Salman Rushdie und die Religion des Friedens

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Es war ein staatlicher Auftragsmord, der nur nur knapp gescheitert ist. Das Opfer, der 75-jährige Autor Salman Rushdie, wird für den Rest seines Lebens unter den gesundheitlichen Folgen zu leiden haben. Der ausführende Täter, Hadi Matar, 24, steht in New York vor Gericht. Die Auftraggeber in Teheran feiern.

In seinem Buch Aufwachen beschreibt der langjährige ORF-Reporter Friedrich Orter, was oft verdrängt wird: dass der Islam nicht nur eine Religion im spirituellen Sinn des Wortes ist, sondern zugleich Rechtssystem und Staatsideologie: »Die wenigsten von uns kennen den Islam als Gesetzesreligion, die das politische, soziale und kulturelle Leben bestimmt: eine Religion, die keine sich selbst verwaltenden Bürgerschaften kennt, eine Glaubenslehre, die die Einheit von Politik und Religion fordert und deren orthodoxe Anhänger den Islam für die einzige religiöse Wahrheit halten und sich auf die 114 Suren des Koran berufen.«

Salman Rushdie ist ein Opfer dieses Islams. 

Die tödliche Fatwa 

Hadi Matar war noch nicht geboren, als Ayatollah Khomeini am 14. Februar 1989 die Muslime aufrief, sein Urteil zu vollstrecken: »Ich sage allen stolzen Muslimen in der Welt, dass der Autor des Buches Satanische Verse, das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet, und alle, die an der Veröffentlichung des Buches beteiligt waren und dessen Inhalt kannten, zum Tode verurteilt sind.« 

Die iranische Stiftung »15. Chordat« setzte ein Kopfgeld von einer Million Dollar aus, das im Laufe der Jahre auf inzwischen fast vier Millionen Dollar erhöht wurde. Noch 2019 hat Khomeinis Nachfolger Ali Khamenei den Mordaufruf bestätigt und ihn als genauso »unwiderrufbar wie göttliche Verse« bestärkt. Auf seiner offiziellen Website kann man bis heute nachlesen: »Das Dekret ist so, wie es von Imam Khomeini erlassen wurde.«

Irans größte Tageszeitung Kayhan, deren Chef von Ayatollah Ali Khamenei persönlich ernannt wurde, feierte den Anschlag mit den Worten: »Bravo für diesen mutigen und pflichtbewussten Mann, der den abtrünnigen, bösartigen Salman Rushdie angegriffen hat.« Man möge »die Hand desjenigen [küssen], der dem Feind Gottes mit einem Messer den Hals aufgerissen hat«. 

Die Fatwa forderte von Beginn an ihre Opfer. 1989 wurden in Mumbai bei einem Aufstand gegen Rushdie zwölf Menschen getötet; sechs Pakistani starben unter ähnlichen Umständen in Islamabad. 1991 wurde der Übersetzer der »Satanischen Verse« ins Japanische, Hitoshi Igarashi, ermordet. Ettore Capriolo, Rushdies italienischer Übersetzer, war wenige Tage davor mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt worden. Rushdies norwegischer Verleger William Nygaard wurde 1993 in Oslo niedergeschossen und ebenfalls lebensgefährlich verletzt. 

Im selben Jahr versammelten sich 20.000 religiös aufgepeitschte Fanatiker in der anatolischen Stadt Siva vor dem Hotel, das die Teilnehmer eines alevitischen Kulturfestivals beherbergte, unter ihnen der türkische Schriftsteller Aziz Nesin, der Rushdies Buch ins Türkische übersetzt und teilweise veröffentlicht hatte. Im Zuge der pogromartigen Ausschreitungen setzten sie das Hotel in Brand, 35 Menschen kamen in den Flammen um. Nesin konnte leicht verletzt entkommen. 

Terror der Beleidigten

Weltweit morden fanatische Muslime, um die Ehre des Propheten zu rächen, wenn sie diese verletzt wähnen. Bei den Ausschreitungen gegen die »Mohammed Karikaturen« kamen über hundert Menschen ums Leben. Kaum eine westliche Zeitung wagte es, die 2005 in der dänischen Jyllands-Posten erschienenen Karikaturen nachzudrucken. Zwölf Menschen starben im Kugelhagel der Terroristen beim Anschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo. 2020 wurde Samuel Paty auf offener Straße enthauptet, weil er im Unterricht die Mohammed-Karikaturen gezeigt und behandelt hatte. Sein Mörder twitterte ein Foto des in einer Blutlache liegenden Kopfes des Geschichtslehrers mit den Worten: »Ich habe einen eurer Höllenhunde hingerichtet, der es wagte, Mohammed zu erniedrigen.«

Heute hätte ein Buch wie die Satanischen Verse kaum eine Chance auf Veröffentlichung. Die gewaltsame Einschüchterung durch islamische Fanatiker und die Immunisierung des Islam gegen Kritik mit dem Kampfbegriff »Islamophobie« zeigen Wirkung. Doch die kritische Auseinandersetzung mit dem Islam ist keine krankhafte Angststörung (Phobie), sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. 

Der wahre Islam

Freiheitlich-demokratische Gesellschaften verweisen Religion in die private Sphäre: Religiöse Normen gelten ausschließlich für die Angehörigen der jeweiligen Religionsgemeinschaft und für niemanden sonst. Das ist die Voraussetzung für Religionsfreiheit und das respektvolle Zusammenleben verschiedener religiöser Gruppen innerhalb eines Staates. Erst dieser Grundsatz ermöglicht Religionsfreiheit im doppelten Wortsinn: die Freiheit von Religion und die Freiheit, seine Religion ungestört auszuüben.

Ein Islam hingegen, der seine Gesetze Andersgläubigen auferlegt, fordert nicht Respekt, sondern Unterwerfung. Islamismus beginnt nicht erst, wenn Gewalt angewendet wird. Er beginnt dort, wo ein Islam praktiziert, gefördert und gelehrt wird, der uneingeschränkte Geltung für sich beansprucht. Diese Auffassung von Islam, man muss das so deutlich sagen, ist mit einer westlichen Gesellschaft nicht vereinbar.

Ich habe keine Lust, mich nach jedem Terroranschlag mit der wahren Natur des Islams zu befassen. Religion ist, was ihre Gläubigen daraus machen. Es sind die Muslime selbst, die bestimmen, ob ihre Religion eine Religion des Friedens ist oder das Fundament des »Islamischen Staates«. Ob ihre Ehre durch Zeichner und Schriftsteller verletzt wird – oder durch Mörder. Wer die Glaubens- und Meinungsfreiheit anderer nicht achtet, kann sich selbst auch nicht darauf berufen. Wenn die schweigende Mehrheit der Muslime in respektvollem Miteinander mit Nicht-Muslimen leben will, möge sie endlich aufhören zu schweigen. 

Habt keine Angst!

Salman Rushdie selbst hat nach 9/11 geschrieben, wie man am besten mit islamischen Fanatikern umgeht: »Der Fundamentalist glaubt, dass wir an nichts glauben. In seiner Weltanschauung hat er seine absoluten Gewissheiten, während wir in maßloser Genusssucht versunken sind. Um ihm das Gegenteil zu beweisen, müssen wir zuerst wissen, dass er sich irrt. Wir müssen uns darüber einig sein, worauf es ankommt: Küssen auf öffentlichen Plätzen, Schinkensandwiches, Meinungsverschiedenheiten, topaktuelle Mode, Literatur, Großzügigkeit, Wasser, eine gerechtere Verteilung der Ressourcen der Welt, Filme, Musik, Gedankenfreiheit, Schönheit, Liebe. Das werden unsere Waffen sein. Nicht durch Krieg, sondern durch die unerschrockene Art, wie wir leben, werden wir sie besiegen. 
Wie kann man den Terrorismus besiegen? Lass dich nicht terrorisieren. Lass nicht zu, dass die Angst dein Leben beherrscht. Auch wenn du dich ängstigst.«

Mögen ihm noch viele Küsse vergönnt sein. Zurückweichen ist keine Option. 

 Zuerst erschienen im Pragmaticus.


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Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.