STAATSKRISE IN DER ZERRISSENEN REPUBLIK MOLDAU

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An Moldova hängt vielleicht die Zukunft der Region

Seit dem Pfingstwochenende befindet sich die Republik Moldova in der Staatskrise. Trotz intensiver Bemühungen konnte auch drei Monate nach den Parlamentswahlen keine stabile Regierungskoalition gefunden werden. Nunmehr drohen Straßenproteste, auch eine massive Eskalation ist nicht auszuschließen.

Die über Wochen andauernden Koalitionsgespräche zwischen dem Wahlsieger, der als pro-russisch geltenden Partei der Sozialisten und der drittplatzierten, sich als pro-westlich gebärenden Demokratischen Partei scheiterten nicht zuletzt an unterschiedlichen Vorstellungen in der Frage der Föderalisierung des Landes.

Poker um Neuwahlen und eine unerwartete Koalition

Das endgültige Scheitern der Koalitionsverhandlungen nahm das Verfassungsgericht der Republik Moldova zum Anlass dem Präsidenten Igor Dodon die Notwendigkeit der Neuwahlen aufzutragen. Der 2016 direkt vom Volk gewählte Moskau-freundliche Präsident weigerte sich die Neuwahlen anzuberaumen und leitete Koalitionsverhandlungsgespräche zwischen der Partei der Sozialisten und dem pro-europäischen Wahlblock ACUM ein. Darauf enthob das Verfassungsgericht den Präsidenten Igor Dodon des Amtes und setzte den Premierminister Pavel Filip als geschäftsführenden Präsidenten ein. Dieser setzte sofort nach seiner Ernennung den Termin für die vorgezogenen Wahlen auf den 6. September 2019 an. 

Währenddessen konnten sich die Partei der Sozialisten und der Wahlblock ACUM trotz teils sehr unterschiedlicher Zugänge zu einer ganzen Reihe von wichtigen politischen Fragen auf eine Koalitionsregierung einigen. Als einigender Impuls diente der neuen Regierung die gemeinsame Ablehnung der in den letzten Jahren aufgebauten strukturellen Übermacht der Demokratischen Partei unter der Führung des Oligarchen Vladimir Plahotniuc. Die Koalitionsregierung einigte sich auf Maia Sandu vom pro-europäischen Wahlblock ACUM als Premierministerin und auf Zinaida Greceanii Obfrau der Partei der Sozialisten als Parlamentssprecherin. Einer der ersten Entscheidungen bestand in der Absetzung mehrerer Beamten von Korruptionsbekämpfungsbehörden und die Ankündigung des Endes der »Diktatur der Demokratischen Partei«.

Die Demokratische Partei, die nach wie vor staatliche Hauptstrukturen kontrolliert, zeigt sich lediglich bereit, die Entscheidungen des Verfassungsgerichts anzunehmen und hält es für legitim, vorgezogene Wahlen durchzuführen. Die verfassungsrechtliche Lage scheint recht eindeutig zu sein. Die Amtsenthebung des Präsidenten ist die Prärogative des Parlaments, die Aufgabe des Verfassungsgerichts besteht lediglich in der Feststellung des Vorliegens eines Amtsenthebungsgrundes. In der bisherigen Verfassungspraxis nahm aber das Verfassungsgericht bei parlamentarischen Pattsituationen eine wichtige machtpolitische Rolle ein; nicht selten eindeutig zu Gunsten der übermächtigen Demokratischen Partei. Auch im dritten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit bleibt die starke Verbindung zwischen politischer Sphäre und Oligarchie bestehen. Die zahlreichen Reformen trugen und tragen vielfach einen bloß kosmetischen Charakter und sollen nicht zuletzt diese unheilige Allianz verschleiern.

Straßenproteste und externe Dimension

Das verfassungsrechtlich überaus seltsam anmutende, ja den Eindruck machtpolitischer Motivation erweckende, Vorgehen des Verfassungsgerichts zeugt eindrucksvoll von institutioneller Instabilität des politischen Systems der Republik Moldova. In den kommenden Wochen wird der Faktor der Straßenproteste entscheidend sein. Bislang mobilisierte nur die Demokratische Partei einige ihrer Anhänger, die den Präsidenten des Staatsverrats beschuldigen und lautstark seinen Rücktritt fordern. Das Hauptproblem der anbrechenden Phase der Straßenproteste besteht für den Präsidenten in der Notwendigkeit pro-russische Anhänger der Partei der Sozialisten und pro-westliche, durch den Wahlblock ACUM repräsentierte, Kräfte zumindest vorübergehend zu einen.

Somit werden über den Ausgang des politischen Konfliktes in der Republik Moldova neben der wichtigen externen Dimension drei interne Faktoren entscheiden: die Stabilität der widersprüchlichen Koalition zwischen der Partei der Sozialisten und dem Wahlblock ACUM, die Mobilisierungsfähigkeit eigener Anhängerschaft durch alle politischen Kräfte, vor allem aber die Erfahrung bei der Führung des Informationskrieges. Beim Letzteren besitzt die Demokratische Partei Moldovas, insbesondere angesichts ihrer innen- wie außenpolitisch großen administrativen und finanziellen Ressourcen, wohl deutliche Vorteile. Die gegenwärtige Machtdichotomie und die drohende Destabilisierung des politischen Systems können ausschließlich über die Einhaltung verfassungsrechtlicher Vorgaben überwunden werden.

Allerdings sollte die potentiell massiv eskalierende externe Konfliktdimension keinesfalls außer Acht gelassen werden. Bislang zeigten sich die zentralen externen Akteure – sowohl die Vertreter internationaler Organisationen, die EU, die USA als auch Russland – in ihrer Forderung nach Einhaltung der Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit sowie der Aufrechterhaltung innerer Stabilität erstaunlich einig und relativ neutral. Die politische Krise in Moldova birgt in sich tatsächlich die Chance für einen positiven Präzedenzfall in der Beziehung zwischen dem Westen und Russland. Erstmals seit Februar 2014 nehmen die EU, Russland aber auch die USA eine konsolidierte Position gegenüber dramatischen politischen Entwicklungen in einer der postsowjetischen Republiken ein. 

Aufgrund unvorhersehbarer interner Dynamiken in Moldova, der Ukrainekrise sowie des eingefrorenen aber nicht gelösten Konfliktes in Transnistrien, vor allem aber des hybriden Konfliktes zwischen den USA und Russland kann sich die Situation schlagartig ändern; mit nicht absehbaren Folgen für die Stabilität Moldovas und die Zukunft der gesamten Region.


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Über den Autor / die Autorin

Alexander Dubowy

Dr. Alexander Dubowy ist Forscher im Bereich Internationaler Beziehungen und Sicherheitspolitik mit Schwerpunkt auf Osteuropa, Russland und GUS-Raum sowie wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik (ISP).