SO DENKT ES IN IHM

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Antisemiten, die nicht merken, welche zu sein

Inzwischen wurde die von ARTE und dem WDR in Auftrag gegebene Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt“ also gezeigt. Einmal für 24 Stunden online durch Bild und im Anschluss daran in der ARD, samt medizinischem Beipackzettel (zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie unsere Disclaimer und fragen Sie unseren Faktencheck) und mit anschließender Diskussionsrunde. Mehr noch als der Film selbst hat die Diskussion um ihn, vor, während und nach seiner Ausstrahlung, eines klar gemacht: neben den Antisemiten, die im Film als solche dargestellt werden, gibt es noch eine Art:

Die Antisemiten, die noch nicht einmal merken, dass sie welche sind.

Das sind diejenigen, die ich als „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber“-Antisemiten bezeichne. Diesen hält der Film einen Spiegel vor die Nase. Und in den Diskussionen, die ich in den sozialen Medien und meinem privaten Umfeld zu der Dokumentation führte, zeigte sich immer wieder, dass das Spiegelbild diesen Menschen nicht sonderlich gefällt.

Diese Menschen haben tatsächlich nichts gegen Juden per se. Weder glauben sie an die jüdische Weltverschwörung, noch daran, dass wir das Blut kleiner Kinder benötigen, um zum Passah-Fest Matzen zu backen. Sie haben jüdische Bekannte und Freunde. Wie eben auch mich.

Es sind genau jene, denen der Teil des Films, der in Israel, Gaza und der Westbank gedreht wurde, so aufgestoßen ist. Die wieder und wieder darauf zurückkamen, dass es keinen Sinn mache, wenn ein Film über Antisemitismus in Europa zur Hälfte im Nahen Osten spiele. Menschen, die nicht sehen wollten, dass Israel inzwischen, auch in ihren eigenen Augen, zum Juden der staatlichen Weltgemeinschaft geworden ist, dem man alles vorwerfen kann, von der Brunnenvergiftung bis hin zum Genozid.

Bekannte Stereotypen

Diese Menschen hüten sich zwar, Juden und Israelis in einen Topf zu werfen, aber sie suchen, wenn sie ihre „legitime Israelkritik“ zum Besten geben, nach dem Juden, der Israel ebenfalls kritisch sieht. Als bräuchten sie einen Koscher-Stempel auf ihrer Meinung. Ein jüdisches Zertifikat, das sie berechtigt, ihre Ansichten zu vertreten. Damit ziehen sie genau jene Verbindung zwischen den Juden und Israel, die sie vorgeben, nicht ziehen zu wollen.

Dass dieser „Legitimationsjude“ in der Regel eine absolute Mindermeinung vertritt, ficht sie nicht an. Es ist für sie völlig irrelevant, dass der Rabinplatz schon 400.000 Menschen und mehr gesehen hat, wenn gerade mal 10.000 für Frieden und eine 2-Staaten-Lösung demonstrieren, dass die Kantorin, die mit Steinmeier posiert, einer liberalen Reformgemeinde weit ab vom Mainstream angehört, oder der Sohn zweier Holocaustüberlebender, der als „Experte“ bei Maischberger sitzt, in der jüdischen Gesellschaft grundsätzlich aneckt und nicht ernst genommen wird.

Hauptsache, ein Jude, irgendein Jude, sagt das, was sie sagen. Halten sie ihre Kritik, wenn sie nicht durch einen „Legitimationsjuden“ gestützt würde, vielleicht selbst nicht für „legitim“? Und wenn man sich einer Sache nicht sicher ist, sondern irgendeinen Juden braucht, um seine Meinung zu legitimieren, was ist man dann, wenn nicht antisemitisch?

Gerne verstecken sich diese Menschen dahinter, dass es nicht angehen kann, dass man Israel nicht mehr kritisieren dürfe, ohne als Antisemit abgestempelt zu werden. Aber ist das denn wirklich so? Darf man Israel tatsächlich nicht kritisieren? Ich habe zum Beispiel weder als Jude noch als Israeli irgendein Problem damit, wenn man Israel kritisiert. Ich selbst kritisiere mein Land auch. Und zwar reichlich! Nur zeigt sich leider allzu oft, dass diese Menschen Israel eine Sonderstellung in ihrem Leben zukommen lassen. Oder kritisieren sie auch andere Staaten in diesem Ausmaß oder mit dieser Vehemenz? Sicher nicht. Stattdessen versuchen sie, mir und anderen zu erklären, dass sie Israel besonders ins Herz geschlossen hätten und es daher für wichtig hielten, es von der schiefen Bahn abzubringen. Natürlich zum Wohle Israels.

Die tatsächlichen Kenntnisse der Umstände vor Ort sowie der historischen und tagesaktuellen Fakten sind für sie leider ebenso irrelevant wie meine Frage, mit welchem Recht und welcher Arroganz sie sich eigentlich herausnehmen, zu entscheiden, was für uns gut, richtig oder überlebensnotwendig zu sein habe.

Doppelte Standards

Angesprochen auf die Doppelstandards und auf das Mikroskop, unter dem jede Bewegung der israelischen Regierung und Bevölkerung seziert wird, verglichen mit dem Radar, unter dem Menschenrechtsverletzungen in –zig anderen Staaten unbemerkt vor sich hin fliegen können, erklärt man mir immer wieder, dass Israel, wenn es eine Demokratie sein wolle, sich eben an anderen Standards messen lassen müsse als irgendein muslimischer Staat, an den man ohnehin keine großen Erwartungen stelle.

Falsch, meine lieben Antisemiten, die ihr nicht sehen wollt, dass Ihr solche seid! Ihr messt an Euren Standards. Diesen wird man gerecht oder nicht. Wenn Ihr Eure Erfüllungserwartungen oder gar die Standards hoch oder runterschraubt, je nachdem, über wen Ihr gerade richtet, und an Israel und die Bevölkerung dort weltweit die höchsten Ansprüche stellt, was seid Ihr dann, wenn nicht antisemitisch?

Kein Wunder also, dass der Teil des Films, der sich mit dem Nahen Osten befasst, diesen, ihren eigenen Antisemitismus nicht erkennen wollenden Antisemiten so aufstößt. Er legt den Finger ganz tief in die Wunde. Er zeigt ganz genau, wie sehr sie durch die einseitige Berichterstattung manipuliert werden und das allzu gerne hinnehmen, wie wenig sie in ihrer Wahrheit von Tatsachen gestört werden wollen, wie besessen sie von der Verurteilung des Juden unter den Staaten – kurz: wie antisemitisch – sie sind.

Dazu passt dann auch, dass diese Menschen den Film für „handwerklicher Mängel“ kritisieren, die letztlich niemand beurteilen kann, der nicht zumindest eine Ahnung von Dokumentarfilmen hat: von keinem von ihnen habe ich je ein kritisches Wort zur oft erwiesenermaßen falschen Berichterstattung über den Nahen Osten gehört.

Relativierung des Holocaust

Der „Ich habe ja nichts gegen Juden, aber“-Antisemit erwartet von einem Antisemiten, dass er Glatze und Springerstiefel trägt. An ihrem Outfit sollt ihr sie erkennen. Den „Palästina-Solidaritäts-Antisemitismus“ der Linken erkennt er nicht. Schließlich gehe es ihm ja nicht um Juden sondern um Solidarität mit den Palästinensern. Wobei er, dieser Nachsatz muss gestattet sein, nicht verstehen könne, dass die Juden das, was man ihnen angetan hat, heute den Palästinensern antun. Gaza sei ein Konzentrationslager, Israel sei ein Apartheidstaat, betreibe ethnische Säuberung und einen schleichenden Genozid. Wie können die Juden so wenig aus ihrer eigenen Geschichte gelernt haben?

Damit setzt er den Holocaust mit der Besatzung gleich. Das ist nichts anderes als Holocaustrelativierung, das ist nichts anderes als antisemitisch.

Die palästinensische Seite mit all ihren Facetten, von der Verbreitung von Lügen, der Aufwiegelung zur Gewalt bis hin zum Terror, wird kaum thematisiert und die Hauptschuld sowie die Macht zur Beilegung des Konflikts wird allein auf israelischer Seite gesehen. Dabei leben in Israel rund 20% Araber. Sie sind absolut gleichberechtigt, haben aktives und passives Wahlrecht, Zugang zu allen Universitäten, sie sind Polizisten, Ärzte, Richter bis hin zum israelischen Obersten Gerichtshof. Täglich passieren hunderte Lastwägen die Grenzen nach Gaza, gefüllt mit Lebensmitteln, Medizin, Gütern aller Art. Hätte Israel zu irgendeinem Zeitpunkt 6 Millionen Palästinenser vernichtet, gäbe es diesen Konflikt heute nicht.

Der Kuscheltierantisemit

Neben den bereits genannten gibt es auch den Antisemiten, der seinen Antirassismus beweist, indem er sich bedingungslos einer neuen Minderheit zuwendet, den neu angekommenen Muslimen. Wogegen im Grunde nichts zu sagen ist. Ich finde es begrüßenswert, sich mit anderen Kulturen und Religionen auseinanderzusetzen. Ich finde es lobenswert, sich für die Aufnahme und gegebenenfalls für die Integration von Kriegsflüchtlingen einzusetzen.

Aber einen Muslim wie jeden anderen Menschen zu behandeln impliziert auch, sich gegebenenfalls mit dessen antisemitischem Gedankengut auseinanderzusetzen. Wer ihn stattdessen wie ein Kuscheltier umarmt, um ihn vor allem Übel zu bewahren und sich selbst an der eigenen Moral zu wärmen, verschließt nicht nur die Augen vor der Wirklichkeit sondern handelt wiederum rassistisch.

Dann verstellt das neue Kuscheltier den Blick auf Antisemitismus, auch auf den eigenen. Dann ist es plötzlich kein Antisemitismus sondern gewöhnliches Mobbing unter Kindern, wenn ein jüdischer Schüler an einer integrativen Schule von muslimischen Mitschülern dermaßen drangsaliert wird, dass er die Schule wechseln muss. Dann ist auch kein Antisemitismus, wenn irgendwo eine Synagoge angezündet wird, sondern nur Vandalismus als Ausdruck von Verzweiflung und Chancenlosigkeit. Jemandem die Kippah vom Kopf zu schlagen oder den Davidstern vom Hals zu reißen, wird zum bloßen Machogehabe. „Du Jude“ als Schimpfwort, nun ja, wie oft hört man von Jugendlichen auch „Du Spasti, du Schwuchtel“, das hat sich eben in den Sprachgebrauch eingeschlichen. Überhaupt sollten Juden aufhören, in solchen Vorkommnissen den Antisemitismus zu suchen, sonst würden sie sich nie vom Leid des Holocaust befreien können und das Leid würde sie weiter begleiten.

Also sagt man mir, natürlich um mir was Gutes zu tun, was Antisemitismus ist und was nicht.

Manche mögen das einfach als dumm einstufen. Im Gesamtbild zeigt sich allerdings, dass diese Menschen oft alles andere als dumm sind. Sie sind nur auf dem muslimisch-antisemitischen Auge blind. Aber wenn jemand den Antisemitismus aus muslimischen Kreisen partout nicht erkennen will, nur weil damit das neue Kuscheltier in ein unvorteilhafteres Licht gerückt werden könnte, was ist er dann?

Wo der muslimische Antisemitismus nicht unerkannt bleibt, wird er relativiert, um dem Rassismus keine Chance zu geben, zumindest nicht jenem, der sich gegen Muslime richtet. In viel zu vielen Diskussionen, lange bevor das Debakel um diesen Film überhaupt an die Öffentlichkeit geraten war, wurde mir erklärt, die Muslime seien zwar irgendwie antisemitisch, aber das sei in der Regel eine Projektion aus dem Konflikt zwischen Palästina und Israel. Die Muslime solidarisierten sich eben mit den Palästinensern, oft aus Unwissenheit und ja, dem müsse man mit Aufklärung entgegenwirken.

Aha. Muslimischer Antisemitismus ist also eine Projektion. Aus diesem einen Konflikt. Dem Konflikt, den man in einem Film über Antisemitismus nicht zeigen soll und nicht sehen will, weil er ja nichts mit Antisemitismus in Europa zu tun habe.

Doch wenn dieser Konflikt und das Unwissen darüber bei Muslimen Antisemitismus schüren können, dann stellt sich zwingend die Frage: was schüren dieser Konflikt und das Unwissen darüber bei einem selbst?

Über den Autor / die Autorin

Alexandra Margalith

Alexandra Margalith hat in München Rechtswissenschaften studiert, ist in Israel als Anwältin und Notarin zugelassen und hat sich in einer Kanzlei in Tel-Aviv mehr als 13 Jahre intensiv mit deutsch-israelischen Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen befasst, davon 7 Jahre als Partnerin. Sie befasst sich intensiv mit dem Nahostkonflikt und dem Antisemitismus in Europa, lange vor dem Holocaust bis heute, und verfolgt dazu die hebräische, deutsche, englisch- und französischsprachige Presse.
Seit 2012 lebt Frau Margalith aus beruflichen Gründen mit ihrem Mann in Irland.

1 comment

  • schlimmer noch als die “ ich habe nichts gegen juden, aber….“ leute sind die, die allen ernstes behaupten “ meine besten freunde (!!!!) sind juden, aber „…. so einer ist mir schon untergekommen…. geht´s noch ?