Kommt in den besten Familien vor
Meine Haare sind zu lang, ich sollte wirklich dringend zum Figaro. Vorher aber muss ich mit meiner Kutsche in die Werkstatt, die Kupplung anschauen lassen. Hoffentlich geht sich das alles bis heute Abend aus. Denn da winkt (hier bitte Fanfarenklänge einfügen) erstmals seit Monaten wieder ein Date.
Mit einer gewissen Bettina, die mir zufällig auf willhaben.at über den Weg gelaufen ist, wo ich mein Sofa gegen ein paar Euro zum Verscherbeln reingestellt habe. Dass dabei eine Damenbekanntschaft rausspringt war nicht geplant. Aber, ehrlich, für dieses Tinder als Partner-Börse wäre ich eh zu deppat. Bei ‚Wisch und Weg‘ denkt man mit Ü-40 maximal an eine Küchenrolle.
Der Mechaniker meines Vertrauens heißt Bogdan und residiert mit seiner Werkstatt in einer Seitengasse in Ottakring. Wir begrüßen uns wie immer mit Ghettofaust und das erste, was mir Bogdan stolz zeigt, ist der Schriftzug ‚Andjela‘, den er sich kürzlich in den Unterarm hat tätowieren hat lassen. Seine Zukünftige, erklärt er mir, und fragt im Gegenzug, was bei mir so punkto Liebesleben läuft.
„Wenns so weitergeht, dann kann ich mir bald „Netflix“ ins Gnack pecken lassen“, seufze ich eine Spur zu theatralisch. Bogdan verdreht grinsend die Augen, um gleich darauf den Kopf in der Motorhaube zu versenken.
Sein jüngerer Bruder, Goran, ist ein Haberer aus Kindertagen von mir. Als Buben haben wir zwei oft miteinander auf der Straße gespielt. Die Familie wohnte im selben Hieb, ein paar Zinshäuser weiter.
Die Tatsache, dass wir beide ‚Tschuschenbuam‘ waren hat uns, neben der Leidenschaft fürs Wuzzeln, zusätzlich zusammengeschweißt. Er, der Spross von Bosniern, und ich der mit dem serbischen Papa. Was damals aber keine große Rolle spielte. Gerade, als ich mich nach meinem ehemaligen Haberer erkundigen will, sagt Bogdan leise:
„Hast schon gehört? Der Goran liegt im Spital. Ziemlich gschissen verletzt, sogar notoperiert haben sie ihn.“ „Scheiße! Wie ist das passiert? Autounfall?“, frage ich schockiert.
Bogdan lächelt frostig: „Naja, kann man vielleicht so nennen. Er ist frontal mit einem Messer zusammengestoßen, das zu schnell in seiner Richtung unterwegs war.“
Vererbte Vergeltung
Verstehe. Ich schlucke. Auch, wenn wir uns ab der Pubertät nur mehr sporadisch begegneten, trifft mich Gorans „Unfall“ mitten ins Gemüt. „Weiß man schon, wer…“ will ich fragen, und ernte sofort einen strafenden Blick.
„Familiensache … geht niemanden was an“, zischelt Bogdan scharf, bevor er sich wieder an meinem Wagen zu schaffen macht.
Was das bedeutet, weiß ich sehr gut. Viele Familien aus dem Balkan sind in Fehden verstrickt, die nicht selten seit etlichen Generationen währen. Da haben zwei Kerle aus unterschiedlichen Familien irgendwann einmal einen Wickel ausgetragen, bei dem einer der beiden verletzt oder getötet wurde. Was dem Clan des Opfers das Recht gibt, sich an den männlichen Verwandten des Täters, oder an diesem selbst, zu rächen. Mädchen, Frauen und Buben bis zum 15. Lebensjahr sind von der Blutrache ausgenommen. Meistens, jedenfalls.
Wer die Feindschaft ursprünglich angezettelt hat, gerät nach all den Jahren ebenso in Vergessenheit wie der eigentliche Grund der Vergeltungs-Serie. Diesmal hats also den Goran erwischt.
„Die Kieberei ist eh schon dran“, kommt es nun von Bogdan, „aber, kennst das eh, Wukkerl, wir regeln das lieber selber.“ Klar, kenn ich das. Alle Balkan-Communities geben sich diesbezüglich gleich verschlossen, Fort Knox ist ein Schas dagegen.
„Passt schon wieder, die Kupplung“ erklärt mir nun mein Mechaniker und zieht damit auch einen Schlussstrich mit Edding unter unsere Unterhaltung. Für seine Begriffe hat er bereits viel zu viel geplaudert.
„Lass mir den Goran schön grüßen“, sage ich trotzdem noch schnell, bevor ich meinen Wagen aus der Werkstatt dirigiere. Mir ist danach, den Friseurbesuch zu streichen, und Freund Ali und seinem Kebab-Stand einen Besuch abzustatten. Durch die Sache mit Goran bin ich emotional gerade nahe am Bier gebaut.
Um mich abzulenken drehe ich das Radio auf. „Es sind uns keine weiteren Verkehrsmeldungen bekannt“ flötet der Moderator just in dieser Sekunde. Besser kann man mein Liebesleben gar nicht beschreiben, denke ich. Hm, was solls. Vielleicht sollte ich die Bettina später doch noch treffen.