Israelische Fahne über dem österreichischen Bundeskanzleramt (© Imago Images / Martin Juenx, SEPA.Media,)
Nein, es geht nicht um vier Häuser. Nein, das ist kein Krieg zwischen Israel und Palästina. Und was ist eigentlich aus »Je suis …« geworden?
In diesen Tagen, in denen Israel wieder einmal gezwungen ist, sich zu verteidigen, kommt irgendwann der Punkt, an dem man der Medien überdrüssig wird, der Öffentlich-Rechtlichen ebenso wie der vermeintlich Sozialen.
Immer die gleichen Phrasen und Floskeln, je weniger Wissen, umso mehr Meinung. Ich bin die Wichtigtuer leid, die in einer Woche vom Virologen zum Nahostexperten umgesattelt haben; die Heuchler, die Tote nur dann beklagen, wenn sie Juden dafür verantwortlich machen können; die »Ich habe nichts gegen Juden, aber …«-Sager und die Judenhasser, die ihren Antisemitismus hinter »Israelkritik« verstecken.
Dennoch: auf ein paar Punkte sollten sich wenigstens Politik und öffentlich-rechtliche Medien verständigen können. Hier sind drei davon.
Vier Häuser und der Rechtsstaat
Dass ein Streit um das Eigentum von ein paar Häusern in irgendeiner Weise einen Angriff mit tausenden Raketen auslösen oder gar rechtfertigen könnte, ist dermaßen absurd, dass man nicht extra darauf eingehen muss. Historisch und politisch setzt Micha Danzig den Konflikt um Sheik Jarrah in den richtigen Kontext (hier auf Deutsch), und Avi Bell und Eugene Kontorovich beleuchten in herausragender Klarheit den Fall und dessen Hintergrund auch aus juristischer Perspektive (hier auf Deutsch). Beide Texte seien hier nachdrücklich empfohlen.
Nicht nur in Israel müssen Mieter, die ihre Miete nicht bezahlen, ihre Wohnungen verlassen, und besetzte Häuser werden inzwischen sogar in Berlin geräumt. Nicht viel anders ist es in Sheik Jarrah. Bei den Häusern handelt es sich um einen Eigentumsstreit zwischen privaten Parteien. Eine internationale Affäre wird daraus nur, wenn man den Wunsch von Arabern, keine jüdischen Nachbarn zu haben, zu einem Menschenrecht erhebt, auf das sie einen Rechtsanspruch hätten, den Israel auch noch durchsetzen soll, führen Bell und Kontorovich aus:
»Die Menschenrechtsgruppen, die dieses Thema vorantreiben, konzentrieren sich auf das Jüdischsein der Eigentümer. Ein Brief von 190 progressiven Gruppen erwähnt achtmal die jüdische Identität der Kläger, nennt sie siebenmal ›Siedler‹ – eine andere Art zu sagen, dass sie Juden sind, die dort leben, wo Juden nicht erlaubt sind – und weist darauf hin, dass die Aufrechterhaltung der Eigentumsrechte der Kläger den ›demographischen Charakter‹ Jerusalems verändern könnte.
J Street, eine linke jüdische Organisation, charakterisiert die Klagen als einen Versuch, ›hauptsächlich palästinensische Nachbarschaften zu judaisieren‹, als ob die ethnische Zugehörigkeit der Nachbarn ein Grund sei, Juden ihr Eigentum wegzunehmen. … Die fabrizierte Kontroverse ist diesmal ein Versuch, Israel effektiv unter Druck zu setzen, um die ethnische Säuberung Jordaniens fortzusetzen – im Namen der Menschenrechte.«
Nach dem Einmarsch der jordanischen Truppen in Ostjerusalem im Jahr 1948 wurden Tausende Juden vertrieben, deren Familien seit Jahrhunderten in der Stadt gelebt hatten. Die Besatzer verwüsteten das alte jüdische Viertel der Altstadt, sie zerstörten 58 Synagogen, manche davon Jahrhunderte alt, und nutzten die verbliebenen als Vieh- und Hühnerställe. Unzählige Gräber wurden geschändet, Grabsteine für Fußböden und Latrinen verwendet. Jordanien verweigerte Juden den Zugang zur Westmauer (»Klagemauer«) und zum Friedhof auf dem Ölberg, der seit mehr als 2500 Jahren eine jüdische Begräbnisstätte war.
Von niemandem, der in den letzten Tagen mehr oder weniger wortreich die angebliche »Judaisierung« Ost-Jerusalems angeprangert hat, habe ich darüber auch nur ein Wort gelesen, schon gar nicht eines des Bedauerns. Aber ebenso wenig, wie man jüdisches Eigentum in Europa am Status zum Ende des Zweiten Weltkriegs festmachen kann, kann man das in Jerusalem am Status zum Ende der jordanischen Besatzung tun.
Wer höchstgerichtliche Urteile nach jahrzehntelangen Verfahren in einen ethnischen Kontext setzt, spricht Israel dessen Rechtsstaatlichkeit ab. Doch die israelische Justiz ist um nichts weniger unabhängig als die deutsche oder österreichische. Gerichte können keine Gerechtigkeit herstellen, das würde bedeuten, dass alle Menschen dasselbe als gerecht empfinden würden. Aber sie stellen Rechtssicherheit her, und in einem demokratischen Rechtsstaat mit einer unabhängigen Justiz tun sie das ohne Ansehen von Person, Geschlecht, Herkunft oder Religion. In Israel ebenso wie in Österreich oder Deutschland.
Vor diesem Hintergrund entlarvt sich jedwedes Geraune von »Judaisierung« als das, was es ist: eine Verschwörungstheorie, ein Gerücht über Israel. Anders gesagt: als Antisemitismus.
Ein Konflikt zwischen Israel und Palästina?
Was wir seit Tagen erleben, ist keine Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästina. Abgesehen davon, dass ein solches »Palästina« gar nicht existiert: Das ist der Angriff einer Terrororganisation auf ein demokratisches Land. Die Hamas greift an, Israel verteidigt sich. So einfach ist das. Man kann über alles diskutieren, darüber nicht.
Die Aufrechnung von Opferzahlen auf beiden Seiten dient nur dazu, dieses Faktum zu verschleiern. Die Hamas will so viele Zivilisten töten wie möglich. Demgegenüber unternehmen die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) alles, um zivile Opfer zu vermeiden. Der Unterschied liegt im Wesen der Parteien begründet, die einander gegenüberstehen: eine Terrororganisation auf der einen Seite, eine reguläre Armee unter demokratischer Kontrolle auf der anderen. Die einen lieben den Tod, die anderen das Leben.
An dieser Stelle sei an die Aussage von Colonel Richard Kemp vor dem UN-Menschenrechtsrat am 16.10.2009 erinnert. Der »Goldstone Report« hatte Israel Rechtsverletzungen im Zuge der »Operation Cast Lead« in Gaza (2008-2009) vorgeworfen. Kemp eröffnete sein Statement (hier auf Deutsch) wie folgt:
»Ich bin der ehemalige Kommandeur der britischen Streitkräfte in Afghanistan. Ich habe in der NATO und den Vereinten Nationen gedient; Truppen in Nordirland, Bosnien und Mazedonien kommandiert; habe am 1. Golfkrieg teilgenommen und seit der Invasion 2003 erhebliche Zeit im Irak verbracht und zum Thema internationaler Terrorismus für das ‚Joint Intelligence Committee‘ der Regierung des Vereinigten Königreichs gearbeitet.
Herr Präsident, auf der Grundlage meines Wissens und meiner Erfahrung kann ich folgendes sagen: Während der Operation Cast Lead hat die Israelische Armee mehr getan, um die Rechte von Zivilisten in einer Kampfzone zu schützen, als jede andere Armee in der Geschichte der Kriegsführung. Israel tat dies, während es einem Gegner gegenüberstand, der sein Militär absichtlich hinter einem menschlichen Schutzschild der Zivilbevölkerung positioniert hat.«
Diese Aussage gilt heute genauso wie 2009. Auch vor dem Angriff auf die Hochhäuser in Gaza wurden die Bewohner gewarnt und zum Verlassen aufgefordert. Dass in Israel weniger Tote zu beklagen sind als im Gaza-Streifen, hat drei wohl bekannte Gründe:
Erstens: Die Hamas operiert aus zivilen Einrichtungen heraus und benutzt die eigene Bevölkerung als lebende Schutzschilde. Waffenlager und Kommandozentralen werden in oder unter Krankenhäusern und Schulen errichtet, eine der zentralen Hamas-Leitstellen befindet sich unter dem größten Krankenhaus in Gaza.
Ich habe Filmaufnahmen aus früheren Einsätzen gesehen, die zeigen, wie Frauen und Kinder aus einem Gebäude flüchten und prompt zurück ins Haus getrieben werden, wo die Milizen sie dann auf dem Dach positionieren. Diese Taktik ist aus Sicht der Hamas äußerst erfolgreich: werden die menschlichen Schutzschilde rechtzeitig in Stellung gebracht, bricht die IDF den Einsatz ab. Ist es dafür zu spät, nutzt man die Opfer für die eigene Propaganda.
Der zweite Grund: Israel investiert ein Vermögen in den Schutz der Bevölkerung, von öffentlichen Schutzräumen bis zum berühmten »Iron Dome«. Sonst hätte der jüngste Angriff hunderte Todesopfer gefordert.
Und im gegenwärtigen Konflikt kommt noch ein dritter Grund dazu: ungefähr jede fünfte Rakete der Hamas landet auf eigenem Gebiet und schafft Tote und Verletzte unter der eigenen Bevölkerung. Schon am ersten Tag der Angriffe sollen auf diese Weise mehrere Kinder getötet worden sein, die von der Hamas Israel zugeschrieben wurden. Zuverlässige Opferzahlen sind aus dem Gaza-Streifen nicht zu bekommen. Die Angaben der Hamas-Behörden sind kaum kontrollierbar und dienen vor allem Propagandazwecken.
Israel hat nicht nur das Recht sich zu verteidigen, es hat die Pflicht, seine Bürger zu schützen. Wer angesichts der unstrittigen Fakten eine Disproportionalität der Opfer beklagt, verkennt oder ignoriert das Wesen des Konflikts und seiner Akteure. Oder will einfach nur mehr tote Juden sehen.
Je suis…
Nach den Anschlägen islamischer Terroristen auf Charlie Hebdo im Jahr 2015 stand auf Plakaten bei Solidaritäts-Demonstrationen weltweit »Je suis Charlie«, nach jedem Anschlag änderten wir unsere Profilbilder auf Facebook. Wir waren Charlie, Paris und Berlin, und im Juni 2016 hieß es nach dem Anschlag im Sarona Market, der vier Opfer forderte, »Je suis Tel Aviv«.
Man könnte meinen, dass angesichts des tagelangen Terrors gegen Israel die Straßen Europas voll von ähnlichen Zeichen der Solidarität wären. In Deutschland und in Österreich zumal, wo man doch gern die besondere Verantwortung betont, die man für Israel habe. Die Realität sieht anders aus.
»Scheiß Juden« skandierte ein Mob mit Migrationshintergrund vor wenigen Tagen vor der Synagoge in Gelsenkirchen. Sie klatschten und hüpften im Takt und schwenkten türkische und palästinensische Fahnen. Kein Einzelfall. »Kindermörder Israel« und »Frauenmörder Israel« tönte es auf Demonstrationen in Berlin. Man schrie »Leg den Koran neben das Messer. Stich die Siedler ab!«, die Demonstranten griffen Polizeikräfte mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik an, einer von ihnen hatte den Spruch »Gestern Auschwitz, heute Palästina« auf den Rücken seines T-Shirts gemalt.
In Wien erntete ein Teilnehmer tobenden Applaus für ein herzhaftes »Steckt’s euch euren Holocaust in den Oa***.« Ob Gelsenkirchen, Wien, Berlin, Dresden, London, Madrid oder Paris – überall ähnliche Bilder von »pro-palästinensischen« Demonstrationen. Das ist nicht bloß Israelkritik in einfacher Sprache. Das ist Judenhass und Antisemitismus in seiner reinen, unverfälschten Form.
Schon lange können sich europäische Juden im öffentlichen Raum nicht mehr frei bewegen. Wir halten es für normal, dass Synagogen, jüdische Museen und jüdische Schulen bewacht werden müssen, aber das ist es nicht. Keine Moschee und keine Kirche in Österreich, Deutschland oder Frankreich braucht Polizeischutz. Und solange das so ist, und solange es zu solchen Szenen kommt, scheinen gute Tipps aus Europa, wie Israel mit arabischen Randalierern umzugehen habe, einigermaßen verzichtbar.
In den letzten Monaten haben viele, die sich für links und intellektuell halten, eine Reihe von Deklarationen verfasst, um den israelbezogenen Antisemitismus aus der Antisemitismus-Definition zu eliminieren. Es ist aber genau diese Form von Antisemitismus, mit dem die jüdischen Gemeinden in Europa am häufigsten konfrontiert sind, und der ihre Sicherheit ausgerechnet immer dann akut bedroht, wenn Israel von Terrororganisationen angegriffen wird. Der Beweis wird gerade auf den Straßen Europas erbracht.
Wo immer man politisch stehen mag, auf eines sollten wir uns doch einigen können: wenn ein demokratisches Land von Terroristen angegriffen wird, dann sind wir solidarisch und zeigen Flagge. Wenn wir nicht einmal dann wissen, wer wir sind und auf welcher Seite wir stehen, können wir den Laden genauso gut zusperren und das Licht abdrehen. Es tut gut, dass die Fahne Israels neben der österreichischen und der europäischen über dem Regierungssitz in Wien weht. Das Land sagt »Je suis Israel«. Und das ist gut so.
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