Die EU muss liefern

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Mit dem Verzicht Joe Bidens auf seine Kandidatur ist das Rennen um die amerikanische Präsidentschaft wieder offen. Der Ausgang darf nicht die Zukunft Europas entscheiden. 

Nach dem Attentat schien die Wahl gelaufen. Auf der einen Seite die ikonografischen Bilder des blutenden Donald Trump, der sich über seine Leibwächter erhebt und die Faust entschlossen gen Himmel streckt. Auf der anderen ein kraftloser, tattriger Greis. Doch so sehr Trump Unerschrockenheit und Leadership verkörpert: er ist selbst ein alter Mann. Der sich nun nicht mehr gegen einen noch älteren behaupten muss, sondern… ja, gegen wen eigentlich? 

Die viel zu spät erfolgte Entscheidung Bidens lässt wenig Zeit für die Kampagne eines Kandidaten, der landesweit nur wenig bekannt ist. Nicht zuletzt deshalb stehen die Chancen gut für Kamala Harris, obwohl sie als unbeliebt gilt und in der Demokratischen Partei bisher überschaubaren Rückhalt hatte. Aber sie stünde für Kontinuität und ist als schwarze Frau mit indischen Wurzeln ein identitätspolitisches Kontrastprogramm zu Trump. Medienberichten zufolge hat sie in den ersten 24 Stunden 81 Millionen Dollar Spenden für ihre Kampagne gesammelt und inzwischen die Mehrheit der Delegierten hinter sich. Man sieht, wie groß die Erleichterung über den Rückzug Bidens ist.

Die USA nabeln sich ab

In Europa starrt man auf die US-Wahlen wie das Kaninchen auf die Schlange. Nicht ohne Grund. Amerika ist für die europäische Sicherheit unverzichtbar. Welche US-Außenpolitik auf Europa unter Trump zukommt, bringt sein Running Mate J.D. Vance immer wieder zur Sprache. Hier auf einer Rede vom 28. Mai 2024: „Wollen wir Kunden, die völlig von uns abhängig sind und ohne uns nichts unternehmen können, oder wollen wir echte Verbündete, die ihre Interessen aus eigener Kraft vorantreiben können, wobei Amerika eine führende Rolle spielt, unsere Verbündeten aber auch tatsächlich etwas tun?“ 

Die Angst der Europäer vor Trump ist nichts anderes als das Eingeständnis ihrer eigenen Schwäche. 

Vance kritisiert, dass die USA beim Krieg in der Ukraine die Europäer subventionieren, damit diese selbst nichts tun müssen. „Die Europäer tragen nicht ihren gerechten Anteil an der Last, vor allem, wenn es um die Bereitstellung von Waffen geht. Sie de-industrialisieren ihr eigenes Land, während sie gleichzeitig sagen, dass Putin um jeden Preis besiegt werden muss. Wenn Putin um jeden Preis besiegt werden muss – an unsere deutschen Freunde –, dann hören Sie auf, Ihr eigenes Land im Namen einer lächerlichen grünen Energiepolitik zu de-industrialisieren.“

Zu der Angst vor dem Verlust an Sicherheit kommt die Angst vor einer protektionistischeren Handelspolitik. Trump versprach auf dem Parteitag der Republikaner den amerikanischen Arbeitern, Jobs in Amerika zu schaffen, indem er Zölle erhöhe. Seine Botschaft war unmissverständlich: Wer Waren in den USA verkaufen will, soll sie in den USA produzieren. Keine guten Aussichten für Deutschland, das 2023 Waren im Wert von 158 Milliarden Euro in sein wichtigstes Export-Zielland ausführte. 

Keine falschen Hoffnungen

Europa liegt falsch, wenn es hofft, der Spuk würde unter einer Präsidentschaft der Demokraten schon irgendwie vorübergehen. Schon Barack Obama hat immer wieder höhere Beiträge der europäischen NATO-Mitglieder gefordert, insbesondere von Deutschland (die Militärausgaben der NATO-Mitglieder der letzten zehn Jahre finden Sie hier). 

Und selbstverständlich diente Bidens Inflation Reduction Act nicht der Bekämpfung der Inflation, sondern der Ankurbelung der heimischen Wirtschaft. Genauso wie der Green Deal der EU, aber das nur nebenbei. Jede amerikanische Regierung wird sich in den nächsten Jahren auf das eigene Wachstum und die geopolitische Auseinandersetzung mit China konzentrieren. 

Europa schwächelt

Die Angst der Europäer vor Trump ist nichts anderes als das Eingeständnis ihrer eigenen Schwäche. Mit etwas mehr Sachverstand und weniger Kleingeistigkeit hätten wir den Binnenmarkt längst in Freihandelszonen eingebettet. Es rächt sich, dass Politik und Medien bei TTIP über Chlorhühner und Schiedsgerichte diskutiert haben, statt über Sicherheit und Wirtschaftswachstum. Gelernt haben wir daraus nichts, wie man in der Debatte über Mercosur sieht. Gerade in Zeiten der drohenden Entglobalisierung braucht Europa eine Strategie für globalen Freihandel. 

Der Respekt vor dem Amt hängt nicht von der Person ab, die es bekleidet. 

Was für die Wirtschaft gilt, gilt für die Verteidigung umso mehr. Die Sicherheitsarchitektur Europas ist die NATO. Die Europäer können ihren Einfluss in der NATO einfach erhöhen, indem sie einen größeren Beitrag zu ihrer eigenen Sicherheit leisten.

Und für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass der nächste Präsident der Vereinigten Staaten Donald Trump heißt, wird es sich rächen, dass die wenigsten europäischen Politiker in dessen erster Amtszeit tragfähige Beziehungen aufgebaut haben. An dieser Stelle sei beispielhaft daran erinnert, dass der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2016, damals Außenminister, Trump als „Hassprediger“ bezeichnete und nicht einmal zu dessen Wahl gratulierte. Bei seinen Glückwünschen zum Jahrestag der iranischen Revolution war der Co-Architekt der deutschen Russlandpolitik weniger zimperlich. 

Unabhängig davon, wer die USA ab Jänner regiert: Der Respekt vor dem Amt hängt nicht von der Person ab, die es bekleidet. Der Westen ist von innen und außen bedroht. Umso enger müssen Europa und die Vereinigten Staaten zusammenstehen. 

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.