Warum Türkis-Blau eine Chance ist
Unerhörtes trägt sich zu in diesen Tagen. Wird doch glatt eine Regierung angelobt, der die SPÖ nicht angehört. In den sozialen Netzwerken werden die 1930er Jahre und die Orbanisierung des Landes ausgerufen oder die Gespenster der „kriminellsten Regierung der Nachkriegsgeschichte“ beschworen, deren ehemaliger Finanzminister gerade vor Gericht steht. Glaubte man den Rufern, stünden dem Land wahrlich finstere Zeiten bevor.
Mit der Realität hat all das wenig zu tun. Ein Regierungswechsel steht an, in einer Demokratie die normalste Sache der Welt. Regierungswechsel sind die Essenz einer Demokratie. Deren Wesen lag für Sir Karl Popper nicht in der „Herrschaft der Mehrheit“, sondern in der „Möglichkeit, die Regierung gewaltfrei abzuwählen“. I couldn’t agree more.
Die türkis-blaue Koalition entspricht dem Votum der Wähler, sie ist demokratisch deutlich stärker legitimiert als das Kabinett Schüssel I, in dem die drittstärkste Partei den Kanzler stellte und die stimmenstärkste in die Opposition musste. Die Wähler haben mehrheitlich rechts-konservative Parteien gewählt und werden nun eine rechts-konservative Regierung bekommen. Alles paletti also, alles ganz normal? Nicht ganz.
Nun sag, wie hast du’s mit der FPÖ?
Das heutige Europa wurde auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs errichtet. Die Shoah gehört zum kollektiven Weltgedächtnis, genauso wie die Millionen anderen Opfer des Nationalsozialismus. Die Ächtung des Nationalsozialismus – ohne jede Einschränkung oder Relativierung – ist nicht verhandelbar, sie bildet den zivilisatorischen Grundkonsens des ganzen Kontinents. Wer zum Nationalsozialismus keine unmissverständliche Haltung einnimmt, stellt sich außerhalb der europäischen Zivilisation.
Die FPÖ tänzelte oft genug provokant am Rande dieses zivilisatorischen Konsenses entlang, mehr als einmal stand sie mit mindestens einem Bein draußen. Schon ihre Vorgängerpartei VdU (Verband der Unabhängigen) war das Auffangbecken ehemaliger Nationalsozialisten, die zur ersten Nationalratswahl nach dem Krieg nicht zugelassen waren. Ihr erster Bundesparteiobmann wurde 1956 ein ranghoher Nationalsozialist und ehemaliger SS-Brigadeführer. Auch wenn ehemalige Nazis in allen Parteien zu finden waren und unter Bruno Kreisky sechs davon sogar in der Regierung saßen, ist keine andere Partei personell und ideologisch im gleichem Maße mit nationalsozialistischen Überbleibseln verwoben wie die FPÖ. Ist von einem „blauen Urgestein“ die Rede, kann man fast immer davon ausgehen, dass damit ein alter Nazi gemeint ist.
Die Haltung der Partei zur NS-Zeit war zumindest widersprüchlich. Da ein Augenzwinkern, dort eine Anspielung, wie die Kornblume am Revers, die das Abzeichen der Alldeutschen von Hitlers geistigem Ziehvater Georg von Schönerer war, der das spätere Nationalsozialistische Programm bis in Einzelheiten vorweggenommen hatte. Kleinigkeiten vielleicht, aber bei den Adressaten kommt die Botschaft an.
Verstörend auch die hohe Zahl an Burschenschaftern im Nationalrat: »Gleich 20 der 51 Nationalratsabgeordneten der FPÖ sind nach Angaben des DÖW „völkisch korporiert“, ein Rekordwert in der Geschichte der Zweiten Republik. Zum Vergleich: Zur Zeit von Schwarz-Blau I waren gerade einmal acht Abgeordnete korporiert.«, war im KURIER zu lesen. Die Strache-FPÖ ist weiter rechts als die Haider-FPÖ je war. Wie sich die völkisch-deutschnationale Gesinnung eines großen Teils der akademischen und finanziellen Parteielite mit dem zur Schau getragenen Österreich-Patriotismus der Partei verträgt, ist ein Widerspruch, der merkwürdigerweise kaum von den politischen Gegnern aufgegriffen wird.
Die personelle und zum Teil auch ideologische Nähe zum Nationalsozialismus ist Teil der freiheitlichen DNA. Und die Spuren dieser Erbanlagen verlieren sich nicht einfach in ein oder zwei Politiker-Generationen. Die Biographie ihres Obmanns steht exemplarisch für die Entwicklung der ganzen Partei.
Der neue Vizekanzler der Republik pflegte in seiner Jugend engsten Kontakt mit der rechtsextremen Szene. Er nahm zusammen mit Neonazis an „Wehrsportübungen“ teil und war sieben Jahre lang mit der Tochter Norbert Burgers liiert, einem bekannten deutschnationalen Rechtsextremisten, der wegen terroristischer Aktivitäten in Südtirol 1971 in Italien in Abwesenheit einmal zu lebenslänglich und einmal zu 28 Jahren Haftstrafe verurteilt worden ist. Noch 1990 besuchte Strache als FPÖ-Mitglied eine Wahlkampfveranstaltung der Gruppe Nein zur Ausländerflut, deren Spitzenkandidat der Rechtsextremist Horst Rosenkranz war, und auf deren Wahlliste auch der Holocaustleugner Gerd Honsik stand. Die Gruppe wurde dann wegen NS-Wiederbetätigung nicht zur Wahl zugelassen. Im selben Jahr nahm er auch an einer Veranstaltung der rechtsextremen DVU in Passau teil. Zum Schreckschussrevolver, den ihm die deutsche Polizei dabei abnahm, erklärte er später, er habe diesen zum Selbstschutz vor „Glatzköpfen“ bei sich getragen und dafür eine Geldbuße zahlen müssen.
Verantwortung hilft gegen Populismus
Es gibt also gute Gründe, mit dieser Partei keine Regierungskoalition zu bilden. Aber genauso gute Gründe, es doch zu tun. Der Gewichtigste zuerst: die Wähler haben die Partei auf gleiche Augenhöhe mit SPÖ und ÖVP gestellt. Solange sich daran nichts Entscheidendes ändert, bleibt ohne die Freiheitlichen jede andere Regierung als Rot-Schwarz unmöglich. Die „Möglichkeit, die Regierung gewaltfrei abzuwählen“ besteht in der österreichischen Realität nur mit der FPÖ.
Ein dauerhafter cordon sanitaire um die Freiheitlichen würde Rot-Schwarz ad infinitum fortschreiben. Doch eine Demokratie ohne die Möglichkeit des Regierungswechsels ist keine, zumal in Österreich die Abgeordneten nicht direkt ins Parlament gewählt, sondern von den Parteien nominiert werden, und die Gewaltenteilung nicht konsequent umgesetzt ist.
Zudem ist Verantwortung ein wirksames Mittel gegen Populismus. Es ist unvergleichlich leichter, rabaukenhaft gegen eine Regierung zu wettern, als es im Rahmen des Möglichen besser zu machen. Selbst wer Brüllaffen applaudiert, will nicht von ihnen regiert werden, deshalb reicht es für eine Regierungspartei nicht, nur Protestwähler auf sich zu vereinen. In Regierungsverantwortung muss die FPÖ ihren Stil ändern und sich mit beiden Beinen auf den Boden der europäischen Zivilisation stellen. Dass die Koketterie mit dem rechtsextremen Rand in eine Sackgasse führt, hat die Partei inzwischen erkannt. Offensichtliche Nazi-Sympathisanten werden relativ prompt aus der Partei ausgeschlossen, Abgeordnete verlieren ihren Listenplatz, wenn antisemitische Ausfälle an die Öffentlichkeit dringen, und bei der jüngsten Angelobung der Abgeordneten verzichtete man auf die Kornblume. Man gibt sich staatstragend.
Eine demokratiepolitische Chance
Eine „Große Koalition“ aus den beiden mandatsstärksten Parteien sollte in einer Demokratie eigentlich eine Ausnahme sein – in Krisenzeiten, oder um unabdingbare aber schmerzhafte Reformen durchzuführen. In Österreich ist die Ausnahme die Regel. Seit 1945 gab es auf Bundesebene nur von 1966 bis 1987 und von 2000 bis 2007 keine Koalition aus SPÖ und ÖVP. In den Jahrzehnten der Großen Koalition hat sich eine Schattenregierung aus Sozialpartnern und Ländern etabliert, gegen die bislang noch jede Bundesregierung verhältnismäßig machtlos war.
Sebastian Kurz wurde nicht nur gewählt, weil er beim Thema Migration eine mehrheitsfähige Position vertrat, sondern weil die Wähler ihm am Ehesten zugetraut haben, jene Strukturen aufzubrechen, die dieses Land seit Jahrzehnten lähmen. Seine mutige Ministerauswahl signalisiert jedenfalls, dass es ihm damit ernst ist. Das Team ist erfrischend unbelastet vom früheren Proporz aus Ländern und Bünden.
Positiv scheint schon jetzt: Selbst wenn das Regierungsprogramm den Zeitrahmen für seine Umsetzung nicht konkretisiert, macht bereits die Präambel klar, dass die ständig steigende Neuverschuldung gestoppt werden soll. Sie stellt das gesamte Programm unter einen generellen Vorbehalt: „Alle vorgesehenen Maßnahmen werden nur umgesetzt, wenn sichergestellt ist, dass etwaige Mehrkosten oder Mindereinnahmen durch strukturelle Gegenfinanzierungsmaßnahmen gedeckt sind.“ Die türkis-blaue Koalition wird nach ihren umgesetzten Reformen beurteilt werden, nach ihrer Budgetdisziplin und der Steuerquote am Ende der Legislaturperiode. Manches wird besser gelingen, anderes schlechter. Eine Koalition ist nur ein Arbeitsübereinkommen auf Zeit, an den Ergebnissen ihrer Arbeit werden wir diese Regierung messen.
Menschen und Parteien können sich rehabilitieren. Gut möglich also, dass die FPÖ in Regierungsverantwortung sowohl personell als auch in Form und Inhalt reift. Nur dann kann sie sich dauerhaft zu einem potenziellen Regierungspartner für beide Parteien entwickeln. Schon allein die Notwendigkeit dies zu versuchen, sollte dem politischen Klima in diesem Land guttun. Es liegt an der FPÖ, ihre Chance zu nutzen, für sich selbst und für das Land. Tut sie es, lösen künftige Regierungswechsel nicht gleich eine halbe Staatskrise aus. Nutzt sie ihre Chance nicht, wird sie nach dieser Legislaturperiode auf die Größenordnung einer fundamentalen Oppositionspartei schrumpfen – und damit den Weg für wechselnde Regierungen ohne ihre Beteiligung freimachen.
Drei annähernd gleich starke Parteien, von denen grundsätzlich jede mit jeder regieren kann, oder eine marginalisierte FPÖ und wechselnde Koalitionsvarianten ohne ihre Beteiligung – beides wäre gegenüber den letzten Jahrzehnten ein demokratiepolitischer Fortschritt.
Das Regierungsprogramm zum Download
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