Wenn die Brandmauer fällt

W

Eine Koalition mit Parteien wie AfD oder FPÖ ist nicht das Ende der Demokratie. Sondern vielleicht ein gangbarer Weg, ihren Aufstieg zu stoppen. 

Es sind nur vier Wörter, mit denen der Chefredakteur der NZZ, Eric Gujer, nach den Landtagswahlen in Thüringen Fausts Gretchenfrage in die Politik übersetzte. „Ministerpräsident Höcke, na und?“, fragte er in seinem Newsletter und fuhr fort:

„Eine Demokratie, die es nicht aushält, wenn auch einmal zweifelhafte Gesellen die Regierung bilden, ist keine. Die letzten acht Jahrzehnte hätten sich dann als Illusion erwiesen, als simulierte Volksherrschaft. Immerhin 80 Prozent der Deutschen wählen keine AfD. Dieser Mehrheit nicht zuzutrauen, mit der Herausforderung fertigzuwerden, hieße, an der Fähigkeit der Deutschen zur Demokratie zu zweifeln.“

Die Stärke der Institutionen

In der Tat zeigt sich die Widerstandsfähigkeit einer Demokratie gegenüber autoritären Ambitionen nicht am Wahlergebnis, sondern an der Stärke ihrer Institutionen, an den verfassungsmäßig garantierten Rechten der Bürger, der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Justiz. Man dürfte mit der Annahme nicht ganz falsch liegen, es sei vor allem ihrer Verfassung mit den vielfältigen „Checks and Balances“ zu verdanken, dass die USA über 200 Jahre lang alle Krisen samt Welt- und Bürgerkriegen überstanden haben, ohne je in eine Diktatur abzugleiten. 

Alle Politiker lieben die Demokratie, solange sie mit dem Wahlergebnis zufrieden sind. Wenn unsere Institutionen autoritären Angriffen standhalten, hat Gujer recht. Sind sie es nicht, stellt sich die Frage, warum die bisher regierenden Parteien allfällige demokratiepolitisch bedenkliche Spielräume nicht längst geschlossen haben. Was den Auftrag impliziert, dies schnellstmöglich zu tun.

Wem die Brandmauer hilft

In Deutschland ist die Frage – vorerst – nur in den Landtagen virulent, in Österreich wird sie sich in Kürze auf Bundesebene stellen: Darf man mit Rechtsaußen eine Regierung bilden? Womit wir bei der Brandmauer wären. 

Die Mehrheit der Deutschen will keine links-grüne Politik.

Unabhängig vom politischen Standpunkt ist objektiv feststellbar, wer von einer Brandmauer gegen rechts profitiert. Sie hält bürgerliche, rechte Parteien von der Regierung fern oder zwingt sie in eine linke Koalition. Dadurch schwächen sie ihren Markenkern und die Rechtsaußen-Parteien gewinnen von Wahl zu Wahl dazu. 

Am Beispiel Deutschland ist das nicht schwer zu erklären. Die Mehrheit der Deutschen will keine links-grüne Politik. Beim Thema Migration schon gar nicht. In der Ära Merkel mussten viele zur Kenntnis nehmen: auch wenn sie CDU wählen, bekommen sie im Ergebnis links-grüne Politik. Dann wählen sie eben AfD. Mittel- bis langfristig schwächt eine Brandmauer das gemäßigt rechte Parteienspektrum und stärkt die Rechtsaußen-Parteien. 

Rechts ist nicht rechtsextrem

Der Effekt wird durch die Verdrossenheit darüber verstärkt, dass in Deutschland ebenso wie hierzulande „rechts“ meist irgendwo zwischen erzreaktionär und Nazi, jedenfalls aber böse, angesiedelt wird. Die Verkürzung von „rechtsextrem“ auf „rechts“ ist eines der erfolgreichsten Framings der jüngeren Politikgeschichte und wird weithin unreflektiert übernommen. Zudem verwenden linke Parteien „rechts“ immer öfter als Synonym für „antidemokratisch“. Warum die ehemalige SED oder die Altstalinistin Sahra Wagenknecht – deren Programm sich in drei Worten zusammenfassen lässt: AfD plus Sozialismus – weniger antidemokratisch sein sollen als die AfD, erschließt sich dem neutralen Beobachter nicht. 

Wenn schon eine Brandmauer, warum dann nicht auch gegen linksextrem? Doch jede Wette: Würde eine Regierung mit millionenschwerem Budget den „Kampf gegen links“ erklären – der Aufschrei in den Feuilletons wäre ihr sicher. 

Nicht ausgeschlossen, dass 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer die nächste Mauer fällt. 

Inzwischen beginnt das Framing allerdings, seinen Schöpfern auf den Kopf zu fallen. Wenn „rechts“ gleich „Nazi“ ist, und gleichzeitig Positionen als „rechts“ gegeißelt werden, die noch vor gar nicht so langer Zeit auch in der Sozialdemokratie weit verbreitet waren oder gar noch sind (man denke nur an die verwegene Idee, es gäbe nur zwei Geschlechter), dann verharmlost das nicht nur die Rechtsextremen, sondern senkt gleichzeitig auch die Hemmschwelle, sie zu wählen. 

Entzauberung 

In Sachsen und Thüringen kehren SPD und Linke die Trümmer ihrer einstigen Größe zusammen. Die CDU hat in beiden Ländern die Wahl, mit der AfD oder mit einem Bündnis aus linken Parteien zu regieren oder in die Opposition zu gehen. Nicht ausgeschlossen, dass 35 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer die nächste Mauer fällt. 

In Österreich dürfte die ÖVP nach dem 29. September vor einer ähnlichen Frage stehen. Bislang hat sich die FPÖ in Regierungsverantwortung regelmäßig selbst zerstört. Jede populistische Politik verändert sich in Verantwortung oder zerschellt an ihr. Nun sollte man daraus eher nicht den Schluss ziehen, die FPÖ in die Regierung zu holen, um sie zu entzaubern. Aber egal wie gut oder schlecht die Politik einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung wäre: die Demokratie wird an ihr nicht zerbrechen.

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER


Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.