Über die Zuwanderung des Archaischen auf vier und auf zwei Beinen
Der Wolf ist wieder ins Gerede gekommen. Schien er viele Jahrzehnte lang vom Menschen verdrängt und verjagt worden zu sein, so gelingt ihm, aus Randgebieten zuwandernd, jetzt immer öfter ein Comeback in den Wäldern Mitteleuropas. Seine Rückkehr ist von heftig geführten Debatten begleitet, wie schädlich und gefährlich (für den Menschen und seine Nutztiere) oder normal und nützlich (im Gesamtgefüge der Natur) der Wolf denn nun sei.
Daneben gibt es aber auch noch eine gänzlich andere Art von Wölfen, die immer häufiger in unseren Breiten anzutreffen ist – und die noch kaum wahrgenommen und nur wenig diskutiert wird. Wie die Wölfe in der freien Natur, so sind auch diese Wölfe bei uns zugewandert.
Taxonomisch betrachtet wären da zunächst zu nennen: die türkischen Grauen Wölfe. Sie sehen den Wolf als Urahnen aller Turkvölker und sich selbst als seine Nachkommen. Gegründet in den späten 1960er Jahren, mit Wurzeln im türkischen Faschismus der 1940er Jahre, sind die Grauen Wölfe politisch als extrem rechts einzustufen. Ihre Zahl und ihr Einfluss unter türkischstämmigen – und sich auch nach wie vor als reinrassige Türken verstehenden – Migranten in Europa ist groß. Und wachsend.
Zu erkennen geben sich Mitglieder und Anhänger der Grauen Wölfe in der Öffentlichkeit gerne durch den – wie eine Schattenfigur aus mehreren Fingern gebildeten – ‚Wolfsgruß’, der in Österreich und Deutschland auch auf Pro-Erdogan-Kundgebungen häufig zu sehen ist. Mit einem solchen „Wolfsgruß“ ließ sich im Vorjahr auch ein den Grauen Wölfen nahestehender Aktivist im Weiheraum des KZ Mauthausen ablichten – die darauf folgende öffentliche Empörung hatte immerhin das Gute, dass der Linzer SPÖ-Bürgermeister Luger aus seiner politischen Umnachtung erwachte und seine jahrelange Zusammenarbeit mit dieser völkisch-nationalistischen Gruppierung einstellte.
Das Wolfsrudel als Vorbild des Völkischen
Der Wolf genießt als Symbol aber nicht nur unter Türken, sondern auch unter den Tschetschenen hohes Ansehen. Auch sie leiten, obwohl selbst kein Turkvolk, ihre Herkunft von einer mythischen Wölfin ab. Wappen und Hymne der tschetschenischen Republik, die sich in den 1990er Jahren von der russischen Zentralregierung abspalten wollte, beschworen jeweils diese Wölfin.
Das ist auch die Gedankenwelt, der sich die im Zuge der Tschetschenienkriege entstandene tschetschenische Diaspora in Mitteleuropa verbunden fühlt. Und so nimmt es nicht Wunder, dass im April des Vorjahres „Die Presse“ und die „Salzburger Nachrichten“ von einer „Wolf-Bande“ in Wien berichteten. Deren wegen Raub und Gewaltdelikten festgenommene Mitglieder waren allesamt Tschetschenen, die unter dem kollektiven Nachnamen und zugleich Decknamen „Wolf“ auftraten.
So wie bei den türkischen Grauen Wölfen ist der Wolf in diesen Kreisen mehr als nur ein von alten Mythen und Legenden umranktes Wappen- und Nationaltier. Er ist ein mächtiges Sinnbild für das Auftreten im Rudel und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Rudel. Ein Rudel, dem sich – wie bei den Wölfen – der Einzelne bedingungslos unterordnet und dessen Zusammensetzung sich rein ethnisch bzw. völkisch definiert. Mit Mitgliedern aus der gleichen Sippe und aus gleichem Fleisch und Blut, die – so wie ein Rudel Wölfe im Tierreich – ein Territorium für sich reklamieren und mit Gewalt verteidigen (auch wenn es sich bei dem „Territorium“ profanerweise nur um einzelne Stadtviertel oder auch Einkaufszentren wie die Millennium City in Wien handelt).
Homo mulieri lupus oder: Der Mann ist der Frau ein Wolf
Last but not least erwähnt seien auch die zwei Wölfe, die Hussein K., der aus Afghanistan stammende „Flüchtling“ und mutmaßliche Mörder einer jungen Studentin in Freiburg auf seinem (immer noch öffentlich einsehbaren) Facebook-Profil veröffentlicht hat.
Der eine Wolf fletscht dabei aggressiv und im Vorwärtsgang seine Zähne und war eine Zeitlang sein Titelbild dort. Das andere Bild, am selben Tag – den 7. März 2016, etwa 7 Monate vor der Mordtat – gepostet, zeigt einen Männerkörper mit Wolfskopf, der sich eine Frau krallt.
Mit diesen Bildern wird ein anderer Typus Wolf beschworen. Hier ist der Wolf nicht mehr Sinnbild für ein völkisch verstandenes Rudel, sondern Symbol und Totemtier für eine rohe und räuberische Form der Männlichkeit, die den animalischen Instinkten freien Lauf lässt und die in der Frau ein zu jagendes und zu erlegendes Opfer sieht.
Das Schweigen der Lämmer
Das gehäufte Auftreten des Wolfes als identitätsstiftendes Vor- und Sinnbild in bestimmten Kulturen und hiesigen migrantischen Milieus würde eigentlich nach einer wissenschaftlichen Erfassung und Aufarbeitung schreien. Und nach einer schonungslosen Ideologiekritik. Man würde dabei auf alte Bekannte wie patriarchalische Männerbünde, völkisches Denken oder faschistische Körperbilder treffen. Und man könnte vielleicht auch gleich eine Gefahreneinschätzung vornehmen, wie sehr so ein Wiederauftauchen des Archaischen und zivilisatorisch überwunden Geglaubten für eine fortschrittliche Gesellschaft à la longue bedrohlich werden kann.
Freilich wird man darauf vergeblich warten, denn das Thema rührt gleich an mehreren Schwachstellen der zeitgenössischen politischen Dogmenlehre, wie sie gerade an den Universitäten vorherrscht. Man kennt dort nur den unaufhaltsamen Fortschritt, hält jede Form des Kollektiven für längst dekonstruiert und schon alleine die Vorstellung, in politischen Zusammenhängen das Animalische im Menschen anzurufen, für grotesk. Auch sind die Zuwanderer fest in ihrer Rolle als ewige Opfer und Katalysatoren positiver gesellschaftlicher Veränderung einzementiert – sie können daher schlichtweg nie Täter oder Agens eines gesellschaftlichen Rückschrittes sein.
Und so wird sich uns noch einige Zeit das seltsame Schauspiel bieten, dass in den Juste-Milieus und akademischen Elfenbeintürmen voller Elan weiter an der Dekonstruktion der Geschlechteridentität(en) und jedweder kollektiver Eigenschaften gearbeitet wird – während draußen, in der rauen Wirklichkeit, das Maskuline in seiner archaischsten Form und oft gleich in ganzen Rudeln immer stärker zurück in Erscheinung tritt.
Und das nicht nur, aber auch und sehr sichtbar: Unter dem Banner des Wolfes.
Postskriptum
Leser, die mehr über die echten Wölfe erfahren wollen, seien hier noch auf zwei Bücher hingewiesen: „Wölfe: Ein Portrait“ von Judith Schalansky erschien vergangenen Herbst und versucht sich recht erfolgreich an einer Mischung aus Natur- und Kulturgeschichte des Wolfes. „Beast and Man: The Roots of Human Nature“ aus der Feder der englischen Moral- und Naturphilosophin Mary Midgley erschien erstmals 1978. Midgley kommt darin an mehreren Stellen auch auf die Wölfe zu sprechen, die sie als hochintelligente und hochsoziale Tiere schätzt und deren schlechten Ruf sie darauf zurückführt, dass die Frühzeit des Menschen lange und stark von der gemeinsamen Konkurrenz um Nahrungsressourcen geprägt war – und von der Gefahr, selbst zur Nahrung für den Wolf zu werden.