Photo: Jörg Zägel, Zentrale der Stiftung, CC BY-SA 3.0
Von schönem Reden und billigen Ausreden
„Die Sprache kann der letzte Hort der Freiheit sein. Wir wissen, dass ein Gespräch, dass ein heimlich weitergereichtes Gedicht kostbarer sein kann als Brot, nach dem in allen Revolutionen die Aufständischen geschrien haben.“ (Heinrich Böll)
Und im Sinne des Gesprächs lud die Heinrich-Böll-Stiftung, die sich selbst auch als die „grüne politische Stiftung“ bezeichnet, in ihren Büros in Beirut zu einem solchen. Thema der Veranstaltung: „50 years of occupation, 50 years of resilience“, also 50 Jahre Besatzung, 50 Jahre Widerstand.
Auf den Plakaten, mit denen die Stiftung für den 5. Oktober 2017 zum Gespräch bat, prangt die Zeichnung eines neuen Hauses, das auf einem Panzer angefahren kommt, welcher gleichzeitig ein altes Dorf unter sich zermalmt. Die Überschrift über dieser Zeichnung lautet „Settlement…“
Und somit suggerierten Veranstaltungstitel und Zeichnung für mich und viele andere nur eines: Es geht mal wieder um die Israelis als Besatzer und die Palästinenser als Opfer.
Grundsätzlich muss man damit leben, dass viele Menschen den Konflikt zwischen den genannten Parteien auf das reduzieren, was allgemein als Landraub, Vertreibung oder Besatzung bezeichnet wird. Aber hat das auch zu gelten, wenn die Veranstaltung von einer mit Steuergeldern finanzierten politischen Stiftung organisiert wird, die sich ihrer eigenen Aussage nach unter anderem die Verteidigung von Freiheit, Zivilcourage und streitbare Toleranz zum Leitbild genommen hat?
Dr. Elio Adler, Gründer der „WerteInitiative“, ein wie er sagt lockerer Verbund jüdischer Deutscher, die diese Plattform nutzen, um ihnen wichtige Themen in die Politik und die Gesellschaft hinein zu kommunizieren, wandte sich direkt an die Heinrich-Böll-Stiftung. Unter anderem schrieb Dr. Adler, wie er auch auf Facebook veröffentlichte: „Kann mir jemand des Hauses erklären, wie ein solches Hetz-Plakat friedensfördernd zur Entspannung der Situation beiträgt? Sie laben sich an der Aufrechterhaltung des Konflikts durch eine einseitige Haltung und fördern damit Terror gegen Israelis und die Not der seit 50 Jahren in der Schwebe befindlichen Palästinenser“.
Alles nur ein Missverständnis?
Die Antwort der Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Beirut, erreichte Herrn Dr. Adler einige Tage später. Darin wurde eingeräumt, dass die Zeichnung vielleicht „etwas missverständlich“ gewesen wäre. Allerdings teilte die Stiftung mit, dass die Veranstaltung sich nicht primär mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befasst habe. Im Mittelpunkt habe eine auf den libanesischen Kontext bezogene Debatte um die Frage des gesellschaftlichen, vor allem aber des staatlichen Umgangs mit zurückliegenden Besatzungserfahrungen gestanden. Insbesondere sei es dabei um folgende Themenbereiche gegangen:
- Die jüngsten Erfahrungen mit und nach der syrischen Besetzung des Libanons
- Eine Reflexion der historischen Okkupation durch das osmanische Reich oder die Kolonialmächte
- Natürlich auch die Situation nach der israelischen Besetzung des Südlibanons
Unterzeichnet wurde die Antwort durch die Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Beirut. Der Name einer konkreten Person oder deren Position innerhalb des Büros wurde nicht genannt. Allerdings ist es kaum verwunderlich, dass niemand seinen Namen für eine Erklärung hergeben wollte, deren Wahrheitsgehalt man unter einem Elektronenmikroskop suchen müsste.
Denn wenn ich 50 Jahre zurückrechne, dann komme ich weder auf die syrische Besetzung des Libanons noch auf die Okkupation durch das osmanische Reich oder die Kolonialmächte. Ich komme noch nicht mal auf die israelische Besetzung des Südlibanons. Ich komme auf das Jahr 1967.
Die Liste der drei angekündigten Diskussionsteilnehmer verleiht weiteren Aufschluss über die Natur dieser Veranstaltung:
Bei Muna Al Khalidi handelt es sich um die Produzentin des Films „Stitching Palestine“, einer Dokumentation über das palästinensische Narrativ aus der Sicht von 12 Frauen, die in Syrien, dem Libanon und der West Bank „im Exil“ leben.
Schickt man den Namen Anaheed Al Hardan durch Google, dann stößt man zum Beispiel auf von ihr veröffentliche Werke mit den Titeln:
‚Palestinians in Syria: Nakba Memories of Shattered Communities‘
‚Al-Nakba in Arab Thought‘
‚Decolonizing Research on Palestinians‘
‚Remembering the Catastrophe: Uprooted Histories and the Grandchildren of the Nakba‘
Auf ihrer Facebook-Seite beschreibt die Heinrich-Böll-Stiftung Middle East die Veranstaltung wie folgt:
This year marks 50 years of occupation – a significant period, not only for Palestinians living inside historical Palestine, but indeed first and foremost for them. It means an accumulation of 50 years of dispossession, displacement and oppression, 50 years under threat of being evicted, of losing their fields, springs, orchards and homes. 50 years without political and civil rights, without a future for themselves and their offspring. 50 years of despair and shattered hopes.
Auf Deutsch: „Dieses Jahr markiert 50 Jahre Besatzung – ein wichtiger Zeitabschnitt, nicht nur für Palästinenser, die im historischen Palästina leben, aber sicher in erster Linie für diese. Er bedeutet die Summe von 50 Jahren Enteignung, Vertreibung und Unterdrückung, 50 Jahre unter der Bedrohung, zwangsgeräumt zu werden, ihre Felder, Quellen, Obstgärten und Heime zu verlieren. 50 Jahre ohne politische und bürgerliche Rechte, ohne Zukunft für sie selbst und ihren Nachwuchs. 50 Jahre Verzweiflung und und zerschmetterte Hoffnungen.“
Somit zeigt sich, neben dem Problem, dass eine mit öffentlichen Geldern finanzierte politische Stiftung eine so einseitige und kontraproduktive Veranstaltung durchführt, ein weiteres Problem.
Die Heinrich-Böll-Stiftung hält uns auch noch für blöd!
Jeder mit gesundem Menschenverstand, der sich einigermaßen in der Historie der Region auskennt, weiß, was mit „50 Jahre Besatzung“ suggeriert werden soll. Eine 15-minütige Recherche im Internet bezüglich Referenten und Erläuterungen der Stiftung selbst liefert dann auch noch die letzten Nägel für den Sarg des Anstands der Heinrich-Böll-Stiftung.
Ich könnte jetzt ausfallend werden und den Herrschaften dort genau sagen, was ich von solch dummen Lügen halte, und denen, die versuchen, sie uns als plausible Erklärung zu verkaufen.
Aber wie Heinrich Böll einst so schön sagte: Höflichkeit ist die sicherste Form der Verachtung.