7 TAGE IN ENTEBBE

7

Photo: Government Press Office, CC BY-NC-SA 2.0

Die Verkommenheit bei »Spiegel Online«

»Inszenierung des Flugzeug-Geiseldramas in Entebbe im Sommer 1976: Faktenreich zerlegt Regisseur José Padilha im Polit-Thriller ‚7 Tage in Entebbe‘ israelische und links-ideologische Mythen«, feiert SPIEGEL-Online die jüngste Verfilmung der Geiselbefreiung, die auf der diesjährigen Berlinale gezeigt wird und Anfang März in die Kinos kommt. Worum es geht? Um die »kühnste Geiselbefreiungsaktion in der Geschichte«, wie der britische Militärhistoriker Saul David die Operation Thunderbolt im Titel seines Buches »Operation Thunderbolt: Flight 139 and the Raid on Entebbe Airport, the Most Audacious Hostage Rescue Mission in History« nennt.

In der Nacht zum 4. Juli 1976 befreiten israelische Spezialeinheiten in der Hauptstadt Ugandas 106 Geiseln, darunter 102 jüdische, aus der Gewalt von palästinensischen und deutschen Terroristen, die eine Air-France Maschine entführt hatten, um die Freilassung von insgesamt 53 Inhaftierten aus Gefängnissen in Israel, Frankreich, der BRD und der Schweiz zu erpressen. Zuvor hatten Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann die erste Selektion von Juden nach Auschwitz vorgenommen. Neben den israelischen Staatsbürgern wurden 22 Franzosen, ein Staatenloser und das amerikanische Ehepaar Karfunkel aufgrund ihrer vermeintlich jüdischen Namen oder anderer Indizien als Juden identifiziert, teilweise fälschlich. Die nicht-jüdischen Passagiere wurden freigelassen. Die deutschen »Idealisten« (Böse über sich selbst zu einem Auschwitz-Überlebenden, der ihm seine Häftlings-Tätowierung gezeigt hatte) folgten der Logik der Nationalsozialisten. Weder Staatsangehörigkeit noch Religion entschieden über Leben und Tod, sondern die »Rasse«. Antizionismus ist in seiner Konsequenz immer antisemitisch.

Der Kommandeur des  israelischen Einsatzkommandos Yonatan Netanyahu kam bei der Aktion ums Leben, alle vor Ort anwesenden Geiseln wurden befreit. Die 75-jährige Israelin Dora Bloch lag zum Zeitpunkt des Einsatzes in einem Krankenhaus in Kampala. Sie wurde nach der Befreiung der anderen Geiseln auf Befehl Idi Amins erschossen, zusammen mit Schwestern und Ärzten, die sich für sie eingesetzt hatten. Amin ließ in der Folge auch hunderte Kenianer in Uganda ermorden, da er vermutete, Kenia hätte mit Israel kooperiert. Die Operation Thunderbolt wirkte weit über die unmittelbar Betroffenen hinaus. Die außergewöhnliche militärische Leistung erntete weltweit bewundernde Anerkennung und war Vorbild für den Einsatz der GSG 9 in Mogadischu im Jahr darauf. Vor allem aber hatte sich Israel mit dem ersten Einsatz außerhalb des Nahen Ostens als globale Schutzmacht für alle Juden der Welt präsentiert.

Der Film im SPIEGEL

Doch was macht der SPIEGEL daraus? Andreas Bocholte zelebriert ein Hochamt der Äquidistanz, die zum Leitmotiv der deutschsprachigen Nahostberichterstattung geworden ist:

Yoni Netanyahu

»Konsequent vermeidet Padilha eine Parteinahme und Heldenerzählungen. Yonathan ‚Yoni‘ Netanyahu beispielsweise, älterer Bruder des heutigen Ministerpräsidenten von Israel und heroisierter Befehlshaber des Angriffstrupps der ‚Operation Thunderbolt‘, spielt nur eine Nebenrolle. Sein Tod, nicht durch die Entführer, sondern durch ugandische Milizen, wie Padilha klarstellt, wird in einer Beiläufigkeit inszeniert, die in Israel für Aufsehen sorgen wird.«

Merke: Wer sein Leben im Kampf für andere lässt, ist kein Held sondern wird nur »heroisiert«, also zum Helden gemacht. Netanyahus Tod gerinnt zur Beiläufigkeit, von Bedeutung scheint daran nur, dass Netanyahu nicht von den Entführern selbst erschossen wurde. Das sollte eigentlich überall für Aufregung sorgen, nicht nur in Israel – wo es das jedoch wohl allein schon deswegen nicht tun wird, weil dort immer schon klar war, dass Netanyahu von ugandischen Soldaten erschossen wurde.

Ulrich Wegener, dem Gründer und Kommandeur der GSG 9, war zum Glück ein langes Leben beschieden. Wegener war in Entebbe dabei und wurde während des Einsatzes durch den Bajonettstich eines ugandischen Soldaten verletzt. Ist es vorstellbar, dass in Deutschland ähnliche Sätze über ihn geschrieben würden, wäre er in Mogadischu gefallen?

Doch genug vom Gefallenen, eine Opferlegende um Böse und Kuhlmann zu stricken, scheint dem Autor viel bedeutender: »Sie wandeln sich von marxistischen Revolutionstheoretikern zu überforderten Nervenbündeln, nachdem sie von ihren palästinensischen Kameraden in die absurde Situation gedrängt werden, jüdische Passagiere zu selektieren. Dabei wollten sie alles anders machen als die Nazis – und die Faschisten, das sind doch eigentlich die Zionisten? So wollte – und will – es zumindest die linke Kampfrhetorik, doch vor Ort, konfrontiert mit Auschwitz-Überlebenden und zum Gebrauch der Waffe gezwungen, argumentiert es sich nicht mehr so geschliffen.«

Dabei hatten sie es doch nur gut gemeint, die armen Nervenbündel, bis sie in diese missliche Rolle gedrängt worden sind. Fast bekommt man Mitleid mit den beiden, fast hält man sie für die eigentlichen Opfer der Operation. Bis man sich fragt, wer denn Böse und Kuhlmann eigentlich »zum Gebrauch der Waffe« gezwungen haben soll, abgesehen vom eigenen Wahn. Wer hat den Soziologie-Studenten und seine Lebensgefährtin, die Anwaltsgehilfin und Pädagogik-Studentin, gezwungen, die Revolutionären Zellen zu gründen und sich mit der RAF und anderen Terrorgruppen gemein zu machen? Wer hat sie zur Ausbildung in einem Lager der PLFP gezwungen, wer zur Entführung der Air-France Maschine? Ihre Väter und Großväter mögen in der Wehrmacht »zum Gebrauch der Waffe« gezwungen gewesen sein, die deutschen Terroristen waren es jedenfalls nicht.

Kreislauf der Gewalt

Doch auch »auf israelischer Seite sind die Dinge kompliziert«: »Peres, der Falke, plädiert für den Militäreinsatz, auch wenn er tödlich enden kann und diplomatische Verwicklungen nach sich zieht; Rabin weiß, dass es eigentlich klüger wäre, zu verhandeln, um den Kreislauf der Gewalt zu beenden. Ein israelisches Dilemma, das bis heute ungelöst bleibt.«

Dass es klüger gewesen, wäre, die Geiseln nicht zu befreien, sollte Bocholte womöglich besser den Geiseln und deren Angehörigen erklären, und bei der Gelegenheit auch den Passagieren der Landshut, die ein Jahr später in Mogadischu nach dem Vorbild von Entebbe befreit worden sind. Der wahre »Kreislauf der Gewalt« war nämlich, dass Terroristen Flugzeuge entführten, um andere Terroristen freizupressen, die dann wieder neue Anschläge verübten oder sich in der Propaganda nützlich machten, um neue Terroristen anzuwerben. Jede erfolgreiche Entführung spornte zur nächsten an.

An dieser Stelle nur zwei Beispiele zur PLFP unter Wadi Haddad, der Organisation der Entführer der Air-France Maschine nach Entebbe. Im Februar 1972 zahlte Deutschland an die PLFP fünf Millionen Dollar Lösegeld für die Freigabe eines auf dem Weg von Tokio nach Frankfurt entführten Jumbo-Jets, im Oktober desselben Jahres flog Deutschland die Attentäter auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen in München aus, nachdem zwei PLFP-Terroristen eine Lufthansa Maschine entführt hatten. Die Gewaltspirale besteht darin, dass Gewalt immer dann zu neuer Gewalt führt, wenn sie in der Vergangenheit erfolgreich war. Und das ist alles andere als ein »israelisches Dilemma«.

Nachdem der Autor an der Lösung des Nahost-Konflikts knapp gescheitert ist, bleibt ihm immerhin ein Trost: »In ‚7 Tage in Entebbe‘ kommt, außer der hilfsbereiten Flugzeug-Crew und den Geiseln, von denen glücklicherweise fast alle überlebten, fast niemand gut weg. Aber so leicht, die Welt in Gut und Böse, richtig oder falsch zu unterteilen, macht es sich dieser kluge, aufklärerisch motivierte Zeitgeschichtsthriller eben auch nicht. Das ist, in Zeiten von Fake News, Verschwörungsrhetorik und hermetischen Filterblasen, viel wert.«

Klar. Entführer und Entführte, Geiselnehmer und Befreier, eine Demokratie und Terroristen, die sie bekämpfen, wer mag da schon Partei ergreifen. In der postfaktischen Moderne geht es nicht mehr um das Bemühen, den Unterschied zwischen »Gut und Böse, richtig oder falsch« zu erkennen, sondern so zu tun als existiere er gar nicht. In der Filterblase von SPON mag man das für »klug und aufklärerisch« halten. Ich halte das für ein Zeichen von intellektueller und moralischer Verkommenheit.

Zuerst erschienen auf mena-watch

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Dann unterstützen Sie bitte die SCHLAGLICHTER!

Über den Autor / die Autorin

Thomas M. Eppinger

Thomas Eppinger ist davon überzeugt, dass alle Menschen mit unveräußerlichen Rechten geboren sind, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören. Daraus ergab sich alles andere, auch diese Website.
Der Publizist ist 1961 in Vöcklabruck geboren, lebt heute in Graz und arbeitet in Wien als Lead Editor bei »Der Pragmaticus«. Davor leitete er den unabhängigen Nahost-Thinktank Mena-Watch.