Photo: Adriane Benten
Im Gespräch mit Alfred Vendl
In der Gastwirtschaft Stopfer am Rudolfsplatz im 1. Bezirk in Wien gibt es diesmal ein Tiroler Gröstl mit Spiegelei als Mittagsmenü, aufgeschrieben mit Kreide auf der schwarzen Tafel neben dem Eingang. Das sei nichts für ihn, meint Alfred Vendl, als wir das Gasthaus betreten, und er begrüßt den Wirt, der sofort aufspringt, als wir durch die Eingangstür kommen, ihm die Hand entgegenstreckt und ihn, leicht vorgebeugt, geschäftig und höflich begeistert als »Herr Professor« willkommen heißt, uns in ein bereits vorbereitetes Hinterzimmer führt, immer wieder betonend, dass er dieses extra freigehalten habe. Der Herr Professor entscheidet sich nach kurzem Studium der Speisekarte für das ausgelöste Backhuhn mit Kartoffel- und Vogerlsalat, stimmt dem Vorschlag des freundlichen Obers zu, den Salat noch ein wenig mit echtem steirischen Kernöl zuzubereiten und nickt zustimmend, als er ihn fragt: »Dazu wie immer, einen Tee, Herr Professor?«
Eine Szene wie aus einem Film mit Hans Moser, der vielleicht vor Jahrzehnten gedreht worden wäre, und bei dem sich seit damals in manchen Ecken von Wien nichts geändert hat.
Gleich um die Ecke vom Gasthof Stopfer, einer Gegend, die als »hinterer Teil« des 1. Bezirks bezeichnet wird, weitaus weniger nobel als Kärntner Straße und Graben, wo sich auch kaum ein Tourist hin verirrt und über manchen Geschäften noch Schriftzüge mit Buchstaben aus den Fünfziger Jahren zu finden sind, liegt die »Universität für Angewandte Kunst« mit dem »Institut für Bildende und Mediale Kunst«, wo man Alfred Vendl als emeritiertem Professor ein kleines Zimmer überlassen hat.
Der Raum ist etwa viermal so groß wie sein Schreibtisch, und um mich zu begrüßen, zwängt er sich hinter dem Tisch hervor, auf dem Berge von CDs, Bücher und sonstige Unterlagen liegen, und schlägt vor, ins Besprechungszimmer zu gehen, da wir sonst das Gespräch hier stehend machen müssten. Auf den Gängen sieht man Poster mit Zeitungsartikeln aus aller Welt, Ankündigungen von Film- und TV-Dokumentationen und Theaterstücken, ein kreatives Leben, plakatiert und bebildert, das kaum jemand kennt in Österreich. Das müsse man irgendwann einmal neu gestalten hier, meint einer der Kollegen von Vendl, der zufällig durch den Gang kommt, während ich mir die einzelnen Plakate erklären lasse, und deponiert indirekt wie in jedem System den Wunsch der Jüngeren, das Jetzt nicht nur durch das Gestern zu dokumentieren und die Wände der Erinnerung für neue Erfolge frei zu machen.
Doch Alfred Vendl nimmt es gelassen mit dem Selbstbewusstsein eines erfolgreichen Künstlers und Wissenschaftlers, der in dieser Kombination eine internationale Anerkennung erreicht hat wie kaum ein anderer. Als Dozent auf der Technischen Universität und Professor an der Universität für Angewandte Kunst schafft er eine Verbindung der beiden Bereiche durch eine kreative, künstlerische Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die durch die technische Genialität seines Teams einem breiten Publikum zugänglich wurden und die kompliziertesten Systeme der Natur optisch und verständlich erklärten.
Einziger Emmy-Award-Gewinner Österreichs
Seine Dokumentationen wurden weltweit auf Festivals prämiert und als besondere Ehrung erlebte er die Verleihung des Emmy Awards 2008 der »National Academy of Television Arts and Science« für »Innovative Cinematography« für den Film »Bionik – Das Genie der Natur«.
Er sei bis heute der einzige Österreicher, der einen Emmy Award bekommen hatte, sagt Vendl stolz und erzählt lächelnd, wie sie hoch oben, weit weg von der Bühne, ihre Plätze zugewiesen bekamen, damals bei der Preisverleihung, als einer der fünf Nominierten, da ohnehin niemand daran dachte, dass er mit seinem Team gewinnen würde. Wie sie mühsam bis zur Bühne klettern mussten und völlig verdutzt, fast sprachlos vor Überraschung den Preis entgegen nahmen.
Die Emmy-Verleihung sieht der Sohn eines einfachen Kürschners heute noch als Höhepunkt seines Schaffens nach 40 Jahren Arbeit mit Film als Kameramann, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Sein Vater galt als einer der bekanntesten Amateurfilmer in Österreich, gewann dutzende Preise und motivierte den Sohn von klein auf, sich mit Film zu beschäftigen. Nach seinen ersten Arbeiten als Chemiestudent wurde der junge Peter Patzak – später Regisseur der »Kottan ermittelt«-Serie – auf ihn aufmerksam und beauftragte ihn, einen Dokumentarfilm über ihn zu machen.
In der gleichen Gruppe der jungen Amateurfilmer in Wien traf er Kurt Mrkwicka, den damaligen österreichischen Meister im Turmspringen. Mrkwicka, als einer der besten Turmspringer der Welt, fand in Österreich keine Trainer mehr, die ihm helfen konnten. So stellte er ein Stativ mit einer 8-mm-Kamera im Schwimmbad auf, filmte seine Sprünge und schickte die Filme in die USA zu anerkannten Trainern, die nach Analyse der Filme ihre Ratschläge zurück sandten. Der Zugang zu späteren, eigenen Produktionen war für mich der Sport, und Türöffner war Kurt Mrkwicka, erzählt Vendl. Er war neben dem Turmspringen auch erfolgreicher Turniertänzer und ein gesellschaftliches Genie und wusste, wie man auf Menschen zugehen und sie für sich begeistern könne. Er lud Vendl ein, in den Sechziger und Siebziger Jahren als Kameramann bei Lehrfilmen für den Österreichischen Schiverband mitzuwirken, und so fuhr er schon als Student jedes Wochenende zum Arlberg. Später filmten sie Dokumentationen und Porträts berühmter Sportler, Olympiasieger und Weltmeister.
Für den jungen Vendl ein ernüchterndes Erlebnis. So sehr er sich über die filmische Arbeit gefreut hatte, enttäuschten ihn die berühmten Persönlichkeiten des Sports. Meist einfache Frauen und Männer, für die der sportliche Erfolg die einzige Möglichkeit war, dem oft tristen Alltag des Lebens zu entkommen. Bei einigen Langstreckenläufern ging es um ein neues Dach für das Haus der Eltern und für die russischen Olympiasieger um die Möglichkeit, ein deprimierendes Dorf irgendwo in Sibirien verlassen zu können.
In den Siebziger Jahren schloss Alfred Vendl sein Chemiestudium ab, arbeitete mit einem Forschungsstipendium am Imperial College in London und an der University of California in San Diego, kam jedoch zurück nach Wien, um sich an der Technischen Universität zu habilitieren. Die sich nun anbietende österreichische akademische Karriere vom Dozenten zum A.o. Professor und dem geduldigen Verharren in der Warteschleife auf den Posten eines Institutsvorstandes lag ihm nicht. Er begann zum Erstaunen seiner Kollegen als einfacher Assistent auf der Akademie für Bildende Kunst am Institut für Farbenchemie und Farbenlehre, habilitierte sich dort ein zweites Mal und wurde 1981 Professor und Vorstand des Instituts für Kunst und Technologie auf der Akademie für Angewandte Kunst.
Alfred Vendl sah sich auf der Akademie nie als Künstler, sondern als der Naturwissenschaftler unter Künstlern, die je nach Bekanntheit ihre Eitelkeiten auslebten, wie etwa Mikl, Lehmden, Weiler, Frohner, Oberhuber, Hutter und auch Hundertwasser, der auf einen eigenen Eingang bestand und sich nur als Meister ansprechen ließ.
Wir werden von einer Mitarbeiterin von Vendl unterbrochen, die mich begrüßt. Als ich aufstehe, stoße ich mit dem Kopf gegen eine Vorrichtung, die über dem Tisch hängt, und die ich bisher übersehen hatte. Es ist ein quadratischer Trichter, der mit einem Rohr verbunden ist, das in der Wand endet. »Für unsere Raucher. Der Rauch wird komplett abgesaugt«, sagt Vendl und lacht. Chemiker würden immer eine Lösung finden, selbst in Räumlichkeiten, in denen Rauchen verboten ist.
Vendl erzählt weiter und er erzählt gerne. Man spürt seine Lust am Geschichtenerzählen und begreift sein Talent, nüchterne wissenschaftliche Erkenntnisse visuell mit modernster Technik verständlich aufzubereiten. Seine Filmkarriere setzte Vendl in den Neunziger Jahren mit »Universum«-Produktionen des ORF und anderen Dokumentationen fort. Sein Partner während dieser Jahre, der Zoologe Steve Nicholls, arbeitete vorher für die Dokumentationsabteilung der BBC.
Erfolg durch Technik
Die Grundlage seiner weiteren Arbeiten und letzten Endes auch seiner großen internationalen Erfolge war die technische Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie. Mit traditionellen Elektronenmikroskopen waren nur Präparate sichtbar, die Strom und damit Elektronen leiteten. Lebewesen mussten mit Gold bedampft und im Hochvakuum aufgenommen werden. Kleinsttiere konnten daher nur als tote Tiere fotografiert werden, weder Bewegungen noch Reaktionen der Tiere waren sichtbar.
Erst mit einer in Australien entwickelten neuen Methode der Elektronenmikroskopie konnten auch winzige, lebende Organismen in extremer Vergrößerung beobachtet werden. In der Zusammenarbeit mit Biologen, Physikern, Digital-Ingenieuren und seinen kreativen kommunikativen Ideen entwickelten Vendl und sein Team mithilfe der neuen Mikroskope und einer 3D-Animation eine Handlung und einen authentischen, naturgetreuen Ablauf von Ereignissen im Mikrobereich der Natur, zu der das menschliche Auge keinen Zugang hat.
Die künstlerische Visualisierung dieser Mikrowelt der Natur ist heute ein Spezialgebiet der Gruppe, wenn auch zu Beginn die heimatlichen Institutionen wenig Interesse zeigten. Vendl lud eine Künstlergruppe aus Australien ein, die sich mit lebender Materie, speziell kleinsten Zellen beschäftigte. Kaum jemand in Wien interessierte sich dafür. Doch er gab nicht auf und fand Wissenschaftler und Künstler in Los Angeles und an anderen Universitäten, mit denen er kooperierte. Eines seiner Modelle im Mikrobereich zeigt ein Bakterium, wie es als Kleinst-Organismus auf eine Gefahr reagiert. Das Verhalten der Bakterien gibt einen Hinweis auf größere Organismen, wie sie sich zum Beispiel auf Umwelteinflüsse einstellen. Selbst Bakterien scheinen chemische Sensoren zu haben, die reagieren, wenn sie mit unerwarteten Substanzen konfrontiert werden. In einem weiteren Modell versuchte er den Moment zu dokumentieren, wenn ein einzelliger Organismus einen anderen als Beute erkennt. Er konnte filmen, wie eine Amöbe ein Pantoffeltierchen verschlingt. Die so entwickelten Mikromodelle von Verhaltensweisen geben Hinweise auf biologische Reaktionen, die sich in der Natur bis zum Menschen wiederholen.
Einige Jahre nach der Emmy-Ehrung ergab sich eine Zusammenarbeit mit der UCLA, der University of California, die den Einfluss von Lärm auf kleinste Lebewesen im Meer untersuchen wollte. Forschungen zeigten, dass alle Lebewesen im Meer auf Lärm reagierten, die Kleinsten unter ihnen sogar daran zugrunde gehen. Jeder Ton als eine materiegebundene Welle kann je nach Frequenz selbst in Bereichen, die wir nicht mehr hören, die natürliche Welt und damit die biologische Harmonie der Meere zerstören.
Das Institut in Wien entwickelte gemeinsam mit der Universität in Los Angeles das »Noise Aquarium«, einen dreidimensionalen virtuellen Raum, in den der Betrachter eintauchen kann und unter Wasser mitten im Meer auf einer Plattform steht. Ist diese im Gleichgewicht, sieht er sich von einer harmonischen Welt umgeben, mit Fischen, Plankton und anderen Lebewesen. Bringt er die Plattform aus dem Gleichgewicht, wird durch Lärm die Harmonie des Meeres gestört, das Chaos bricht aus und kann durch den Betrachter direkt unter Wasser stehend erlebt werden.
Alfred Vendl schafft damit eine Brücke von der Fantasie zur Realität, die Künstler üblicherweise verweigern, da sie sich egoistisch und unabhängig von der Reaktion der »Konsumenten« ausschließlich mit der Übertragung ihrer Ideen auf das Kunstwerk konzentrieren. Vendl sieht seine künstlerische Methode eher als Form der Interaktion mit dem Betrachter und der Vermittlung von unsichtbaren und nicht erfassbaren Strukturen und Abläufen in der Natur.
Umweltbelastungen sichtbar machen
Als nächsten Schritt soll das virtuelle Aquarium um das Problem des Mikroplastiks erweitert werden. Dieses Thema werde zwar überall diskutiert, aber bisher im Mikrobereich nicht visualisiert. Es gilt heute als nachweisbar, dass das sogenannte Zooplankton, die kleinsten Lebewesen im Meer, ungefiltert winzige Teile von Plastik fressen und daran zugrunde gehen. Zooplankton ist jedoch die wichtigste Nahrungsquelle für Fische und andere Meereslebewesen und so erreicht das Mikroplastik über die Nahrungsmittel auch den Menschen. Es geht nicht nur um die sichtbare Verschmutzung mit Plastikstücken aus Tragetaschen, Verpackungen und Flaschen, sondern um abgeriebene, winzige, für unser Auge nicht sichtbare Teilchen von Plastik, die überall in Gewässern vorhanden sind.
Kleinsttiere des Meeres sind einfache Lebewesen, die alles in ihrem Körper aufnehmen, was herumschwimmt, und die nicht bewusst fressen wie hoch entwickelte Lebewesen. Feste Teile, die mit dem Wasser in den Körper fließen, werden gefiltert und bleiben als Nahrung zurück, verkleben die inneren Organe und das Tier geht daran zugrunde. In dem virtuellen »Noise Aquarium« kann der Betrachter dann miterleben, wie das Mikroplastik, das überall schwebt, von den Tieren aufgenommen wird. Vendl beschreibt zwar das Problem, sieht jedoch keine Lösung. Plastik, Chemikalien und Lärm zerstören mehr und mehr den Lebensraum Meer und die Lebewesen sind darauf nicht vorbereitet. Der Großteil der Tiere könne nicht unterscheiden, welche Nahrung gefährlich ist. Sie sind genetisch nicht darauf vorbereitet. Das Aquarium wird übrigens auch bei der Vienna Biennale 2019 im Juni und Juli 2019 in Wien gezeigt werden.
Seit 2016 ist Alfred Vendl pensioniert, unter Professoren heißt das emeritiert, und zu seinem Erstaunen verabschiedete man ihn nicht mit ein paar netten Worten, sondern die Akademie bot ihm ein eigenes Labor an, das »Science Visualisation Lab«, wo er an der optischen Darstellung von naturwissenschaftlichen Prozessen und Entwicklungen weiterarbeiten und neue Ideen verwirklichen kann. Seine dutzenden Preise und Auszeichnungen kann man auf seiner Homepage nachlesen, ebenso die Titel der mehr als 200 Dokumentationen, die in jeder Ecke der Welt gezeigt wurden.
Das Bücherregal in seiner Wohnung ist nur zur Hälfte mit Büchern gefüllt. Im anderen Teil stehen Pokale, Statuen, Ehrungen und Auszeichnungen, wie man sie sonst nur bei erfolgreichen Sportlern sieht, die ihre Siege stolz herzeigen. Trotzdem, außer den üblichen Orden, die ihm der Staat verliehen hat und in Österreich eher als Nachweis von Jahresringen zu verstehen sind, steht im Regal keine einzige österreichische Auszeichnung, kein Preis und keine Ehrung für seine Arbeiten. Das macht allerdings die international erfolgreiche Karriere des Alfred Vendl auch so typisch österreichisch.
Alfred Vendl hat sich sowohl auf der Technischen Universität als auch auf der Universität für angewandte Kunst habilitiert. Er arbeitet als Kameramann, Schreiber, Regisseur und Produzent von wissenschaftlichen Filmen und bringt es auf rund 200 Dokumentationen unter anderem für ORF, ARD, ARTE, BBC oder Discovery. Vendl gewann zahlreiche internationale Fernsehpreise und ist der einzige Österreicher, der einen Emmy gewann.
Zuerst erschienen im FAZIT Magazin
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