PUTINS RACHE?

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Photo: MI6-Headquarters by Garry Knight, CC BY 2.0

James Bond und der Russische Bär

Es hat einen einfachen Grund, warum die Russen immer wieder Spione und Verräter, die versuchen, sich in Großbritannien zu verstecken, jagen und töten. Kein Land der Welt, nicht einmal die USA während des „Kalten Krieges“, hat so erfolgreich russische Agenten angeworben wie der Britische Geheimdienst MI6.

Als der heutige russische Präsident Putin die Erfolgsleiter im damals sowjetischen Geheimdienst KGB langsam Sprosse für Sprosse hinaufkletterte, hatten die Briten diesen Stolz der kommunistischen Diktatur mit Spionen wie ein Nudelsieb durchlöchert.

Da gab es den KGB-Offizier Oleg Gordijewsky, der alles, was ihm in die Hände kam, an die Briten weitergab. Der Spion Wassili Mitrochin galt als ein besonderer Schachzug des MI6 in den 1990-iger Jahren, da er relativ unbedeutend in der KGB-Hierarchie im Archiv arbeitete, und dort ungestört tausende Dokumente kopieren konnte.

Der Offizier des militärischen Geheimdienstes Sergej Skripal fuhr aufgrund seiner Position immer wieder nach Spanien, wo er stapelweise Dokumente an die Briten weitergab. Die Anschläge gegen Skripal und auch Alexander Litvinenko sind daher nicht als „Bestrafung“ der Verräter zu verstehen, denn jeder Mitarbeiter einer russischen staatlichen Organisation, der bereit ist, geheime Dokumente weiterzugeben, rechnet ständig mit seinem Tod. In den Augen der Russen ist es eine Rache an MI6, dem Britischen Geheimdienst, der dem Land mehr Schaden zugefügt hat, als alle anderen Geheimdienste zusammen. Laut der Times in London leben mindestens zwei Dutzend ehemalige britische Spione in Großbritannien, die nun noch besser geschützt werden als bisher.

Rasputins Ermordung

Das gegenseitige Misstrauen der beiden Länder hat eine lange Geschichte und begann nicht erst mit der kommunistischen Revolution. Vor mehr als hundert Jahren war es Oswald Rayner, ein Sprachengenie, der aus einfachsten Verhältnissen aus Soho in London kam, praktisch akzentfrei Russisch sprach und vom MI6 während des ersten Weltkrieges angeheuert wurde. Bis heute ist ungeklärt, ob er den Anschlag auf den Russen Grigori Rasputin geplant hatte und auch den ersten Schuss auf ihn abgab.

Rasputin hatte nicht nur eine besondere Abneigung gegen Großbritannien, sondern versuchte durch seinen Einfluss auf die Russische Regierung und den Zaren diese dazu zu bewegen, ihre Truppen aus dem 1. Weltkrieg abzuziehen. Dadurch hätten die Deutschen ihre Einheiten von der Ostfront nach Westen verlagern können und der Krieg hätte sich völlig anders entwickelt. Rayner arbeitete nach dem 1. Weltkrieg als Journalist bei der britischen Zeitung Telegraph und starb unbehelligt vom russischen Geheimdienst 1961 in London.

Robert Bruce Lockhart, ein weiterer „Star“ des britischen Geheimdienstes, dessen Buch „Memoirs of a British Agent“ ein internationaler Bestseller wurde, versuchte – allerdings ergebnislos – im Auftrag der Briten 1918 die bolschewistische Revolution zu verhindern. Er war ein begnadeter Fußballer und spielte als Angestellter der Britischen Botschaft in zahlreichen Freundschaftsspielen gegen Mannschaften aus Mitarbeitern der russischen Behörden. MI6 gab ihm eine ganze Tasche voll mit Diamanten, um damit Spione und Informanten zu bestechen. Er lebte in Ruhe bis an sein Lebensende in London.

Russen scheinen eine besondere Abneigung gegen das elegante Auftreten eines James Bond zu haben. Als sei der britische Gentleman der logische Widerspruch zum russischen Bären. Auch im russischen TV und in Filmen kommen Engländer immer wieder als Bösewichte vor, in manchen Schwarz-Weiß-Dokumentationen werden die gefährlichen Briten als perfekte, gefühllose und kalte Gentlemen in tadellosen Anzügen gezeigt, die nichts anderes im Sinn hätten, als dem hilflosen „Mütterchen Russland“ zu schaden.

Misstrauen gegen eigene Spione

Das Misstrauen gegenüber den Briten betraf auch die eigenen Spione in Großbritannien und endete oft in kuriosen Situationen.  Der berühmte „Cambridge Spy Ring“, eine Gruppe von fünf Briten, die während des 2. Weltkrieges bis in die 1950-iger Jahre für die Sowjetunion spionierten, arbeiteten mit einer derartigen Perfektion und schickte so viel Material, dass es Stalin einfach verdächtig vorkam. Er ging davon aus, dass die fünf eigentlich für den MI6 arbeiteten und falsche Dokumente schicken würden und ordnete von einem Tag zum anderen an, dass alle Papiere ungelesen vernichtet werden sollten.

In den 1970-iger Jahren geriet der ganze MI6 unter Verdacht, für die Russen zu arbeiten und sogar der damalige Leiter Roger Hollis wurde beobachtet. Doch es war wieder der Leiter der Britischen Abteilung des KGB, der die Zentrale informierte, man möge das nicht ernst nehmen, dies seien die üblichen Spielchen der Briten.

Während des „Kalten Krieges“ verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Russen auf den CIA und andere US-Organisationen, doch es waren wieder die Agenten des MI6, die den Russen den größten Schaden zufügten. Oleg Gordijewsky wurde 1974 in Dänemark von den Briten angeheuert und schmuggelte elf Jahre lang wertvolles Material in den Westen. Kurz vor seiner Entdeckung flüchtete er nach London und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Das Urteil ist immer noch in Kraft.

Wassili Mitrochin traf sich 1991 mit einem Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes in Riga, und bei einer Tasse Tee vereinbarten die beiden eine Zusammenarbeit. In den folgenden Jahren versteckte Mitrochin 25.000 Seiten kopierte Dokumente unter einer Fußmatte seiner Datscha außerhalb Moskaus, die größte Menge an Material, die je ein Spion in den Westen schmuggelte. Auch er konnte sich nach London retten und starb dort unerkannt mit 81 Jahren.

Sergei Skripal, Opfer eines Anschlags letzte Woche in Salisbury, wurde zuerst in Spanien vom dortigen Geheimdienst rekrutiert, jedoch dann an die Briten weitergereicht, da MI6 mehr Erfahrung mit russischen Spionen hatte.

Andere Länder in Europa wie Frankreich oder Deutschland hatten weniger Glück mit russischen Spionen. Wladimir Wetrow, ein KGB-Offizier in Paris, der von den Franzosen für die Spionage im technologischen Bereich ausgebildet wurde, erstach seine Freundin, bevor er mit seinem Auftrag begonnen hatte und tötete dann noch den Polizisten, der den Fall untersuchen wollte. Er wurde nach Russland ausgeliefert und 1985 hingerichtet, ohne je aktiv als Spion tätig gewesen zu sein.

Persönliche Rache Putins

Russland habe kein Problem mit den Geheimdiensten anderer Länder, meinte ein Fachmann im Britischen TV vor kurzem, jedoch ein besonderes mit Großbritannien. Das könnte auch persönliche Gründe haben, die den derzeitigen Präsidenten Putin betreffen. Die erfolgreichen Aktivitäten des MI6 gegenüber den Russen fallen in die Zeit, in der Putin beim KGB arbeitete. Putin kam aus der Leningrader Sektion des KGBs, die man für den Verrat Gordijewskys verantwortlich machte. Zahlreiche seiner Kollegen wurden damals verhaftet und verschwanden in Sibirien. In der Zeit, als Putin den FSB (Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation), die Nachfolgeorganisation des KGB, leitete, wurden die Spionagetätigkeiten von Skripal entdeckt, und nur durch einen Zufall endete nicht auch Putins Karriere.

Der Auftrag für Racheakt gegen Skripal und Gordijewsky kam laut Aussage von Andrej Lugowoi, einem ehemalige KGB-Bodyguard ,wahrscheinlich direkt von Putin, denn „he does not forgive and he does not forget“.

Vielleicht ist für Putin, der sich im russischen TV gerne als „harter Mann“ zeigt, mit nacktem Oberkörper und einem Jagdgewehr in der Hand, der elegante James-Bond-Typ die Antithese zu seiner eigenen Identität. Und es ist ihm unerklärlich, wie solche „Weicheier“, die im perfekten Anzug auftreten und auf Farbe der dazu passenden Hemden und Schuhe Wert legen, so erfolgreich im Handwerk der Spionage sein können.

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Über den Autor / die Autorin

Peter Sichrovsky

Klassische Dilettanten-Karriere, wenig von viel und viel von wenig zu wissen, zu können, nach Studium der Chemie Marketing in Pharmaindustrie, dann Journalist, Schriftsteller, Mit-Gründer des Standards, SZ/Stern Korrespondent in Asien, EU-Parlamentarier, die letzten zehn Jahre Industrie-Karriere in Süd-Ost-Asien, 23 mal übersiedelt und nach Wien, Berlin, New York, München, New Delhi, Singapur, Hong Kong, Manila, Los Angeles und Brüssel in Chicago gelandet. Seit September 2017 lebt Peter Sichrovsky in London.

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