WM-Tagebuch, 18. Juni
Am liebsten sind mir die TV–Spots, wo junge, durchtrainierte Männer mit ihren Söhnen, meist blond mit blauen Augen und Dauerwellen, dem gegnerischen Tor sich nähern und dann mit einem meisterlichen Pass von Vater zu Sohn diesem die Möglichkeit geben, mit dem Ball zum Tor zu laufen, das der gegnerische Vater bewacht, eher klein und dicklich, mit dunklen Haaren, unterstützt von einem ebensolchen, dunkelhaarigen Halbmenschen in Kindgröße, der als Verteidiger eher verzweifelt herumsteht. Was dann passiert ist klar. Der blonde Mini–Messi dribbelt geschickt um den gleichaltrigen, jedoch völlig hilflosen Verteidiger herum und schießt unhaltbar ins linke Eck, in das sich der gegnerische Vater ziemlich plump und lächerlich fallen lässt, ohne auch nur in die Nähe des Balles zu kommen.
Dann gibt es zwischen Bilderbuch Vater und Bilderbuch Sohn das berühmte High Five mit einer Bewegung, bei der der zeitlose Vater zum Zehnjährigen wird und der ebenfalls alterslose Jüngling zum Geschäftspartner des Vaters, der eine ewig jung und der andere schon erwachsen, obwohl noch in den Kindersportschuhen. Endlich setzen sich beide auf die Wiese und genießen gemeinsam und doch jeder für sich das beworbene Getränk, die Süßigkeit oder steigen in ein blitzblankes Auto und rasen davon.
Was für tolle Väter, denk ich mir jedes Mal. Da musste einen der Neid zerfressen, wenn man an die eigene Jugend dachte und an den ewig überarbeiteten Vater, der höchstens wusste, dass ein Fußballspiel mit zwei Mannschaften gespielt wird, in denen elf Spieler sind. Er hatte nie mit mir Fußball gespielt und nie ein Spiel besucht. Doch das Jammern passt nicht in meine Generation, also beschloss ich, es anders zu machen.
Schon in Chicago spielten jeden Freitag Nachmittag in der »British School of Chicago« zwei Teams gegeneinander mit Eltern, Lehrern und Schülern aus den oberen Klassen. Ich war stolz, als ich dort mit meinem Sohn auftauchte, und der Spielleiter mich in die Verteidigung steckte und meinen Sohn in die gegnerische Mannschaft, den ich dann auch etliche Male stoppen konnte. Als wir nach Hause fuhren strahlte ich, trotz Blessuren an beiden Beinen und einem Cut auf der Stirn, als ich übereifrig einen Ball aus Luft holen wollte, der schon längst vom gegnerischen Spieler, der mich um einen Kopf überragte, weggeköpfelt worden war.
Im Auto saßen wir nebeneinander, völlig verschwitzt und ich fragte ihn, ob das nicht ein tolles Erlebnis für uns beide gewesen wäre. Doch außer einem OK war da keine Begeisterung zurück zu bekommen.
Eine Woche später kam mein Sohn nicht, also spielte ich ohne ihn, wieder mit dem absoluten Glücksgefühl und ähnlichen Verletzungen. So ging das weiter ein paar Monate, bis ich erkennen musste, dass es nicht so richtig klappen würde mit dem High Five und dem Idealpass zu meinem Sohn. Er kam einfach nicht mehr. Das Spiel hatte daher nichts mit unserer Vater–Sohn Beziehung zu tun, sondern eher mit dem Spaß, den ich dabei hatte, auch ohne ihn.
Da ein gemeinsames Spielen nicht zu organisieren war, versuchte ich es mit dem Besuch von Fußballspielen. Wir fuhren nach Frankreich zur letzten Euro Cup Runde, an der auch Österreich teilnahm, und dieses Jahr nach Russland zum World Cup. Zuschauen ist wesentlich einfacher für Väter. Ich musste meinen eigenen Sohn als Verteidiger nicht daran hindern, ein Tor zu schießen und ersparte mir auch bald die intelligenten Gespräche über die Technik einzelner Spieler und Strategien der Trainer, da die beiden Söhne, die mich nach Russland begleiteten, erstens alles besser wussten und zweitens mir ohnehin nicht zuhörten.
Doch die Vater–Sohn Beziehung entwickelte sich diesmal bei der Reise nach Russland über andere Ebenen. Während ich in den vergangenen Jahren nicht nur die gesamte Vorbereitung übernehmen musste, dann im Laufe der Ereignisse von Hotel zu Flughafen und Restaurants den Reiseleiter spielte und die verwöhnten Söhne einfach hinterher her schlichen, meistens sich beklagend, wie müde, erschöpft und durstig sie wären, läuft das mit den halbwegs erwachsen gewordenen Kindern diesmal ganz anders ab.
Sie behandeln mich jetzt wie einen Behinderten, verweisen auf Stufen beim Eingang zu den Stadien, fordern mich beim Verlassen des Hotels auf, eine Jacke mitzunehmen, geben mir ihre eigene Kappe, wenn uns die Sonne auf den Sitzen überrascht und haben bereits vor der Reise alle Einzelheiten in einer speziellen App eingespeichert, so dass es weder mit Hotels, Flügen, Tickets oder Transfers irgendwelche Überraschungen gibt. Sie sind vor mir mit meinem Pass am Flugschalter und an den Rezeptionen der Hotels, finden das Taxi nach der Autonummer und zeigen mir auf meinem Mobiltelefon, wo wir uns zum Essen treffen. Meine Änderungsvorschläge werden geduldig, wenn auch eher mitleidig zur Kenntnis genommen, doch meinen Einfluss schien ich mit meinem letzten Geburtstag oder dem der Söhne verloren zu haben.
Für mich fehlt nur mehr der Rollstuhl und das zerdrückte Essen im Teller, das mir dann löffelweise angeboten wird. Was mir noch bleibt ist meine Kreditkarte, die ich auf Anforderung anbieten darf, und selbst dann kontrolliert man mich, ob ich sie nicht so in meine Tasche gesteckt habe, dass sie bei nächster Gelegenheit wieder herausfallen könnte.
Spät abends, wenn wir zurück ins Hotel kommen, begleiten sie mich zum Zimmer und teilen mir mit, sie würden noch ausgehen. Wenn ich frage, was sie vorhaben, erklären sie mir, es würde mir dort nicht gefallen, die Musik wäre zu laut, die Menschen womöglich unhöflich und unvorsichtig, es sei einfach nichts für jemanden in meinem Alter.
Also sitze ich dann allein in meinen Zimmer und denke wieder an meinen Vater. Der hat das eigentlich gar nicht so falsch gemacht und einfach auf diese organisierten Gemeinsamkeiten verzichtet. Für ihn gab es die Arbeit und die Versorgung der Familie und vielleicht, wenn Zeit blieb, eine Reise oder ein Theaterbesuch mit dem geliebten Partner. Spaß mit Kindern, indem man sie mit Abenteuern und Aktivitäten verführt, kam ihm nicht in den Sinn.
Als ich ihn einmal darauf ansprach und selbst schon Kinder hatte, sagte er, es hätte ihn einfach nicht interessiert, seine Freizeit mit Kindern zu verbringen. Die hätten doch noch ihr ganzes Leben vor sich und sollten nicht ihm die kostbare Zeit stehlen. Damals war ich ziemlich empört über seine Antwort, heute jedoch, zurückdenkend, habe ich eine gewisse Achtung vor seiner Ehrlichkeit und Offenheit, und kann ihn auch immer besser verstehen.
Ob wir als moderne Über–Väter, die ständig zur Verfügung stehen, und glauben, dass zufriedene Kinder auch uns glücklich machen, die angeblichen Fehler unserer Väter nicht wiederholen, daran zweifle ich immer mehr. Sich die Zuneigung der Kinder durch kostspielige Abenteuer zu erkaufen, ist einfach und auch leichter als sich mit dem Partner oder Freunden zu vergnügen, die selbstständig und eigensinnig als Gleichaltrige eine gewisse Anpassung und Rücksichtnahme von uns einfordern.
Aber warten wir doch einfach ab, wie unsere Kinder unsere Fehler nicht wiederholen wollen…
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