Die Europäische Union schafft es nicht, die drängendsten Probleme des Kontinents zu lösen. Stattdessen reguliert sie immer mehr Lebensbereiche, in denen sie nichts verloren hat.
Weil offenbar gerade keine dringlicheren Aufgaben anstehen, bringt die Europäische Kommission ein Rauchverbot in Gastgärten aufs Tapet. Es ist nur eine Empfehlung, und noch ist nichts entschieden. Aber man weiß ja, wie das läuft, ihr damaliger Präsident Jean-Claude Juncker hat es dem SPIEGEL schon im Dezember 1999 erzählt: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
In Österreich war das Geschrei ziemlich groß. Aber wie so oft drehte es sich ums falsche Thema. Es geht nämlich gar nicht darum, ob man Rauchen in Gastgärten gut findet oder nicht, ob man es verbieten soll oder nicht. Sondern einfach um die Frage, was die Kommission das überhaupt angeht. Warum in aller Welt sollten vom Schanigarten in Wien bis zur Strandbar in Taormina fürs Rauchen dieselben Regeln gelten? Warum sollte das nicht besser auf lokaler Ebene, also in Ländern und Kommunen, geregelt werden?
Das Ziel der EU sei eine „Entnormalisierung des Konsums von herkömmlichen Tabakprodukten und neuen Produkten“, war zu lesen. Klingt auf den ersten Blick vernünftig, aber mit welchem Recht entscheidet darüber die EU – über die Parlamente der Mitgliedsstaaten hinweg? Es ist Aufgabe der einzelnen Staaten, über gesundheitspolitische Maßnahmen zu entscheiden und sie gesellschaftlich und wirtschaftlich verträglich umzusetzen.
Es gibt kein gesamteuropäisches Gesundheitssystem, und es gibt kein einziges demokratiepolitisch valides Argument dafür, warum der Konsum von Tabak und Alkohol (ja, auch die Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums müssten verschärft werden, kündigte die Kommission 2021 an) europaweit geregelt werden müsste. Falter-Chefredakteur Florian Klenk brachte das Thema auf X auf den Punkt: „Die EU wurde gegründet, um Frieden in Europa zu garantieren. Aber nicht, um die Zigarette im Schanigarten zu verbieten.“
Eine demokratische Anomalie
Obwohl keinerlei Notwendigkeit besteht, dieses Thema EU-weit aufzugreifen, ermächtigt sich die Kommission selbst. Möglicherweise mit dem Wohlwollen des Rates der Europäischen Union, in dem die Minister der Mitgliedsländer – also die nationale Exekutive – zur europäischen Legislative aufsteigen. Schließlich kann man auf diese Weise unpopuläre Gesetze in der Heimat bequem auf die EU schieben.
Ein Land, das wie die EU verfasst ist, hätte keine Chance, in die EU aufgenommen zu werden.
Da wedelt der Schwanz fröhlich mit dem Hund: Dieselben Leute, deren Aufgabe darin besteht, die Beschlüsse ihres Parlaments auszuführen, können auf europäischer Ebene Beschlüsse fassen, an die ihr Parlament gebunden ist. So folgt am Ende das Parlament dem Minister anstatt umgekehrt. Dass es immer auch die Zustimmung des EU-Parlaments braucht, ändert nichts daran, dass die nationalen Parlamente ausgehebelt werden. Ein Land, das wie die EU verfasst ist, hätte keine Chance, in die EU aufgenommen zu werden.
Afuera!
Zugegeben, unter all den Zumutungen europäischer Regulierungswut gehört das Rauchen im Gastgarten zu den nebensächlichsten. Die europäische Wirtschaft erstickt in Bürokratiemonstern wie Lieferkettenrichtlinie, Renaturierungsgesetz, Digital Services Act oder Artificial Intelligence Act. Für Klein- und Mittelbetriebe ist der Bürokratieaufwand kaum mehr zu stemmen. Am Ende verfügen nur Konzerne über die nötigen Ressourcen, allen Auflagen gerecht zu werden. Auf der Strecke bleiben wirtschaftliche Dynamik und globale Wettbewerbsfähigkeit.
Das Grundübel liegt im Kollegium der Kommissionsmitglieder, das jedem der 27 EU-Länder einen eigenen Kommissar zugesteht. Dieses Proporzsystem gibt jedem Mitgliedsland die Möglichkeit, Posten zu besetzen. Ob ein Kommissariat darüber hinaus irgendeinen Sinn hat, spielt keine Rolle.
Jeder einzelne der 27 Kommissare beschäftigt Heerscharen von Beamten, die immer mehr Lebensbereiche bis ins kleinste Detail regeln. Und den Leuten damit auf die Nerven gehen. Vom Verschluss der Plastikflaschen bis zu ständig piepsenden Autos oder den elenden Papierstrohhalmen, die jeden Drink ruinieren – auf Schritt und Tritt sind wir mit alltäglichen Zumutungen konfrontiert, die wir dem Ehrgeiz der Kommissare und dem Fleiß ihrer Beamten zu verdanken haben.
Die ‚Ever Closer Union‘ beruht entweder auf einem breiten politischen Konsens oder sie wird zu einer Ever Smaller Union.
Doch der Versuch, die europäische Einigung bürokratisch zu vollziehen, weil man sie politisch nicht zustande bringt, ist zum Scheitern verurteilt. Die „Ever Closer Union“ beruht entweder auf einem breiten politischen Konsens oder sie wird zu einer Ever Smaller Union.
Sie kennen wahrscheinlich das Video, in dem Javier Milei vor einer Tafel steht, auf die Kärtchen mit den Namen der argentinischen Ministerien geklebt sind. Jedes Kärtchen ein Ministerium. Milei reißt eines nach dem anderen herunter, und jedes Mal ruft er dabei „Afuera!“, was in dem Zusammenhang so viel bedeutet wie „Hinfort!“. Übrig bleiben acht Ministerien, die für den Staat unverzichtbar sind. Zufälligerweise kam die EU-Kommission Anfang der 1970er-Jahre ebenfalls noch mit einem Präsidenten und acht Kommissaren aus.
Ursula von der Leyens zweite Kommission muss noch die Hearings bestehen, dann werden die 27 Kommissare neu bestellt. Europa bräuchte stattdessen einen Milei, der 19 Kärtchen von der Tafel reißt.
Zuerst erschienen im Pragmaticus.
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