»DANN MÜSSEN SIE HALT AUF MICH AUFPASSEN!«

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Photo: Jacqueline Godany (cropped), © Alle Rechte vorbehalten

Meine Jahre mit Haider (2)

Im Wiener Dritten Bezirk saß ich 1992 an einem Tisch in einem italienischen Restaurant, der auf Jörg Haider reserviert worden war, und wartete auf ihn. Seit unserem ersten Treffen auf dem Flughafen in Wien und dem Interview, das trotz »Boykotts« im Standard veröffentlicht worden war, versuchte er über sein Büro immer wieder, gemeinsame Abendessen zu organisieren.

Ich mochte diese Gespräche und versuchte ihn bei meinen seltenen Reisen nach Wien von New Delhi, wo ich inzwischen als Auslands-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung arbeitete, zu treffen. Er kam meistens mit Susanne Riess, und wir sprachen zu dritt über »Gott und die Welt« und ließen kein Thema aus.

Haider verhielt sich bei diesen Gesprächen wie ein trockener Schwamm, der jedes Wort aufsaugte und speicherte. Es gab nichts, was ihn nicht interessierte, ob es meine Erfahrungen in Asien waren, meine Einschätzung der politischen Situation in Österreich oder die Geschichte meiner Familie. Mit seinem brillanten Erinnerungsvermögen konnte er noch Monate oder Jahre später eine Diskussion fortsetzen, als ob wir sie erst am Tag zuvor unterbrochen hätten. Er aß kaum etwas und bestellte höchstens einen gegrillten Fisch und Salat, die er nicht weiter beachtete.

Er hörte meist zu, stellte Fragen, widersprach kaum und konfrontierte mich nicht mit seinen Meinungen. Irgendwann während eines dieser Abendessen ertappte ich mich bei der Überlegung, dass hier nicht ich ihn, sondern er mich interviewen würde. Eigentlich hatte ich diese Einladungen angenommen, um ihn besser kennenzulernen, doch im Lauf der Abende drehte sich meist die Situation, und er schien alles, was er wissen wollte, aus mir herauszuholen. Es waren auch seine Neugierde und sein Interesse, die mich damals faszinierten. Wer stellt schon Fragen in einem Gespräch, die meisten Menschen hören sich selbst gern reden, oder warten verzweifelt auf den Moment, an dem sie mit ihren eigenen Meinungen und langatmigen Monologen ihre Zuhörer langweilen können.

Bei einem dieser Treffen ging ich auf die Toilette, um eine Pause einzulegen, und überlegte mir dort, auf dem zugeklappten Deckel sitzend, was ich ihn fragen könnte, wenn ich wieder zum Tisch kommen würde. Zurückgekehrt zu meinem halbleeren Teller fragte ich ihn, warum wir uns alle paar Monate treffen würden. Ich fände die Gespräche interessant, könne mir jedoch kaum vorstellen, dass eine Persönlichkeit wie er, die derart im Rampenlicht stehe, Zeit für solche Abendessen habe.

Er grinste und sagte: »Das hat schon seinen Grund, warum wir uns treffen. Ich würde Sie gerne einladen, bei uns mitzuarbeiten.«
»Als was? In welcher Form?« fragte ich ihn.
»Wo oder wie Sie wollen. Entweder aktiv in der Politik oder in einer anderen Funktion.«

Ich war überrascht, dachte, er sei an den Gesprächen mit mir interessiert als Unterbrechung seines Alltags. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er einer Partei wie der FPÖ jemanden wie mich als Mitarbeiter präsentieren könnte und sagte: »Eine Kandidatur meiner Person wäre wohl schwierig, Ihren Kameraden als Vorteil für die Partei einzureden.«

Er schüttelte den Kopf und antwortete: »Wahrscheinlich haben Sie recht, und eben deshalb sollten wir es versuchen.«

Dann kam ich mit Einwänden wegen seiner bekannten Aussagen, des Naheverhältnisses vieler Funktionäre zu rechtsextremen Gruppen und Bewegungen und des latenten Antisemitismus‘ zumindest eines Teils seiner Partei.

»Das stimmt alles«, entgegnete er. »Glauben Sie, es macht mir Spaß, überall in der Welt als der ›Nazi‹ abgestempelt zu werden? Wir kommen nur raus aus dieser Ecke, wenn wir unsere eigenen Leute mit jemandem wie Sie konfrontieren. Das betrifft nicht nur das Judentum und den Antisemitismus, eine noch größere Aufgabe sehe ich für Sie im Bereich Kunst und Kultur. Da haben wir einfach niemanden. Ich kann die Menschen nicht ändern, die in unserer Partei tätig sind, aber ich kann sie mit einer Situation konfrontieren, in der sie gezwungen sind, sich zu ändern.«

Ich sagte weder ja noch nein an diesem Abend, und er erwartete auch keine Zu- oder Absage. Er sprach von Ideen und Zukunftsmodellen, von seinen Hoffnungen, in Wien sehr bald eine Koalition zu bilden, Regierungsverantwortung zu übernehmen und aus der ewigen Oppositionsrolle raus zu kommen, und dass er mit verschiedenen Persönlichkeiten spräche, mit den unterschiedlichsten Berufen, um die Partei zu öffnen.

Ich hörte ihm zu, und es klang alles sehr logisch und überzeugend, wenn da nicht ein Problem wie ein Fels vor der vielleicht bald offenen Tür liegen würde.

»Sicher, ich kann mitmachen, und noch ein Hindu und ein Moslem und ein Maler und ein Sänger, aber es wird alles nichts nützen, so lange Sie sich nicht kontrollieren können und mit Aussagen die Welt erschrecken, die alle Versuche, die Partei zur politischen Mitte zu rücken, zum reinen Etikett reduzieren.«

Er stocherte in seinem Fisch herum, bis er sagte:
»Dann müssen sie halt auf mich aufpassen!«

Dies ist die zweite von Peter Sichrovskys neun Erzählungen rund um die Zeit, in der er in der FPÖ aktiv war. 

Teil 1: »Nur eine Frage«
Teil 3: »Und wenn’s schief geht, bist du schuld!«
Teil 4: Fremdheit in der eigenen Heimat
Teil 5: Brüssel, die kleine Welt der großen Eitelkeiten
Teil 6: Der Höhepunkt des Erfolgs und denkwürdige Reisen
Teil 7: Meine Funktion als jüdische Angelegenheit
Teil 8: Diktatoren und ein Sonderkonto. Der Absturz.
Teil 9: Gescheitert. Das Ende und die Zeit danach.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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