JEREMY CORBYN

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Photo: Blurrech, CC BY-SA 4.0

Ein Antisemit als Hoffnung der europäischen Sozialdemokratie?

Es geht ihr nicht gut, der europäischen Sozialdemokratie. Nur mehr eine Handvoll EU-Staaten wird von sozialdemokratischen Ministerpräsidenten regiert. In Frankreich, Tschechien und den Niederlanden schrumpften die Sozialisten und Sozialdemokraten zu einstelligen Kleinparteien, auch in Dänemark, Finnland, Norwegen und Österreich mussten sie in die Opposition, und die SPD fuhr mit Martin Schulz das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Im eigenen Niedergang schöpft so mancher Verlierer Hoffnung aus dem Erfolg des Führers der britischen Labour Party, die zwar die Wahlen 2017 verlor, aber an Stimmen zulegen konnte.

Jeremy Corbyn, der zuvor 30 Jahre lang ein relativ unauffälliges Dasein als parlamentarischer Hinterbänkler geführt hatte und es nur durch Wahlrechtstricks an die Spitze der Labour Party geschafft hat, ist ein überzeugter Marxist und Anti-Amerikaner. Doch nicht nur das.

Posterboy des Antisemitismus

»Posterboy des Antisemitismus« nannten sogar Abgeordnete der eigenen Partei ihren Chef. Corbyn »gilt als eiserner Unterstützer von Hamas und bezeichnet einige ihrer Vertreter als seine Freunde. Er bot einst dem Holocaust-Leugner Paul Eisner finanzielle Unterstützung an, und nennt auch Stefan Sizer seinen Freund, der durch die Theorie bekannt wurde, die Attentate 9/11 in New York wären das Werk des Mossad, des israelischen Geheimdienstes. Er setzte sich für die Freilassung von Jawad Botmeh und Samar Alami ein, palästinensische Terroristen, verantwortlich für ein Bomben-Attentat auf eine Israelische Botschaft und eine israelische Hilfsorganisation. Er saß am Podium mit Dyab Abou Jahjah, der von dort aus erklärte, Europa leide unter dem Kult der Juden-Verherrlichung und des Holocaust.«, berichtete Peter Sichrovsky 2017 aus London.

Es sei ihm eine »Ehre und Freude«, sagte Corbyn, »unsere Freunde« von Hamas und Hezbollah im britischen Parlament als Gastgeber zu begrüßen. Dabei pries er die beiden terroristischen Vereinigungen, deren Programm im Wesentlichen in der Vernichtung Israels besteht, als Organisationen, die »dem Wohl des palästinensischen Volkes gewidmet« seien und »langfristig Frieden, soziale Gerechtigkeit und politische Gerechtigkeit in der gesamten Region« herbeiführen würden. Den palästinensischen Hassprediger Raed Salah lud er im Parlament zum Tee ein und beschrieb ihn als »einen sehr honorigen Bürger«, dessen Stimme gehört werden müsse.

Corbyn hielt eine Rede bei der Hochzeit des palästinensischen Holocaust-Leugners Husan Zomlot, aber er drückte er sich um die Einladung zu einem Dinner in London mit Premierminister Netanyahu zur Feier des 100. Jahrestags der Balfour Deklaration.

Von 2009 bis 2012 kassierte Corbyn 20.000 Britische Pfund von einem iranischen Propagandasender als Vergütung für gelegentliche Auftritte als Moderator und Gastgeber einer Talkshow. Dem Sender wurde sechs Monate vor der letzten Überweisung an Corbyn die Sendelizenz für das Vereinigte Königreich entzogen, nachdem er ein unter Folter erzwungenes »Geständnis« eines CNN-Journalisten ausgestrahlt hatte. Das erpresste Statement war die Bedingung für dessen Freilassung, nachdem man ihn im Iran nach einem regimekritischen Bericht entführt und in ein Militärgefängnis geworfen hatte.

Natürlich unterstützt »der führende Antisemit der westlichen Welt« die antisemitische Boykottbewegung BDS. »Ich denke, die Boykott-Kampagne, die Desinvestitionskampagne, sind Teil eines rechtlichen Verfahrens, das übernommen werden muss.«, antwortete Corbyn in einer Podiumsdiskussion im August 2015 auf die Frage, ob das Gremium den Palästinensern Hoffnung geben könne, indem es die Bewegung für Boykott-Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel unterstütze.

Seit Juli tauchen in der britischen Presse Fotos auf, die Corbyns Nähe zu Islamisten dokumentieren. Bilder von seiner Teilnahme an einer Kranzniederlegung für Palästinenser in Tunesien, in unmittelbarer Nähe des Grabs jener Terroristen, die für das Massaker von München 1972 verantwortlich waren. Ein Foto aus einer britischen Moschee, auf dem er vier Finger der rechten Hand zum Gruß der Muslimbruderschaft spreizt.

Außerhalb der Labour Party glaubt niemand mehr Corbyns Rechtfertigungen. Seine Ausflüchte folgen seit jeher demselben Muster. Es war gar nicht so, und wenn es doch so gewesen sein sollte, habe er nicht gewusst, mit wem er es zu tun habe oder sei nur am Rande dabei gewesen ohne am Geschehen teilgenommen zu haben. Was der britische Spectator lakonisch mit der Schlagzeile quittierte: »Jeremy Corbyn ist entweder zutiefst böse – oder ein totaler Idiot.«

Genug ist genug

In Großbritannien leben ungefähr 300.000 Juden, viele davon traditionell Labour-Wähler. Doch Corbyn hat das Maß des Erträglichen überschritten.

Today, leaders of British Jewry tell Jeremy Corbyn that enough is enough.

Jonathan Goldstein

Mit diesen Worten beginnt ein offener Brief der obersten Vertreter der jüdischen Gemeinden. Jonathan Goldstein, Vorsitzender des Jewish Leadership Council, präzisierte in einem Interview: »Dieser Mann ist nicht geeignet, Mitglied des Parlaments zu sein, und schon gar nicht ein Führer des Landes. Er hat seine gesamte politische Karriere mit Verschwörungstheoretikern, Terroristen und Revolutionären verbracht, die alles Gute, für das unsere Vorfahren ihr Leben gegeben haben, rückgängig machen wollen. In vielerlei Hinsicht: Genug ist genug.«

Als Corbyns Partei im Juli die Annahme der international anerkannten Arbeitsdefinition von Antisemitismus der IHRA verweigerte, verurteilten die jüdischen Zeitungen des Landes den Antisemitismus in der Labour Party mit einer einmaligen Aktion: »Heute unternehmen Großbritanniens drei führende jüdische Zeitungen – Jewish Chronicle, Jewish News und Jewish Telegraph – einen beispiellosen Schritt und sprechen mit einer Stimme, indem sie die gleiche Titelseite veröffentlichen. Wir tun dies aufgrund der existentiellen Bedrohung des jüdischen Lebens in diesem Land, die von einer von Jeremy Corbyn geführten Regierung ausgehen würde. Wir tun dies, weil die Partei, die bis vor kurzem das natürliche Zuhause unserer Gemeinschaft war, sah, wie ihre Werte und ihre Integrität durch die Corbyn‘sche Verachtung für Juden und Israel erodierten. Die Schmach und Schande des Antisemitismus haben die Opposition Ihrer Majestät durchströmt, seit Jeremy Corbyn 2015 deren Führer wurde…«

Die über ihre Partei hinaus hoch geachtete, jüdische Labour-Abgeordnete und frühere Ministerin Margaret Hodge, deren Großmutter und Onkel im Holocaust ermordet wurden, wurde nach dem Parteibeschluss deutlich. »Sie haben bewiesen, dass Sie Menschen wie mich nicht in dieser Partei haben wollen«, sagte sie ihm ins Gesicht und nannte ihn einen »Antisemiten und Rassisten«.

Corbyns Kalkül ist offensichtlich. Er opfert die jüdischen Stimmen für jene der zehnmal größeren muslimischen Minderheit. Sollte es Schule machen, mit Antisemitismus auf Stimmenfang zu gehen, stehen Europa finstere Zeiten bevor.

Zuerst erschienen auf mena-watch

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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.