das Gebäude zu schießen. Wären es doch bloß drei betrunkene Burschenschafter gewesen: das hätte einen Aufstand gegeben!

Epilog: Das Wesen des Massakers

Mit welcher Grausamkeit das Hamas-Massaker verübt worden ist, entzieht sich der menschlichen Vorstellungskraft. Ich beschreibe sie an dieser Stelle, weil wir wissen sollten, wovon wir sprechen und mit wem wir es zu tun haben. Und weil es ähnliche Schilderungen über die Leichen der Opfer des Münchner Olympia-Attentats 1972 und des Anschlags auf das Bataclan in Paris 2015 gibt. 

Nicolas Delasalle ist »Grand Reporter« (Kriegsberichterstatter) beim französischen Magazin Paris Match. In einem langen Thread auf X, formerly known as Twitter, schildert er anfangs seine Eindrücke beim Besuch einer behelfsmäßigen Leichenhalle in einem Vorort von Tel Aviv, in der sich Hunderte von israelischen Leichen stapelten. Hier ein Auszug daraus:

»Die Leichen von Soldaten sind leichter zu erkennen, da die Armee über ihre DNA verfügt. Die von Zivilisten sind viel arbeitsintensiver. Die meisten sind in einem sehr schlechten Zustand. In dieser Oktobernacht, im Licht starker Halogenlampen, empfängt uns der 74-jährige Israel Weiss in Uniform mit einem ausdruckslosen Blick: ›Ich bin seit 50 Jahren beim Militär. Ich habe schon viel gesehen, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Noch nie haben wir so viele Leichen gesehen.‹ Der Angriff der Hamas war nicht nur darauf ausgerichtet zu töten, der Ausbruch der Gewalt, die Orgie der Misshandlungen und die Wiederholung des Horrors können kein Zufall sein, sagt Weiss. Mit monotoner, erschöpfter Stimme zählt er die dokumentierten Gräueltaten auf.

Den Ermittlungen zufolge wurde eine große Anzahl der Opfer bei lebendigem Leib verbrannt. Alten Menschen wurden Finger und Zehen abgehackt, bevor sie getötet wurden, andere wurden mit einer Axt enthauptet. Viele Frauen wurden nackt aufgefunden und vergewaltigt, bevor sie massakriert wurden. Eine schwangere Frau wurde mit aufgeschlitztem Bauch und herausgerissenem Fötus entdeckt. Männern wurden die inneren Organe aus dem Bauch herausgerissen. Die verkohlte Leiche einer Frau sah bis auf den Brustkorb normal aus. Anhand der bildgebenden Verfahren erkannten die Gerichtsmediziner, dass sie ihr Kind in den Armen hielt, als sie bei lebendigem Leib verbrannt wurden.«

Delasalles Bericht deckt sich mit der Schilderung von Yossi Landau, einem freiwilligen Helfer der ZAKA, jener staatlich anerkannten Organisation, die nach Unfällen oder Selbstmordattentaten Hilfe leistet und Leichenteile einsammelt. Mit brechender Stimme erzählt er die Szenerie im ersten Haus, das er nach dem Überfall betreten hat. Auf einer Seite des Esszimmers sahen sie ein Paar, Vater und Mutter, knieend, die Hände auf den Rücken gefesselt, den Kopf am Boden. Gegenüber, auf der anderen Seite des Raumes mit dem Gesicht zu den Eltern gerichtet, ein sieben Jahre alter Junge und ein Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, in der gleichen Position, knieend, die Hände auf den Rücken gefesselt, den Kopf am Boden. Ihre Körper wurden gefoltert. »Und wenn ich sage, gefoltert, dann spreche ich von fehlenden Körperteilen. Ein Auge, einfach herausgenommen, die Finger…« Landau zeigt mit einer Geste, was er nicht aussprechen kann: abgehackt. Am Ende hatten alle eine Kugel im Kopf. 

Ob die Eltern vor ihrer Ermordung ansehen mussten, wie ihre Kinder gefoltert werden oder umgekehrt, wissen wir nicht. Wie so vieles. 

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.