AUSERWÄHLT, AUSGEGRENZT

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Photo: © Preview Production

WDR/Arte-Doku: Die Kapitulation vor dem Antisemitismus.

Israel ist der Garant für die Sicherheit aller Juden der Welt. Wer die Existenz Israels als jüdischen Staat in Frage stellt, stellt die Existenz aller Juden zur Disposition. Der israelische Staat ist Juden nicht nur Zufluchtsort und Heimat, sondern wenn nötig auch globale Schutzmacht für Juden in Bedrängnis. Wovon die Welt in der Nacht zum 4. Juli 1976 Zeuge wurde, als ein israelisches Einsatzkommando in Entebbe 102 jüdische Geiseln aus der Gewalt palästinensischer und deutscher Terroristen befreite.

Deshalb ist Antizionismus in seiner Konsequenz immer antisemitisch. Deshalb kann man nicht über den wieder erstarkenden Antisemitismus in Europa sprechen, ohne die Feinde des israelischen Staates zu erwähnen, die unter dem Tarnmantel der Israelkritik antisemitische Ressentiments schüren und verbreiten. Und darin auch von Personen unterstützt werden, die vielleicht selbst keine judenfeindlichen Gefühle hegen mögen (oder sich deren nicht bewusst sind), aber dennoch antisemitisch handeln.

Wer über Judenhass in Europa spricht, darf über den eliminatorischen arabischen Antisemitismus ebenso wenig schweigen wie über die willigen Helfershelfer aus aller Welt, die sich an der Dämonisierung und Delegitimierung des israelischen Staates beteiligen, und damit diesen Hass befeuern. Darum ist es richtig, dass Joachim Schroeder und Sophie Hafner in der Doku „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ den „Antizionismus“ und dessen Wurzeln nicht ausgespart haben.

Viel war in den letzten Wochen über die angeblichen Gründe zu lesen, warum die Auftraggeber ARTE und WDR die Dokumentation seit Monaten nicht ausstrahlen wollen. Bis diese Woche die BILD Zeitung den Film für 24 Stunden online stellte. Inzwischen ist er bis auf weiteres auch auf Youtube zu sehen. Was man vorher nur vermuten konnte, wird offensichtlich, wenn man den Film gesehen hat: die Gründe, die der Sender gegen die Ausstrahlung vorgebracht hat, sind nur vorgeschoben. Viel wahrscheinlicher ist, dass man die Zerstörung der vielen Legenden in der Nahostberichterstattung nicht hinnehmen wollte.

Eine schonungslose Dokumentation

Denn diese Dokumentation lässt nichts aus. Sie zieht eine Linie vom tief in der christlichen Religion verwurzelten Antisemitismus über den Judenhasser Martin Luther, über die antisemitischen Phrasen in den Schriften der Aufklärer, bis hin zum Evangelischen Kirchentag. Antisemitismus ist seit 2000 Jahren europäischer Mainstream, die christlich-jüdische Tradition des Abendlandes bestand zuerst einmal darin, dass die einen die anderen drangsaliert, verfolgt, vertrieben und ermordet haben.

Die Dokumentation kehrt die Rolle des Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, nicht unter den Teppich, die dieser beim Holocaust gespielt hat. Sie verschweigt nicht, dass in den Jahrzehnten nach der Gründung Israels über 850.000 Juden aus arabischen Ländern vertrieben wurden. Sie zerstört den Mythos vom „größten Freiluftgefängnis der Welt“ und lässt die Einwohner Gazas selbst von der Korruption erzählen, mit der sich die Hamas-Funktionäre ihre Taschen füllen. Sie lässt nicht unerwähnt, dass die Palästinenser die am höchsten alimentierte Volksgruppe der Welt sind und weltweit die einzigen Flüchtlinge, deren Flüchtlingsstatus sich vererbt.

Sie schildert die zweifelhafte Rolle der UNRWA, die als einzige UN-Organisation fast nur Einheimische beschäftigt, deren Gebaren von keinem Aufsichtsrat kontrolliert wird, und die – zurückhaltend formuliert – ein unfassbares Ausmaß an Korruption wissentlich in Kauf nimmt. Sie benennt, dass die 398 politischen NGOs in Israel und die über 1000 mit Sitz in Ramallah überwiegend anti-israelisch agieren. Sie spart nicht aus, dass Organisationen wie EAPPI, Pax Christi, Amnesty International, Oxfam, World Vision und viele andere mit Millionen von Kirchenspenden und Steuergeldern eben diese NGOs und Israel-Boykott Kampagnen finanzieren – und dass der Hilfsdienstriese Brot für die Welt-Evangelischer Entwicklungsdienst die israelische NGO B’tselem finanziert. Jene NGO, die Israel Nazi-Methoden und Apartheid vorwirft und einen Wissenschaftler in führender Position beschäftigt, der den Holocaust leugnet und als „Erfindung der Juden“ bezeichnet. Eine NGO übrigens, die zu treffen der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Israel-Besuch für so notwendig erachtete, dass er dafür das Platzen seines Empfangs beim israelischen Premierminister in Kauf nahm.

Die Dokumentation zeigt, wie gut Israelis und Palästinenser in israelischen Fabriken in den umstrittenen Gebieten zusammenarbeiten. Sie entlarvt, dass es den Boykott-Aufrufern nicht um das Wohl der Palästinenser geht, sondern um ihren Hass auf Israel, einfach indem sie Rapper und Musiker wie Roger Waters zu Wort kommen lässt. Sie spart den Hass nicht aus, den arabische Medien schon bei Kindern gegen Israel schüren.

An manchen Stellen mögen sich Zuseher, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben, ein paar erklärende Worte wünschen statt eines sarkastischen Kommentars. Bisweilen geht die Pointe auf Kosten des Informationsgehalts, da und dort fehlen noch Untertitel. Alles in allem sind das Kleinigkeiten, die im Zuge der Postproduktion problemlos zu bewerkstelligen wären. Das Verdienst der Filmemacher schmälern sie nicht. Der Film benennt die Fakten objektiv richtig und verhehlt dennoch an keiner Stelle, dass er Partei ergreift. Was in der Natur der Sache liegt, weil es zu Juden und dem „Hass auf Juden“ keine Äquidistanz geben kann.

Das palästinensische Narrativ

Das palästinensische Narrativ über Israel ist ein wesentlicher Teil des Films, weil es die Legitimation für so viele Lügen liefert, mit denen der Hass auf Juden in Europa befeuert wird. Nur aufgrund dieses Narrativs können friedensbewegte, grau-beige Damen antisemitische Propaganda verbreiten, ohne sie als solche zu erkennen. Dieses Narrativ schürt den Hass der arabisch-stämmigen Europäer und bildet die Folie für den linken Antisemitismus, der als antikolonialistischer Befreiungskampf missverstanden wird.

Der „Hass auf Juden in Europa“ ist längst nicht mehr nur rechts beheimatet. Rassismus ist nicht mehrheitsfähig, doch der Antisemitismus im Mantel des Antizionismus ist es geworden. Rassentheoretiker wie Houston Stewart Chamberlain und Politiker wie Georg von Schönerer erzeugten im 19. Jahrhundert die theoretische Munition, mit der die Nationalsozialisten dann im 20. Jahrhundert schossen. Heute liefern all jene die Munition für Judenhass, die das palästinensische Narrativ übernehmen und den israelischen Staat delegitimieren und dämonisieren. Nicht allen mag man antisemitische Gefühle unterstellen, aber sie handeln antisemitisch und bedienen sich dabei, ob wissentlich oder nicht, ganz ähnlicher Stereotype. Kein Wunder, fallen diese doch auf einen fruchtbaren Boden, der Jahrhunderte lang reich gedüngt worden ist.

Diese Munition hat den antisemitischen Mob aus arabisch- und türkischstämmigen Einwanderern und Linksextremen befeuert, der im Juli 2014 französische Synagogen stürmte. Die Szenen, in denen Jugendliche aus dem jüdischen Viertel Sarcelles im Norden von Paris erzählen, dass sie nicht mehr im Freien spielen können, dass sie sich nicht in die benachbarten Banlieues wagen können, gehören zu den bewegendsten des ganzen Films.

In diesen Szenen liegt seine eigentliche Brisanz. Wenn junge französische Juden 70 Jahre nach dem Holocaust davon träumen, nach Israel auszuwandern, weil sie in Europa nicht mehr sicher sind, dann haben wir alle versagt. All die feierlichen Reden, die Kränze, die Gedenkveranstaltungen und Mahnmäler für die Opfer des Holocaust verkommen zur bigotten Pose, wenn Juden Jahrzehnte später immer noch gequält und ermordet werden, weil sie Juden sind, und wir das zulassen.

Das Verdienst der Filmemacher liegt darin, dass sie keinen Raum für Ausflüchte lassen und die Symbiose zwischen Antizionismus und Antisemitismus abbilden. Sie dekonstruieren gängige Mythen und Zuordnungen, indem sie schonungslos zeigen, dass der Antisemitismus in die Mitte der Gesellschaft zurückgekehrt ist, und aus welchen Wurzeln er sich heute speist.

Dass der Programmdirektor die Nicht-Ausstrahlung der Dokumentation unter anderem mit dem Argument begründete, sie gieße „Öl ins Feuer“, verhöhnt die Realität. Es ist das arabische Narrativ über Israel, das tagtäglich Öl ins Feuer des Judenhasses gießt. Zu verlangen, dass es unwidersprochen zu bleiben hat, bedeutet nichts anderes als die endgültige Kapitulation vor dem Antisemitismus.

Zuerst erschienen auf MENA-WATCH

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.