AUF EINEN KAFFEE MIT JOESI PROKOPETZ

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Photo: © Gary Milano

Ein etwas anderes Interview

»Jessas!«, ruft Joesi Prokopetz und schiebt die Kaffeetasse, die vor ihm auf dem Esstisch in seinem Einfamilienhaus südlich von Wien steht, zu mir. »Jetzt hab ich Ihnen extra einen Kaffee mit Milch gemacht und mir einen Espresso, und ich sitz da und trink aus Ihrer Tasse«, sagt er lachend. Ich reiche ihm die kleine Tasse mit dem Espresso, den er mir gab, und aus dem ich allerdings ebenfalls bereits einen Schluck genommen hatte.

»Soll ich einen neuen Kaffee machen? Ich hab wirklich nur einen Schluck genommen. Nehmen’S das Häferl einfach auf der anderen Seite«, sagt er und wischt die Stelle ab, wo er getrunken hatte. Auch ich gestehe ihm, dass ich bereits von seinem Kaffee gekostet hatte, und muss plötzlich lachen. Die Szene erinnert mich an einen Sketch von Prokopetz, den ich hier einfach »den Prokopetz« nenne, da es ja in Wien üblich ist, selbst engste Freunde mit dem Familiennamen anzusprechen. In einem seiner Monologe macht er sich über das Verhalten von Menschen lustig, die am liebsten aus den Tellern ihrer Tischnachbarn essen und beginnt den Sketch mit dem Satz, den er hasst: »Darf ich kosten?« Nun haben wir beide den Kaffee des anderen gekostet.

Unser Gespräch läuft eher planlos, von einem Thema zum anderen. Egal worüber wir uns unterhalten, er reagiert mit dieser langsam-verlorenen Wiener Sprache. Jeder Satz hat eine inszenierte Struktur. Das ist eben kein Dialekt, sondern ein völlig eigenständiges Konstrukt und nur Unwissende sehen es als Teil der deutschen Sprachkultur. Prokopetz baut die Sätze mit Hindernissen, wie es der Wiener Tradition entspricht, und beginnt mit ein paar einfachen Worten, bis der Bruch kommt, der Widerspruch, das unerwartete Loch, in das man hineinfällt, wenn man nicht seiner Doppelbödigkeit folgt und sich in eine Zwischenetage rettet. Für ihn ist das entscheidende Wort im Satz der Wiener das »Aber« nach dem Beistrich, das alles vorher Gesagte zunichtemacht. Er nennt ein paar Beispiele: Ich bin ja kein Rassist, aber … Ich finde das Theaterstück ja interessant, aber … Der Bundeskanzler ist ja ein fescher Kerl, aber …

Alles Wiener

Jeder werde seiner Meinung nach irgendwann zum »Wiener«. Das sei keine Ortsbezeichnung, sondern ein Zustand. Auch Finnen oder Chinesen würden sich zu Wienern verändern, wenn sie intolerant, grantig, unfreundlich, ungeduldig und pessimistisch werden. Dahinter verberge sich jedoch ein weites Herz, das man suchen müsste. Seine innere, intellektuelle Unruhe mit der ewig zwei- und mehrdeutigen Rhetorik widerspricht der geordneten, äußeren Umgebung. In dem gut organisierten und gemütlich eingerichteten Haus fehlt jede klischeehafte Spur eines Künstlers oder wie man sich das Zuhause eines Künstlers eben vorstellt. Prokopetz scheint seine Ordnung zu genießen und hat gewisse Vorstellungen über Strukturen und Zeitabläufe. Nachdem er mich fragt, ob wir Licht brauchen, drehte er es einfach auf, bevor ich noch antworten konnte. Auch der Vorschlag, am Sofa oder Esstisch Platz zu nehmen, ist rein rhetorisch, denn er sitzt längst am Tisch, wieder bevor ich eine Meinung dazu haben konnte.

Bedürfnis nach Langschlafen

1952 als Sohn eines Druckereibesitzers geboren, war seine Zukunft als Nachfolger geplant, bis er das Schreiben entdeckte. In der Druckerei sei er schon aufgrund des Zeitplans gescheitert, da er als Lehrling bereits um sieben Uhr früh anwesend sein musste. Das habe seinem Bedürfnis nach Langschlafen widersprochen. Es blieb dann nur mehr das Schreiben als Beruf, da er nicht an einen »Betrieb« – wie die Druckerei – gebunden sei. Das Wort »Betrieb« verursache bei ihm bis heute Kopfschmerzen. Doch auch an das Schreiben hatte er die Erwartungshaltung, dass es ein entsprechendes Leben finanzieren würde. Dazwischen, als es finanziell nicht so gut klappte, arbeitete er erfolgreich als Werbetexter, weil es eben notwendig war, und er einen angenehmen Alltag gegenüber dem Hungerdasein des Künstlers vorziehe. Kreativität und Einfälle fehlten nicht. Schwieriger war es, sie der Werbebranche zu verkaufen. Den Hit »Lustig samma – Puntigama« zum Beispiel wollten seine Auftraggeber anfangs nicht, weil es ja Puntigamer heißt und nicht Puntigama. Als er es bis zum europäischen Kreativdirektor geschafft hatte und in Europa herumreiste, ging es ihm plötzlich auf die Nerven. Er verließ die Werbebranche und konzentrierte sich auf das Schreiben. Eine Vielzahl kreativer Tätigkeiten folgte. Politisches Kabarett interessiere ihn nicht, da habe die Realsatire das Kabarett längst überholt. Wenn man zum fünfundzwanzigsten Mal sich über die Ohren von Kurz oder Ibiza lustig macht, sei das bereits erledigt, und er meint dazu:

»Nehmen Sie Ibiza, auf so etwas kommt man einfach nicht als Satiriker, ebenso die Verteidigungsrede von Strache, die rhetorisch einmalig war. Der Cicero wäre beeindruckt gewesen, wie daraus eine Anklage wurde, einfach wunderbar!« Im Grunde genommen interessiere ihn der Alltag der Menschen, es sind die täglichen Selbstverständlichkeiten, die ihn reizen, sich darüber lustig zu machen und die Widersprüche zwischen Erwartung und Realität aufzuzeigen. Seine intellektuelle und künstlerische Spielwiese seien die Wiederholungen des täglichen Lebens, betont Prokopetz. Er könne sich nicht vorstellen, politisches Kabarett zu machen. Was auf diesem Gebiet geboten werde, komme ihm ziemlich hilflos vor. »Zu Beginn schrieb ich schwülstige lyrische Prosa«, erzählt er. »Einfach unleserlich. Bis ich mich eines Tages hinsetzte und das Lied ›Da Hofa‹ schrieb, in einer dreiviertel Stunde, einfach so aufs Papier. Ich zeigte es Ambros, den ich noch aus der Schulzeit kannte. Der hat immer schon musiziert, aber so nichts sagende, englische Texte geschrieben. Er hat den ›Hofa‹ vertont und immer wieder vor Freunden gespielt, bis es eine wohlhabende Dame aus guter Gesellschaft zufällig hörte und eine Aufnahme finanzierte. Wir zeigten es einem Produzenten und der meinte, das sei kein Lied, das habe keinen Refrain!«

Von der Süddeutschen verrissen

»Da Hofa« erschien 1971 als Single und 1972 auf der LP »Alles andere zählt net mehr …« bei Amadeo und hielt sich in der österreichischen Hitparade acht Wochen auf Platz 1. Das Lied war der Beginn des »Austropop«, wie es ein Münchner Journalist nannte, und reiht sich in die Liste der Dialektevergreens wie der »G’schupfte Ferdl« von Helmut Qualtinger. Dutzende Liedertexte folgten für zahlreiche Sänger und Sängerinnen, bis Prokopetz sich an eine Wienerische Interpretation von Goethes »Faust« wagte, die er »Fäustling« nannte.

»Das Stück wurde von der Süddeutschen Zeitung verrissen«, erzählt er lachend. »Doch man bot mir eine Tournee durch verschieden Ostblockstaaten. Darauf ließ ich mir in meiner Zimmer-Küche-Wohnung sofort das Wasser einleiten. Die Tournee wurde dann abgesagt und ich saß auf einem Riesen Schuldenberg, aber das änderte sich bald.« Er schrieb die Texte zu »Der Watzmann ruft«, das später zu einem Musical erweitert wurde und ein großer Erfolg war.

Der wichtige Kontakt zum Publikum

Immer wieder spricht Prokopetz über den Kontakt zum Publikum, den Lesern und Zuhörern. Er könne nicht akzeptieren, wenn Künstler jammern, dass sie keiner verstehen würde. Er beziehe das Material für seine Texte von Menschen, die ihn umgeben, die er beobachtet, egal ob Publikum oder zufällige Bekanntschaften, und kann sich zum Beispiel in einem Programm minutenlang darüber lustig machen, wie ihm verschiedene Leute einen Weg beschreiben und all die guten Ratschläge ihn nie zum Ziel führen.

Dabei übernimmt er manchmal die Rolle des Kritikers seiner eigenen Arbeit und macht sich in einem Text lustig über den Alltag eines Kabarettisten in Österreich, von den banalen Bemerkungen des Publikums bis zum grausigen Essen, das ihm die Veranstalter vor der Vorstellung in der Garderobe vorbereiten. »Ich glaube, das sind meine jüdischen Wurzeln und der jüdische Humor mit seiner grenzenlosen Selbstironie«, sagt Prokopetz und erwähnt die Mezuzah, die am Eingang neben seiner Haustür an der Wand hängt und er in Jerusalem gekauft hatte.

Wer denn jüdisch in seiner Familie sei, frage ich ihn, und er antwortet, seine Mutter, worauf ich ihm erkläre, er habe keine »jüdischen Wurzeln«, sondern sei nach dem Gesetz der Halacha, der Schrift der Juden, einfach Jude. Denn wer eine jüdische Mutter hat, ist Jude. Das ist alles, was zählt. Er spricht von der christlichen Erziehung, die seine Mutter bekommen habe, nachdem sie kurz vor Einmarsch der Deutschen getauft wurde. Auch er sei als Kind nie mit dem Judentum in Berührung gekommen. Erst später durch Verwandte, die nach Israel ausgewandert seien, habe sein Interesse begonnen und die vielen Reisen nach Israel hätten ihn jedes Mal begeistert.

»Ich fahre immer gerne nach Israel, aber ›Gefillte Fisch‹ esse ich trotzdem nicht«, sagt er lachend. Auch sein Bezug zum Judentum hat eine Anekdote. Bei der Bar Mitzvah des Sohnes seines Onkels traf er Rabbiner Eisenberg, den ehemaligen Oberrabbiner von Wien, der ihn während des Buffets im Anschluss an die religiösen Feierlichkeiten ständig beobachtete. Bis ihm auffiel, dass es nicht um ihn selbst ging, sondern um die Kette, die er um den Hals trug, an der die Serviette hing. Nach dem Essen ging er zu Eisenberg und schenkte ihm die Kette, der außer sich vor Freude war und ihm zuflüsterte: »Vor allem meine Frau wird eine Freude damit haben.«

Cosmischer Dolm

1983 schuf er mit der Gruppe DÖF (Deutsch-Österreichisches Feingefühl) den Schlager »Codo … düse im Sauseschritt«, der sich mehr als 2.5 Millionen Mal verkaufte. Codo, das laut Prokopetz entweder »Cosmischer Dolm oder Cosmischer Depp« heißen kann, wird nach wie vor gespielt und ist wie viele andere Kompositionen aus diesen Jahren zu einem Evergreen geworden. Prokopetz nennt die Hits aus dieser Zeit, die mit absurden Texten begeistern, lieber die »Ever-Blacks«. Zu seinen »Helden« in dieser Zeit zählt Georg Kreisler, den er im Konzerthaus gesehen hatte, als er nach der Pause in einer grünen Badehose, mit Taucherbrille und Flossen auf die Bühne kam und ohne mit einem Wort auf seine Bekleidung einzugehen, sich ans Klavier setzte und weitermachte. Heute sei die Sprache des Austro-Pop einfacher und derber, während musikalisch die Lieder sich verbessert hätten, vor allem durch moderne technische Möglichkeiten. Aber Texte wie der ›Überzieher‹ von Armin Berg gäbe es nicht mehr, weder im Kabarett noch in den Dialektliedern. Manche der alten Lieder könnten als ›politisch inkorrekt‹ auch nicht mehr gespielt werden wie zum Beispiel: »A jeder Kongo-Neger hod zwa Hosenträger, aber unsereiner, der hod nix. A jeder Fetzenschädel hod a Schweden-Mädel, aber unsereiner, der hod nix!«

Lebenslauf voller Kreativität

Ein anderes Vorbild war und ist Helmut Qualtinger. Den »Herrn Karl« konnte er schon als Jugendlicher auswendig. Die Schallplattenfassung beeinflusste ihn mehr als alle Kabarettisten und Liedermacher zusammen. Und natürlich Nestroy, der viel zu wenig aufgeführt werde. 2001 spielte er unter der Regie von Elfriede Ott in Nestroys »Mandoletti« auf der Burg Liechtenstein. Werbung, Kabarett, Lieder und Musicals, Theater, Bücher – sein Lebenslauf ist eine lange Liste seiner Kreativität.

Auf zukünftige Pläne angesprochen, weicht er aus. Er habe nie ein Ziel gehabt, Ziele hätten ihn gefunden. Derzeit arbeite er an drei Erzählungen. In einer schleicht sich der Teufel in ein Dorf, in der der Pfarrer gestorben ist, und übernimmt dessen Stelle. Prokopetz kann kaum weitererzählen, weil er immer wieder lachen muss, als würde man ihm die eigene Geschichte vorlesen. So geht das während des ganzen Interviews. Kaum eine Antwort, Anekdote oder Beschreibung, die nicht druckreif als kabarettistische Szene dargeboten werden könnte. Prokopetz gibt keine Interviews, er geht in seinen Gedanken und Erinnerungen spazieren und amüsiert sich dabei köstlich. Für ihn scheint alles Gegenwart zu sein. Vergangenes und Zukünftiges wird erzählt, als passiere es jetzt, und es erheitert ihn und sein Lachen ist ansteckend. Man sitzt nicht vor ihm und wartet auf Antworten, man begleitet ihn bei seinen Reisen durch die Komik des Alltags, die er wie kein Zweiter beschreiben und wiedergeben kann.

In einer Art Pensionszeit

Er hat seine eigene Definition von Pensionszeit, in der er sich laut Selbstbeschreibung befindet. Alleine September und Oktober tritt er sechs Mal und im November acht Mal in verschiedenen Städten in Österreich auf mit Programmen wie »Pferde können nicht reiten« und »Gürteltiere brauchen keine Hosenträger« und »Giraffen können nicht husten«. Joesi ist weiters Intendant zweier Festivals in Niederösterreich, zum Einen von der Ybbsiade – das zweiwöchige Kabarett- und Kulturfestival in Ybbs an der Donau, das seit 31 Jahren jährlich veranstaltet wird – und zum Anderen seit heuer auch Intendant der Sommerspiele in Maria Enzersdorf im Schloss Hunyadi »Humor im Schloss«. Dennoch, trotz Optimismus und Schaffensvielfalt beobachtet Prokopetz ein Nachlassen des Interesses gegenüber kulturellen Veranstaltungen. Wenn sich die »Nickautomatik« nicht einschalte – wie Prokopetz es bezeichnet – und man das Gesagte nicht »abnicken« könne, vermeiden Zuseher die Veranstaltungen. Die Neugierde gehe verloren, das Publikum laufe zu Bewährtem und Bekanntem und sei immer weniger bereit, sich überraschen zu lassen. Man möchte hören, was man schon gehört hat und kennt, und damit auch bestätigt werde, mit der eigenen Meinung richtig zu liegen. Der »Quotenwitz« dominiere das Kabarett und den Humor, der heute ein etwas geschliffener Stammtischwitz sei. Es werden Witze über Menschen und Ereignisse erwartet, über die man Witze hören möchte und diese eben dann »abnicken« könne.

Wir verabschieden uns mit meinem Versprechen, am 17. September zu seiner Vorstellung nach Graz ins Theater-Kaffee zu kommen. »Es geht dort ein bisschen um Thomas Bernhards Gedanke, dass die Jungen den Alten nichts zu sagen hätten und dass I junge Leut‘ ned mag …«, sagt Prokopetz, und als ich ihm antworte: »Na, da muss ich ja kommen. Wir sind ja beide in einer ähnlichen Situation!«, lachen wir beide wie zwei alte Männer, die immer noch ihren Spaß haben mit einer Welt, die wir dennoch immer weniger verstehen.

Zuerst erschienen im FAZIT Magazin.


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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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