GEDANKENLOSES GEDENKEN

G

Photo: Arik Brauer, © IKG Wien 

Protokoll einer Empörung

Österreich gedenkt in diesen Tagen feierlich des Anschlusses an Deutschland im Jahre 1938, der Verbrechen des Nazi-Regimes und dessen Opfer, erinnert der Ermordeten. Wir sind gerührt von unserem Mitgefühl für die toten Juden und ergriffen von unserem Mut im Widerstand gegen die toten Täter. Im Blick auf die Vergangenheit erholen sich unsere Augen von den Schrecken der Gegenwart. Das Leben kann so versöhnlich sein. Solange die Harmonie nicht von einem lebenden Juden getrübt wird.

Am Sonntag durchkreuzte der Störenfried Arik Brauer die traute Eintracht einer honorigen Runde im ORF. Heinz Fischer, der ehemalige Bundespräsident und Regierungsbeauftragte für das Gedenkjahr 2018, war zu Im Zentrum geladen, ebenso wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück und der Historiker Oliver Rathkolb. Und eben Arik Brauer – als »Künstler und Zeitzeuge« und, wie man wohl annehmen darf, auch als Jude.

Nach ungefähr 18 Minuten begann Brauer, über die Liederbuch Affäre der Burschenschaften zu sprechen. Worauf sich ein bemerkenswerter Dialog zwischen ihm und Fischer entwickelte. Als Österreicher finde er das zum Kotzen, sagte Brauer, das sei unangenehm und sehr, sehr schädlich für Österreich, und es sei schade, dass sowas passiert, jedoch:

»Als Jude, sag‘ ich Dir ehrlich, ist mir das ziemlich wurscht. Es gibt fast keine Juden in Österreich, 10.000, das ist ja keine Sache, worüber man ein Problem machen kann. Dieser Philosemitismus is‘ a bissel so a Hetz‘ und kost‘ net vü. Wir brauchen das nicht. Es gibt ein viel schwereres Problem, und das ist ja wirklich die Einwanderung. Das ist die Grundursache für das Aufkommen von rechtem Gedankengut in jeder Hinsicht.«

»Also ich muss einmal meinem Freund Arik in einem Punkt widersprechen und in einem korrigieren. Also ich nehm‘ das nicht so auf die leichte Schulter. Es gibt ja ein berühmtes Buch ‚Antisemitismus ohne Juden‘ und der Antisemitismus hat so verheerende Folgen gehabt, dass wenn wir da nicht von Anfang an ganz strenge rote Linien ziehen, würde ich mir größte Sorgen machen. … Und das zweite ist, vielleicht ist das ein Missverständnis, aber Du hast gesagt, schuld an sehr vielen Dingen ist die Einwanderung. Ich glaub‘, wir müssen ein bissel präziser sein, weil Einwanderung zum Beispiel im Jahr 1956 nach der ungarischen Revolution oder im Zusammenhang mit dem Prager Frühling, durch Flüchtlinge, durch Menschen, die aus Gründen, wo ich jetzt nicht ins Detail geh‘, sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen – das ist etwas, womit wir schon, mit vernünftigen Maßnahmen fertigwerden können, und sie ordentlich regeln können. Was mich schreckt, ist die Reaktion mancher Menschen auf die Einwanderung und die Feindbilder, die geschaffen werden.«

Antwortet Fischer, der als Bundespräsident Mahmoud Abbas in der Hofburg empfing, wohl um mit ihm rote Linien zu bereden. Man sieht ihn förmlich vor sich, wie er dem Palästinenserführer streng auf die Finger klopft: »Dudu, das mit den Attentaten, das müsst’s aber schon ein bissel einschränken, gell!«

Brauer zeigt sich unbeeindruckt vom präsidentiellen Literaturunterricht, ihn beunruhigt am »Antisemitismus ohne Juden« offenbar mehr, dass diese Formulierung genau genommen den Endsieg der Antisemiten beschreibt. Da zieht man den »Antisemitismus mit Juden« dann doch vor. Und weil Fischer zwar zweifellos damit Recht hat, dass die Integration geflüchteter Ungarn und Tschechen auch ganz ohne Integrationsbeauftragten völlig problemlos war, damit aber bei den Herkunftsländern der heutigen Migranten knapp daneben liegt, präzisiert Brauer, um welche Flüchtlinge es geht:

»Da hab‘ ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Was ich gemeint hab‘ ist natürlich: Es gibt eine Viertelmilliarde Araber, die wollen uns lieber sehen unter der Erd‘ oder am Grund vom Mittelmeer. Das ist so und ich weiß das. Und von denen gibt es viele, die hier einwandern. Und das ist eine Gefahr für Antisemitismus. Wenn mich jemand auf der Straße umbringt, dann ist das ganz bestimmt nicht einer von diesen Fechtern, die da so ein Lied singen.«

Fischer erstarrt während der Antwort Brauers, die hier nur auszugsweise wiedergegeben ist, blickt ihn fassungslos an, einzig die kaum merkbar gegeneinander klopfenden Finger seiner Hände verraten seine Anspannung und das Ausmaß an Selbstbeherrschung, das er während dieser Momente aufbringt. Über die weitere Diskussion gibt es nichts zu berichten. Man besprach das Übliche, zeigte sich betroffen, lobte die Aufarbeitung der Verbrechen, warnte pflichtschuldig vor dem Vergessen und betonte die Bedeutung der Aufklärung für die Jugend.

Nach der Sendung brach ein Shitstorm über Arik Brauer herein. »Bin schockiert über Arik Brauer«, war auf Twitter zu lesen, »Alter schützt vor Schwachsinn nicht, und Jude zu sein schützt vor Rassismus nicht«, meinte jemand auf Facebook posten zu müssen. Kaum ein Vorwurf, der Brauer nicht um die Ohren geschlagen worden wäre.

An dieser Stelle könnte man in wohlgesetzten Worten über den linken, rechten oder islamischen Antisemitismus referieren, man könnte das Verhältnis Heinz Fischers zu Israel beleuchten und seine fortwährende Parteinahme für die palästinensische Sache. Man könnte anführen, dass Arik Brauer die Hälfte der Zeit in Israel lebt, Arabisch beherrscht und sicher weiß, wovon er redet, wenn er vom arabischen Antisemitismus spricht. Man könnte über den Exodus der Juden aus Europa berichten, von der Absurdität, dass heutzutage Juden von Frankreich nach Israel fliehen, um der Bedrängnis durch Araber zu entkommen, oder über den Umstand, dass es in immer mehr Gegenden Europas gefährlicher ist, mit einer Kippa auf die Straße zu gehen als mit einem Austria-Wien-T-Shirt in den Rapid-Sektor. Man kann aber auch einfach die Wutrede eines »fluchenden Juden an der Bar« wiedergeben, die der Wiener Bezirksrat, Autor und Fotograf Götz Schrage in seinem Notizbuch für die Nachwelt festgehalten hat:

»Und wenn ich den Schaaß nur höre, die Araber können keine Antisemiten sein, weil sie selbst Semiten sind. Ich könnt‘ solchen Wixern, die so gescheit reden, permanent in die Goschn hauen. Speiben könnte ich den ganzen Tag, wenn sie jetzt dem alten Brauer vorwerfen, dass er das rechte Narrativ bedient. Einen Scheißdreck tut er das. Er sagt halt, was er sich denkt und das verschissene rechte Narrativ gibt es nur deshalb, weil die linken Arschlöcher die Pappn nicht aufkriegen zum zuagrasten Antisemitismus. Und warum kriegens die Pappn nicht auf, weil sie selbst Drecksantisemiten sind. Net du Götz, net persönlich nehmen, aber es ist halt wahr.

Und bitte nimmer mehr den Fischer. Wieso ist der no im Fernsehen. Der Habschi vom Abbas. Und denk an damals, Fischer gegen den Wiesenthal. Peinlich hoch zehn, und jetzt will er dem Brauer sagen, vor wem er sich zu fürchten hat. Ich reg mich so auf.«

Damit ist eigentlich alles gesagt.

Zuerst erschienen auf mena-watch

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.

1 comment